Kleine Frauen, großes Kino!
Von Christoph PetersenBei der Ankündigung, dass Greta Gerwig nach ihrem fünffach oscarnominierten Indie-Megahit „Lady Bird“ als nächstes eine Neuverfilmung von Louisa May Alcotts Kinderbuchklassiker „Little Women“ aus dem Jahr 1869 (deutscher Titel: „Betty und ihre Schwestern“) angehen wird, haben erst einmal alle Alarmglocken geschrillt: Schließlich haben wir schon oft genug mit ansehen müssen, wie sich Filmemacher, denen mit einem solch persönlichen Stoff wie eben „Lady Bird“ der Durchbruch gelang, anschließend einem prestigeträchtigen Stoff der Weltliteratur zuwenden, nur um darüber ihre persönliche Handschrift einzubüßen und stattdessen etwas weitestgehend Belangloses abzuliefern.
Zuletzt ist das etwa John Crowley so ergangen, der nach dem dreifach oscarnominierten „Brooklyn“ mit dem überambitionierten „Der Distelfink“ kreativen und finanziellen Schiffbruch erlitt. Aber alle Sorgen waren umsonst! Nach der Co-Regie bei dem Mumblecore-Drama „Nights And Weekends“ liefert Gerwig mit ihrer zweiten eigenen Arbeit als Autorin und Regisseurin gleich das zweite Meisterwerk in Folge ab. Mit dem herausragend besetzten „Little Women“ gelingt ihr das seltene Kunststück, den nun seit genau 150 Jahren bestehenden Appeal der zumindest in gewissen Aspekten etwas angestaubten Geschichte ohne Abstriche auf die Leinwand zu wuchten, ihn zugleich aber auch mit einem clever eingefügten, ebenso modernen wie persönlichen Kommentar zu versehen.
Das Ergebnis ist ein Film, der die erzählerische Komplexität und emotionale Tiefe einer klassischen Tragödie besitzt, aber trotzdem die herzerwärmende Wirkung eines durch und durch lebensbejahenden Wohlfühlfilms entfaltet. Selten ist man derart beglückt aus dem Kino gekommen, ohne auch nur eine Sekunde das Gefühl haben zu müssen, auf den üblichen Hollywoodkitsch hereingefallen zu sein. Mit diesen „Little Women“ dürfte Greta Gerwig ihrem Ehemann Noah Baumbach und seiner ebenfalls großartigen „Marriage Story“ in der anstehenden Filmpreis-Saison jedenfalls ganz gehörig Konkurrenz machen: Vor allem an Saoirse Ronan, Timothée Chalamet und vor allem der überragenden Florence Pugh führt für die Oscar-Wähler nämlich eigentlich kein Weg vorbei!
Warten auf die Rückkehr ihres Vaters: die vier March-Schwestern!
Worum es in „Little Women“ geht, werden die meisten wahrscheinlich schon wissen, selbst wenn sie das Buch nicht gelesen haben. Schließlich wurde der Stoff – unter anderem 1949 als „Kleine tapfere Jo“ mit Elizabeth Taylor, 1994 als „Betty und ihre Schwestern“ mit Winona Ryder und 1987 sogar als kultige Anime-Serie „Eine fröhliche Familie“ – schon häufiger adaptiert: Während ihr Vater (Bob Odenkirk) im Bürgerkrieg gegen die Sklaverei kämpft, halten die vier March-Schwestern Meg (Emma Watson), Jo (Saoirse Ronan), Beth (Eliza Scanlen) und Amy (Florence Pugh) mit ihrer wohltätigen und fürsorglichen Mutter Marmee (Laura Dern) eng zusammen, um die schwierigen Zeiten gemeinsam durchzustehen. Unterdessen verdreht der ebenso charmante wie wohlhabende Nachbarsjunge Laurie (Timothée Chalamet) zumindest einigen der Schwestern ganz gehörig den Kopf.
Parallel dazu sehen wir, wie es den March-Schwestern sieben Jahre später ergangen ist: Amy reist mit ihrer reichen Tante (Meryl Streep) nach Paris, wo sie zufällig auch auf Laurie trifft, der sich nach einem abgelehnten Heiratsantrag auf den Festen der europäischen High Society austobt. Meg ist verheiratet und hat zwei Kinder bekommen, aber nicht genug Geld, um sich all die schönen Dinge zu leisten, von denen sie einst geträumt hat, während sich die jungenhafte Jo in New York als Privatlehrerin und Autorin von grausamen Schockgeschichten über Wasser hält. Erst als Beth schwer krank wird, kehren alle Schwestern wieder nach Hause zurück...
Stiehlt ihren Co-Stars ein wenig die Show: Florence Pugh als Amy March.
