Die Autoverfolgungsjagd ist eines der klassischen Elemente des Actionkinos. Egal ob in „French Connection“, „Bullitt“ oder „Driver“ - wenn auf der Straße das Gaspedal durchgedrückt wird, dann steigt im Zuschauersaal der Adrenalinspiegel. Regisseure wie Justin Lin („Fast & Furious 3 - 6“), George Miller („Mad Max: Fury Road“) oder Edgar Wright („Baby Driver“) haben in den vergangenen Jahren gezeigt, dass es auch heute noch frische, originelle Wege gibt, das Kräftemessen der Boliden eindrucksvoll in Szene zu setzen. In seinem Action-Thriller „Kidnap“ konzentriert sich Regisseur Luis Prieto („Pusher“) voll auf eine einzelne, über fast die gesamte Spieldauer ausgedehnte Verfolgungsjagd und steht mit dieser konzentrierten Prämisse ganz in der Tradition des Asphalt-Actionkinos der 1970er Jahre. Der spanischstämmige Filmemacher setzt Halle Berry („James Bond 007 – Stirb an einem anderen Tag“) hinters Steuer eines knallroten Minivans und verlegt den Plot von „96 Hours – Taken“ auf die Autobahn. Aber was im ersten Moment nach launiger Popcorn-Unterhaltung mit Starpower klingt, erweist sich leider schnell als unausgegorener Nonsens im Schneckentempo mit einer geradezu kriminell unterforderten Hauptdarstellerin.
Die Kellnerin Karla (Halle Berry) hat einen echten Scheißtag: Während eines Ausflugs mit ihrem Sohn Frankie (Sage Correa) erhält sie einen Anruf ihres Anwalts, der sie darüber informiert, dass der Sorgerechtsstreit mit ihrem Noch-Ehemann David (Jason Winston George) nicht zu ihren Gunsten verläuft. Bei der Vorstellung, ihr einziges Kind zu verlieren, läuft es der Mutter kalt den Rücken herunter. Doch schon im nächsten Moment wird dieser Gedanke grausame Realität: Während Karla noch in ihr Telefongespräch vertieft ist, wird Frankie nämlich kurzerhand von einer Bande Hinterwäldler entführt. Karla kann nur noch zusehen, wie ihr Kind auf dem Parkplatz in einen 1980er Ford Mustang gezerrt wird. Ohne zu zögern, klemmt sie sich hinters Steuer ihres Minivans und nimmt die Verfolgung auf…
„Kidnap“ fehlt einfach die konzentrierte Schnörkellosigkeit eines „96 Hours - Taken“. Stattdessen ist der Film vollgestopft mit unnötigem Ballast, der jede Spannung im Keim erstickt. Andauernd verliert sich das Skript in wirren, unnötigen Monologen, die die Emotionalität des Geschehens unterstreichen sollen, den Zuschauer aber vollkommen kalt lassen. Wenn Karla den Entführern eine Drohung wie „Ihr habt das falsche Kind entführt!“ entgegenbellt, dann ist das zumindest noch unfreiwillig komisch, während die meisten anderen Dialoge des Films einfach nur langweilen. Halle Berry hangelt sich im Autopiloten von Zeile zu Zeile, man merkt überdeutlich, dass die Rolle sie überhaupt nicht herausfordert. So ist ihr wahres Können, das ihr 2002 für „Monster’s Ball“ als erster schwarzer Schauspielerin den Oscar als Beste Hauptdarstellerin einbrachte, kaum einmal zu erahnen. Und wenn es dann doch mal aus dem Auto herausgeht, dann müssen unsinnige Zufälle dabei helfen, die Jagd wieder zum Laufen zu bringen.
Auch in Sachen Präsentation gibt es wenig Positives zu vermerken: Der generische Soundtrack fällt kaum auf und plätschert im Hintergrund uninspiriert vor sich hin, die Action ist mit übermäßigem Einsatz von Wackelkamera und Close-ups ebenfalls nur dürftig in Szene gesetzt. Obwohl es sich bei den Stunts im Rahmen der Verfolgungsjagd um praktische Effekte (also ohne CGI-Einsatz) handelt, bekommt man aufgrund der einfallslosen Inszenierung trotzdem nie ein wirkliches Gefühl für die Masse oder die Geschwindigkeit der Fahrzeuge. Das ist besonders schade, weil die Idee einer Mutter, die in der Familienkutsche Jagd auf Rednecks macht, mit etwas mehr Konsequenz durchaus das Potential zu einem grundsoliden B-Movie hätte. Stattdessen kann man Halle Berry nun vor allem dabei beobachten, wie sie 80 Minuten lang in Nahaufnahmen wie eine Geisteskranke mit sich selbst spricht und mit ihrem wenig überzeugenden Fahrstil Passanten in Gefahr bringt.
Für einen Film, der den Horror einer Kindesentführung zum zentralen Thema hat, bringen die Macher übrigens erstaunlich wenig Sympathie für reale Opfer solcher Taten auf: Als Karla, die ihr Handy praktischerweise in den ersten Minuten des Films verliert, nach einer gefühlt ewiglangen Verfolgungsfahrt endlich bei der Polizei eine Vermisstenanzeige aufgibt, wird sie von der Gesetzeshüterin vor Ort aufgefordert, abzuwarten und die Beamten in Ruhe ihre Arbeit machen zu lassen. Karla wirft daraufhin einen Blick an die Wand, an der die Bilder vermisster Kinder hängen, und proklamiert pathetisch: „Das haben diese Menschen auch getan… sie haben gewartet!“ Wir lernen: Wer sich nach einem Verbrechen auf die Polizei verlässt und nicht selbst zur Waffe greift und ohne Rücksicht auf etwaige Verkehrstote eine wilde Hetzjagd auf die Übeltäter unternimmt, darf sich anschließend auch nicht beschweren, wenn das Kind nicht wieder zurück oder sogar ums Leben kommt. Selbst schuld, ihr Rabeneltern!
Fazit: „Kidnap“ ist selbst mit seinen 82 Minuten Laufzeit noch zu lang. Den Figuren fehlt es an Charme, der Action an Wucht und dem dünnen Skript an Glaubwürdigkeit. Allein Oscarpreisträgerin Halle Berry bewahrt den Film mit einer immerhin anständigen Leistung vor dem totalen Debakel.