Kein Ende in Sicht – Die unverwüstliche Mutantenfilmreihe geht in die X-te Runde!
Nachdem Anno 2006 mit „X-Men - Der letzte Widerstand“ vorerst ein Abschluss der in sich geschlossenen Trilogie gekennzeichnet wurde, welcher mit einigen radikalen Verlusten unter den bekanntesten X-Men Charakteren einherging, verriet eine besondere Schlussszene damals schon, dass dies sicher nicht das Ende des erfolgreichen Mutanten-Filmfranchises darstellen sollte. Fünf Jahre ist es nun mittlerweile her, dass Filmstudio 20 Century Fox und Bryan Singer, seines Zeichens Mitgründer der X-Men Filmreihe, sich entschieden 2011 mit „X-Men – Erste Entscheidung“ einen prequelähnlichen Neustart der mittlerweile neun Filme umfassenden Serie zu wagen. Während Bryan Singer sich entschied in „First Class“ das Regiezepter an Matthew Vaughn zu übergeben und hier neben der Produktion vorerst nur am Drehbuch mitzuwirken, kehrte Singer ab „Zukunft ist Vergangenheit“ zurück in seinen vertrauten Regieposten. Zwar folgen die neuen Filme im Gesamtbild nicht mehr einer so strengen Chronologie, wie dies bei den Vorgängern der Fall war, dennoch sind die einzelnen Geschichten gut geschrieben und ergeben einen spannenden, neuen Kontext. So behandeln sie beispielsweise sehr ausführlich den Ursprung und die Vorgeschichte der relevantesten Mutanten Professor X und Magneto. Diese Neuausrichtung war marktwirtschaftlich eine clevere Entscheidung und wird im aktuellsten Teil „Apocalypse“ munter fortgeführt.
Stand in „First Class“ vorwiegend noch der persönliche Rachefeldzug von Magneto im Mittelpunkt, mussten sich die Mutanten in „Zukunft ist Vergangenheit“ einer unbesiegbar scheinenden, technologischen Waffe mittels Zeitreisen erwehren. In „Apocalypse“ folgt nun die nächste und wohl größte Herausforderung der unermüdlichen X-Men. Schließlich werden sie hier mit niemand Geringerem als dem sowohl ältesten, als auch mächtigsten Mutanten aller Zeiten konfrontiert. Der Ur-Mutant Apocalypse, der sich für eine Art Gottheit hält, rühmt sich nicht gerade mit noblen Absichten und plant geradezu mit kühner Entschlossenheit die gesamte Menschheit zu unterwerfen.
Wie bereits in den Vorgängern überfrachtet Singer seine Comic-Adaption nicht primär mit überbordenden Actionsequenzen, sondern legt auch Wert darauf eine ernstzunehmende, an reale Ereignisse angelehnte Handlung zu erzählen. Er gibt den zentralen Figuren Zeit sich zu entwickeln und scheut nicht den mahnenden Vergleich, die Existenz von Mutanten und deren Akzeptanz in der Gesellschaft regelmäßig mit unseren ethnischen Missständen in Verbindung zu bringen. Dadurch verkommt der Film nicht, wie fälschlicherweise oft angenommen, zum hirnlosen Effekte-Actionbrett, in dem der Plot einzig und allein als Überbrückung von einer Schlacht zur nächsten her halten muss.
Der spürbare Hass auf die Mutanten und die Furcht vor dessen Kräften führt dennoch unausweichlich zu Eskalationen. Wenn dann noch der gewissenlose Weltenzerstörer Apocalypse bei der Verfolgung seiner Ziele auf den Plan tritt, bekommen Actionfans dann aber auch was fürs Auge. Und das kann sich durchaus sehen lassen. Wenn die hochbegabten Mutanten in gut dosierten Abschnitten ihre höchst unterschiedlichen Kräfte zum Einsatz bringen, offenbart sich wieder mal das wahre Füllhorn an Ideen, welches die Marvel Autoren mit der X-Men Comicreihe erschaffen haben. Sei es die Neonschwert-schwingende Psylocke, der mit Metall-Flügeln ausgestatte Angel oder der junge Cyclops, welcher Laserstrahlen aus seinen Augen verschießen kann. Prallen all diese verheerenden Kräfte ungebremst aufeinander bietet das ein fulminantes Schauspiel der Extraklasse. Spätestens hier kommen all die Mutanten gerade in ihrer Vielseitigkeit zur Geltung. Besondere Aufmerksamkeit verdient auch wieder mal die Zeitlupensequenz von Geschwindigkeitsmanipulator Quicksilver. Sein fast schon obligatorischer Auftritt, der diesmal mit einem Eurythmics Songklassiker aus den 80èrn untermalt wird, ist schlichtweg genial inszeniert und toppt die wegweisende Performance aus dem Vorgänger noch einmal deutlich. Fairerweise erkannte Regisseur Singer nun auch die charakterliche Bedeutung der Figur und gibt ihr in diesem Streifen endlich etwas mehr Raum. Leider trifft dies nicht auf alle Figuren zu und es fällt auch im aktuellen X-Men Ableger auf, dass Singer die lasterhafte Eigenschaft beibehält, die meisten Mutanten lediglich auf ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten zu reduzieren und sie thematisch nicht ausreichend zu beleuchten. Dies fällt besonders bei Wetterbändigerin Ororo Munroe alias Storm auf. Ihre arg zu kurz geratenen Dialogfenster, die später sogar komplett wegfallen, lassen jegliche charakterliche Tiefe vermissen und degradieren sie zur austauschbaren Randfigur. Bei der Masse an Figuren und den teils topbesetzten Hauptrollen kann dies aber schon mal vorkommen. Es besitzt eben nicht jeder so viel Feingefühl bei der gleichgerechten Ausarbeitung derart vieler Superhelden wie Avengers-Regisseur Joss Whedon.
