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    Tatort: Vielleicht
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Tatort: Vielleicht
    Von Lars-Christian Daniels

    Der eine Berliner „Tatort“-Kommissar hat sich bereits in den Ruhestand verabschiedet, der andere soll ihm nun folgen: Während ihre Nachfolger Meret Becker und Mark Waschke bereits für ihren ersten gemeinsamen Fall „Tatort: Das Muli“ vor der Kamera stehen, sagen Dominic Raacke und Boris Aljinovic leise Servus. Über dreizehn Jahre lang gingen die beiden als Hauptkommissare Till Ritter und Felix Stark in der Hauptstadt auf Verbrecherjagd. Raacke, der sich alles andere als erfreut über den vom rbb angekündigten Personalwechsel zeigte, verließ die Krimireihe bereits im Februar 2014 vorzeitig, Aljinovic hingegen erfüllt seinen Vertrag bis zum Ende: In Klaus Krämers „Tatort: Vielleicht“, den die ARD als Teil ihrer schon im Vorfeld kontrovers diskutierten Themenwoche „Toleranz“ sendet, ist Felix Stark zum ersten (und letzten) Mal allein in Berlin unterwegs. Anders als Ritter, dessen Abschied im damals bereits abgedrehten „Tatort: Großer schwarzer Vogel“ nicht mehr thematisiert werden konnte, wird Stark zumindest ein würdiger Abgang zuteil: Der 922. „Tatort“ ist zwar erst auf der Zielgeraden wirklich spannend, hat mit der norwegischen Schauspielerin Lise Risom Olsen aber eine stark aufspielende Neuentdeckung zu bieten und punktet zudem mit einer großartigen Schlusspointe.

    Hauptkommissar Felix Stark (Boris Aljinovic) staunt nicht schlecht, als die Psychologie-Studentin Trude Bruun Thorvaldsen (Lise Risom Olsen) auf dem Polizeirevier auftaucht: Die junge Norwegerin wird von Albträumen gequält, in denen sie angeblich Mordfälle miterlebt, die in der Zukunft stattfinden. Sie gibt den Polizeibeamten zu Protokoll, dass sie vom Tod der Studentin Lisa Steiger (Tinka Fürst) geträumt habe. Und tatsächlich bewahrheitet sich ihre Prophezeiung: Zwei Wochen später wird Lisa kurz nach der Trennung von ihrem Freund Florian Patke (Florian Bartholomäi) vergewaltigt und erwürgt aufgefunden. Der Täter hatte sich mit dem „Handwerker-Trick“ Zugang zur Wohnung des Opfers verschafft. Stark ist ratlos. Während der Berliner Hauptkommissar mit Unterstützung des Polizeipsychologen Robert Meinhardt (Fabian Busch) und seiner Kollegen Paula Wimberg (Laura Tonke), Malte Steiner (Christian Sengewald), Oleg Knipper (Dimitrij Schaad) und Maria Schuh (Anjorka Strechel) nach dem Mörder fahndet, berichtet Trude von einem neuen blutigen Albtraum...

    Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“, riet bereits Altbundeskanzler Helmut Schmidt – und auch Trude wirkt angesichts ihrer scheinbaren paranormalen Begabung so gebeutelt, dass man ihr eine professionelle medizinische Betreuung durchaus ans Herz legen möchte. Die skandinavische Newcomerin Lise Risom Olsen feiert bei ihrem ersten Auftritt im deutschen Fernsehen ein bärenstarkes Debüt und gibt die träumende Psychologie-Studentin weit weniger entrückt, als man es angesichts ihrer übernatürlichen Fähigkeiten vermuten sollte – das tut nicht nur der Figur gut, sondern dem ganzen Krimi. Dadurch dass die smarte Norwegerin offenbar selbst am meisten unter ihren Träumen leidet und sonst mit beiden Beinen im Leben steht, bekommt die zunächst ziemlich abwegig erscheinende, mit Motiven aus „Minority Report“ angereicherte Hellseher-Geschichte nämlich immerhin etwas Bodenhaftung und wird in der Realität verankert – ganz anders als beispielsweise im schwachen Schweizer „Tatort: Zwischen zwei Welten“, in dem Reto Flückiger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Delia Mayer) spontan über ein Medium Kontakt zum Reich der Toten aufnahmen und so den entscheidenden Hinweis in ihrem Mordfall erhielten.

    Wer Hellseherei als Bestandteil polizeilicher Ermittlungsarbeit von vornherein als realitätsfern ablehnt, wird mit dem Film allerdings wenig Freude haben: Regisseur und Drehbuchautor Klaus Krämer („Drei Chinesen mit dem Kontrabass“), der bereits die starken Berliner Folgen „Tatort: Hitchcock und Frau Wernicke“ und „Tatort: Machtlos“ inszenierte, arrangiert ein irritierendes, logisch kaum zu erklärendes Psychostück und bricht mit vielen etablierten Regeln der Krimireihe. So verzichtet der Autorenfilmer auch auf das gewohnte Whodunit-Konstrukt: Der Zuschauer wird einleitend Zeuge, wie Armin Teigler (Niels Bormann) Lisa Steiger in ihrer Wohnung erwürgt. Die Motive des Mörders bleiben in der Folge allerdings auf der Strecke: Über Teiglers Antrieb erfährt der Zuschauer nichts, seine frühe Verhaftung wirkt konstruiert und sein Aufbrausen gegenüber dem gewohnt besonnenen Hauptkommissar ziemlich unglaubwürdig. Starks Ermittlerteam präsentiert zwar schon bald eine stattliche Sammlung an „Schatzkästchen“, die der Verhaftete offenbar seinen Opfern gewidmet hat – dieses durchaus interessante Serienkiller-Verhalten wird aber nur beiläufig angerissen („Wir schwimmen in Beweisen!“).

    Während sich der Hauptkommissar bei seinem ersten und letzten Solo-Auftritt als vielbeschäftigter Teamleiter beweisen muss, beleuchtet Filmemacher Krämer parallel auch Trudes Schicksal in aller Ausführlichkeit und erzählt von deren erster (und folgenreicher) Begegnung mit dem attraktiven Martin (Beat Marti), der die schüchterne Blondine in einem Café anspricht. Fast eine Stunde lang verliert sich der Regisseur und Autor in schleppenden Dialogen und in Selbstzweifeln des Kommissars. Selbst für das zeichnerische Talent von Hauptdarsteller Boris Aljinovic (der sein Kino-Regiedebüt kürzlich mit „Der 7bte Zwerg“ feierte) findet Krämer noch etwas Platz. Wer während dieser ziemlich zähen, von melancholischen Klavierklängen begleiteten Minuten nicht die Geduld verliert, wird mit einem hochspannenden Finale belohnt. Mit dem zweiten Traum Trudes gewinnt der Krimi an Fahrt und schließlich feiert Hauptkommissar Stark einen würdigen „Tatort“-Abschied, dessen großartige Schlusspointe den ganz bewusst unentschlossenen formulierten Titel augenzwinkernd auf den Punkt bringt.

    Fazit: Der Berliner Hauptkommissar Felix Stark feiert in Klaus Krämers „Tatort: Vielleicht“ einen angemessenen Abschied aus der Krimireihe. So richtig auf Touren kommt der eigenwillige Psychokrimi allerdings erst auf der Zielgeraden.

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