Die vier March-Schwestern und ihre aufopfernde Mutter gehören ohnehin zu den liebenswürdigsten und einnehmendsten Figuren der Literarturgeschichte – und trotzdem holen die Schauspieler in dieser hervorragend ausgestatteten Adaption noch so viel mehr aus ihren Rollen heraus: Saoirse Ronan („Wer ist Hanna?“) lässt als kämpferische, viel für ihre Selbstständigkeit opfernde Jo auch eine berührende Verletzlichkeit durchscheinen, während sie gemeinsam mit Timothée Chalamet den wohl zauberhaftesten romantischen Moment des Kinojahres beisteuert, wenn die schüchterne Jo und Laurie alleine draußen vor den Fenstern tanzen, während drinnen ein rauschendes, aber mit all seinen starren gesellschaftlichen Konventionen eben auch einschüchterndes Fest gefeiert wird. Chalamet festigt damit weiter den Eindruck, dass ihm in Sachen entwaffnendem Charme kein zweiter Darsteller seiner Generation auch nur ansatzweise das Wasser reichen kann.
Man zögert kurz, der inzwischen 23-jährigen Florence Pugh („Lady MacBeth“) ihren Part als pubertierende 13-Jährige abzukaufen. Aber eben auch wirklich nur ganz, ganz kurz. Die rebellierende Amy war bereits in anderen Adaptionen der gar nicht so heimliche Star, aber Pugh hebt die Rolle mit ihrer zweiten herausragenden Leistung des Kinojahres 2019 nach „Midsommar“ noch einmal auf einen neuen Level: Mit ihrer gewinnend-frechen Performance stiehlt sie tatsächlich jede einzelne Szene, in der Amy auftaucht. Emma Watson („Die Schöne und das Biest“) macht ihre Sache als größter Star des Ensembles ebenfalls sehr gut, nur ist der Part der in einer liebevollen, aber finanziell prekären Ehe feststeckenden Meg eben auch einfach nicht der mitreißendste. Trotzdem gilt ganz ohne Zweifel: Leben, Lachen, Freuen, Weinen – all das ist so viel schöner und wärmer, wenn man es gemeinsam mit den March-Schwestern in „Little Women“ tut.
Greta Gerwig gewinnt dem Romanplot dabei nicht nur neue Seiten ab, weil sie sich nicht an die chronologische Erzählweise der Vorlage hält, sondern zwischen den Zeitebenen hin und her springt, was immer wieder völlig neue Perspektiven auf einzelne Ereignisse eröffnet. Sie hat der bekannten Handlung zudem auch noch einen Rahmen hinzugefügt, in dem Jo in New York ihre Geschichten an den Mann zu bringen versucht. Der Verleger Mr. Dashwood (Tracy Letts) erklärt ihr dabei früh eine der obersten Regeln des Geschäfts: Wenn der Protagonist eine Frau ist, muss sie am Ende verheiratet sein – oder tot. Und so ähnlich wird wohl auch Louisa May Alcott gedacht haben, als sie „Little Women“ Mitte des 19. Jahrhunderts geschrieben hat. Gerwig wiederum sieht das aus heutiger Perspektive natürlich ganz anders. Aber anstatt den Plot abzuändern, hat sie ihn auf der Zielgerade mit einem ebenso cleveren wie respektvollen Kniff versehen, der es dem Publikum erlaubt, selbst zu entscheiden, wie genau es das Hochzeitsglocken-Finale lesen will.
Dass Gerwig den Originalstoff von ganzem Herzen liebt, spürt man ohnehin in jeder Szene – und gerade das erlaubt es ihr, „Little Women“ um eine heutige Perspektive zu erweitern, die ebenso von Herzen kommt und sich deshalb auch nie forciert, sondern im Gegenteil ganz natürlich anfühlt (nicht von ungefähr gilt sie als Top-Favoritin in der Oscar-Kategorie Bestes adaptiertes Drehbuch). Nachdem sich unsere Befürchtungen in Bezug auf die Wahl von „Little Women“ als Nachfolgeprojekt zu „Lady Bird“ als vollkommen unbegründet herausgestellt haben, machen wir uns trotzdem weiterhin Sorgen, dass Gerwig nun ausgerechnet einen „Barbie“-Kinofilm angehen will. Da wird sie schließlich noch viel mehr problematische Rollenbilder zurechtrücken müssen (ohne im selben Moment dem Puppenhersteller Mattel zu sehr vors Knie zu treten). Aber wenn das jemand hinbekommt, dann sie – so viel ist nach „Little Women“ mal sicher.
Fazit: „Little Women“ ist mitreißendes, immer berührendes, niemals kitschiges Schauspiel-Kino, das einen trotz aller tragischer Ereignisse einfach unfassbar glücklich wieder in den kalten Winter hinaus entlässt.
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