Gerade rückwirkend betrachtet lässt sich unbedenklich feststellen, dass die Produzenten mit der Besetzung von James McAvoy und Michael Fassbender die richtige Wahl beim Hauptcast getroffen haben. Besonders die nachdenklich stimmenden Gespräche zwischen dem idealistischen Charles Xavier und dem vom Schicksal gebeutelten Eric Lehnsherr über Verantwortung und Machtmissbrauch, Moral und Unmoral und Richtig oder Falsch nähren die omnipräsente Kontroverse um die Mutanten und werden von ihnen durchaus glaubhaft transportiert.
Mit Allzweckwaffe Jennifer Lawrence, die in der Rolle von Mystique auch längst dem festen Cast des X-Men Prequels angehört, holte man sich schon früh einen weiteren verlässlichen Hit-Garanten mit an Bord. Die zwischen den Fronten hin- und hergerissene Gestaltwandlerin Raven Darkholme, welche ihr wahres Antlitz aus Angst vor Entdeckung zu leugnen versucht, verkörpert sie stets gewohnt überzeugend. Wobei ihre parteiische Positionierung im aktuellen Film jetzt etwas klarer definiert scheint. Trotz ihres guten Willens strahlt sie aber auch weiterhin eine gewisse tückische Präsenz aus. Wieder einmal beweist J. Law ihre schauspielerische Vielfalt.
Des Weiteren spielt der immer gefragter werdende Oscar Isaac hier den machthungrigen Apocalypse. Isaacs ganzes Können kommt zwar nicht vollends zum Einsatz, ist aber bei der Figur auch nicht unbedingt von Nöten. So mimt er den wortkargen Supermutanten mit der zentimeterdicken Gesichtsmaskerade durchaus einschüchternd und schafft es mit seinen bedrohlichen Weltuntergangsprophezeiungen hin und wieder Spannung zu erzeugen.
Die komplexe und generationsübergreifende Handlung rund um die diversen Mutanten mit ihren einzigartigen Fähigkeiten wurde durch die neu eingebundene Zeitsprungkomponente nicht gerade leichter zu verfolgen. Während selbst eingefleischte Fans bei der Abhandlung der kompletten Chronologie sämtlicher X-Men Filme, nebst Wolverine und Deadpool Spin-Offs, vereinzelt ins Stottern geraten würden, dürften es Nicht-Insider und Quereinsteiger extrem schwer haben den gesamten Zusammenhang zu durchblicken. „Apocalypse“ ist für Neulinge zwar nur etwas zugänglicher als sein direkter Vorgänger, erzählt aber größtenteils eine eigenständige, nachvollziehbare Superhelden-Geschichte. Aufgrund des übergeordneten Kontexts kann aber auch er nicht völlig als Stand-Alone Blockbuster gewertet werden.
Wo „Zukunft ist Vergangenheit“ bereits mit netten Details aus den 70‘ern, wie Lavalampen, Wasserbetten oder einem amüsanten Querverweis zur Aufklärung des Kennedy- Attentats aufwartete, begeistert „Apocalypse“ ebenso mit etlichen zeitlichen Anspielungen auf die Epoche der 1980èr Jahre. In einer Einstellung in Berlin zieren Trabanten den Parkplatz eines Gebäudes, Teleporter Nightcrawler trägt eine perfekte Kopie der Michael Jackson Jacke aus dem Thriller-Musikvideo und in einer anderen Szene verlassen die Jungmutanten ein Kino mit Kameraschwenk auf die Leuchtreklame von Star Wars VI. Absolute sinngemäße Richtigkeit kann aber auch diesmal nicht vorgewiesen werden. Und so finden sich erneut einige gravierende Logikfehler in der Zeitlinie und der Figurenkonstante, die vorwiegend den beinharten Fans aufgefallen sein mögen. -!Achtung Spoiler! -Beispielsweise hat Mutant Angel im neuen Streifen, der ja zweifellos in der Vergangenheit stattfindet, metallische Engelsflügel und segnet später das Zeitliche. Wohingegen er in „Der letzte Widerstand“, der in der Gegenwart spielt, quicklebendig ist und normale Flügel trägt und nebenbei erwähnt von einem anderen Schauspieler (Ben Foster) dargestellt wird.- !Spoiler Ende! –
Es bleibt abzuwarten, welche Richtung man in zukünftigen X-Men Filmprojekten einschlagen wird und welche interessanten Story-Kniffs noch auf uns warten. Denn mit Wolverine 3 in 2017 kündigt sich schon das nächste Spin-Off zur Hauptreihe an. Ein ultimatives Ende ist demnach also noch lange nicht absehbar. Es erklärt sich von selbst, dass sich das Anschauen des gesamten Abspanns aufgrund einer weiteren Postcredit-Szene erneut lohnt.
Singers konsequente Fortführung der beliebten X-Men Reihe weist auch im neustem Teil keinerlei Ermüdungserscheinungen auf und kommt mit einer spannenden, neuen Geschichte daher. Dem Genre huldigend kommen Actionfans hier voll auf ihre Kosten und dank kluger Parabeln darf das Hirn auch mal gefordert werden. Kenner freuen sich über diversen Fanservice, wobei Zuschauer ohne jegliche Vorkenntnisse vereinzelt auf der Strecke bleiben.