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    Tatort: Das Haus am Ende der Straße
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Tatort: Das Haus am Ende der Straße
    Von Lars-Christian Daniels

    Egal ob der Frankfurter „Tatort: Weil sie böse sind“, der Kieler „Tatort: Borowski und der coole Hund“ oder zuletzt der Wiesbadener „Tatort: Im Schmerz geboren“: Wann immer Michael Proehl („Katze im Sack“) ein Drehbuch für die beliebte Fernsehreihe schrieb, kam ein starker Krimi dabei heraus. Vor allem der mutige Genre-Mix „Im Schmerz geboren“ setzte neue „Tatort“-Maßstäbe und wurde dafür mit mehreren Filmpreisen ausgezeichnet. Die Erwartungen an den ebenfalls vom Hessischen Rundfunk produzierten „Tatort: Das Haus am Ende der Straße“, in dem Hauptkommissar Frank Steier (Joachim Król) das letzte Mal im Einsatz ist, könnten daher höher kaum sein: Erneut stammt das Drehbuch aus der Feder von Proehl, der diesmal gemeinsam mit Erol Yesilkaya am Skript gearbeitet hat. Die hohen Erwartungen werden erfüllt: Der von Regisseur Sebastian Marka („Notruf Hafenkante“) inszenierte Film ist ein hochspannender und fabelhaft besetzter Psychothriller, der dem scheidenden Frankfurter Ermittler einen würdigen Abschied beschert.

    Hauptkommissar Frank Steier (Joachim Król) wird bei einer vermeintlichen Routinebefragung plötzlich mit einer Waffe bedroht: Als der mehrfach vorbestrafte Nico Sauer (Maik Rogge) in einer Wohnung zwei Schüsse abgibt, durchschlagen diese die dünne Wand und töten ein kleines Mädchen in der Nachbarwohnung. Steier muss daraufhin gegen Nico aussagen – und machtlos mit ansehen, wie dessen gewiefter Rechtsanwalt (Wilfried Hochholdinger) vor Gericht einen Freispruch für seinen Mandanten erwirkt. Der Kommissar hatte in der Nacht vor der Tat getrunken und den Einsatz mit gehörig Restalkohol im Blut angetreten. Steier quittiert frustriert den Dienst und will Nico auf eigene Faust zur Rechenschaft ziehen: Er findet heraus, dass dieser zusammen mit seinem Bruder Robin (Vincent Krüger) und dessen drogensüchtiger Freundin Lisa (Janina Schauer) einen Einbruch plant. Die Aktion endet im Desaster: Hausbesitzer Matthias Langenbrock (Steffen Münster) wird getötet und der Nachbar Rolf Poller (Armin Rohde) beobachtet die Tat. Als Steier Poller zu Hilfe eilt, schlägt dieser ihn plötzlich nieder – und sperrt ihn zusammen mit den drei Einbrechern in seinen Keller...

    „Ich will wieder der Held in meinem eigenen Film sein“, gesteht Steier seinem Kollegen Seidel (Peter Kurth), als er nach dem Freispruch des Täters entnervt den Polizeidienst quittiert. Für viele „Tatort“-Zuschauer war Steier das ohnehin: Seine fünf Fälle mit der aufgeweckten Power-Kollegin Conny Mey (Nina Kunzendorf) überzeugten allesamt, lediglich „Tatort: Der Eskimo“, bei dem Steier einmalig von Kommissaranwärterin Linda Dräger (Alwara Höfels) unterstützt wurde, blieb ein wenig hinter den Erwartungen zurück. Der siebte und letzte „Tatort“ mit Joachim Król („Lutter“) ist nun der krönende Abschluss dieser kurzen Erfolgsgeschichte: Die Drehbuchautoren Michael Proehl und Erol Yesilkaya haben dem alkoholkranken Ermittler einen großartigen Abschiedsfall auf den Leib geschrieben, der dessen bisherige Fälle sogar noch übertrifft. Dabei brechen die Filmemacher mit eisernen Prinzipien der Krimireihe: Keine einleitende Tatort-Besichtigung, keine Auswertung von Indizien, keine Verhör-Automatismen, und auch die Täterfrage wird gar nicht erst gestellt. Wer in diesem Krimi der böse Bube ist, steht von vornherein fest.

    Mit dem titelgebenden „Haus am Ende der Straße“ kreieren die Filmemacher einen reizvollen Mikrokosmos, in dem Gesetze und Regeln nach einer fesselnden Schlüsselsequenz im Badezimmer des brutal erschlagenen Hausbesitzers kurzerhand außer Kraft gesetzt werden. Wenngleich dieses Szenario – alle Nachbarhäuser in der Straße stehen angeblich leer – ein wenig konstruiert wirkt, bildet es doch die Grundlage für ein fiebriges Katz-und-Maus-Spiel: Sieht anfangs noch alles danach aus, als sei der ehemalige Familienvater Poller nur zur falschen Zeit am falschen Ort, wandelt sich die 937. Ausgabe der „Tatort“-Reihe schnell vom bitteren Justiz- und Trinkerdrama zum fesselnden und wendungsreichen Psychothriller. Poller gibt die Zügel dabei zu keinem Zeitpunkt aus der Hand und spielt seine Gefangenen geschickt gegeneinander aus: Ein besonders gelungener Einfall der Drehbuchautoren ist ein kleines Loch in der Wand, durch das der angekettete Safeknacker Robin mitansehen muss, was Poller im Nachbarzimmer mit seinem Bruder Nico und seiner Junkie-Freundin Lisa anstellt – und dabei aufs Bitterste enttäuscht wird.

    Was den „Tatort: Das Haus am Ende der Straße“ schon jetzt zu einem der Krimi-Highlights des Jahres 2015 macht, ist aber auch das mitreißende Spiel der beiden Hauptdarsteller: Król gibt seinen alkoholkranken Ermittler gewohnt launisch und abgewrackt, und auch Armin Rohde, der mit Król 1995 in Sönke Wortmanns Kassenschlager „Der bewegte Mann“ ein ungleiches Schwulenpärchen mimte, hat sichtlich Spaß an seiner Rolle. Auch handwerklich spielt Sebastian Markas Psychothriller in der höchsten „Tatort“-Liga: Die Regie ist erstklassig, das Geschehen atmosphärisch unheimlich dicht inszeniert, und Kameramann Armin Alker, der bereits die ersten fünf Steier-Krimis ablichtete, gibt immer wieder Kostproben seines Könnens – beispielsweise, wenn er sich mit der Kamera von Raum zu Raum tastet und dabei an den Heizungsrohren des Hauses orientiert. Weil Steier nur wenig und der von seiner Frau verlassene Poller überhaupt nichts mehr zu verlieren hat, steuert der Film ohne Leerlauf auf einen dramatischen Showdown zu, in dem alles möglich scheint – von der Überwältigung des Peinigers bis hin zum Heldentod des Kommissars.

    Fazit: Sebastian Markas‘ „Tatort: Das Haus am Ende der Straße“ ist schon jetzt einer der stärksten Krimis des Jahres – die Messlatte für Wolfram Koch und Margarita Broich, die im Mai 2015 in Frankfurt die Nachfolge von Joachim Król antreten sollen, liegt hoch.

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