Inspiriert von den damals gerade bei jungen wohlhabenden US-Amerikanern angesagten Großwildjagden in Afrika und Südamerika, veröffentlichte Richard Cornell 1924 seinen Kurzgeschichten-Klassiker „Das grausamste Spiel“ (1932 verfilmt als „Graf Zaroff – Genie des Bösen“), in dem ein russischer Aristokrat auf einer einsamen Insel in der Karibik Jagd auf einen gestrandeten New Yorker macht. Seitdem ist die Menschenjagd, egal ob als Sport oder zur bloßen Belustigung, ein in Film und Literatur häufig aufgegriffenes Thema – zuletzt etwa auch in „Game Of Thrones“, wo Ramsey Bolton (Iwan Rheon) seinen Opfern nur zum Schein eine Chance gibt, durch den Wald vor ihm und seinen Hunden zu fliehen. In eine ähnliche Kerbe schlägt nun auch Jonás Cuaróns Thriller „Desierto – Tödliche Hetzjagd“, nur dass die Menschenhatz hier nicht in einem Fantasy-Rahmen stattfindet, sondern in einem erschreckend realistischen Szenario.
Nach seiner Abschiebung nach Mexiko will Moises (Gael García Bernal, „Mozart In The Jungle“) unbedingt zurück in die USA – auch weil er seinem dort lebenden Sohn versprochen hat, ihm seinen ausgeborgten Teddybär unbeschadet zurückzubringen. Aber dann hat der kleine Lastwagen der Schlepperbande mitten in der Wüste einen Motorschaden – und so müssen die Migranten wohl oder übel zu Fuß weitermarschieren. Die Hitze ist dabei bald ihr kleinstes Problem: Nachdem Rassist Sam (Jeffrey Dean Morgan, „The Walking Dead“) den Großteil der ihm auf einem Wüstenplateau schutzlos ausgelieferten Einwanderer mühelos mit seinem Scharfschützengewehr niedergestreckt hat, liefert sich der selbsternannte Grenzaufseher mit den wenigen Überlebenden ein ungleiches Katz-und-Maus-Spiel…
Aus der simplen Prämisse hätte leicht auch ein billiger Direct-to-DVD-Reißer werden können – aber als Sohn des zweifachen Oscarpreisträgers Alfonso Cuarón („Harry Potter und der Gefangene von Askaban“, „Children Of Men“) steckt sich Regisseur Jonas Cuarón (der gemeinsam mit seinem Vater das Drehbuch zum Oscar-Abräumer „Gravity“ geschrieben hat) deutlich ambitioniertere Ziele: „Desierto – Tödliche Hetzjagd“ ist im Kern zwar ein gnadenlos geradliniger Thriller mit deutlichen Western-Anklängen, wird aber durch seine starke Inszenierung (die Schönheit der karg-felsigen Landschaft liefert einen verstörenden Kontrast zu dem blutigen Treiben) und seine ungeheure Aktualität (nicht nur wegen Donald Trumps Mauerfantasien) noch einmal extrem aufgewertet.
Nicht nur die Schönheit des Terrains ist in Anbetracht des stattfindenden Massenmordes befremdlich, auch die Stille entfaltet eine ganz ähnliche Wirkung: Wenn Sam mit ruhigem Arm (obwohl er in der brütenden Hitze Whiskey wie Wasser säuft) die erste Gruppe von Einwanderer abknallt, verhallen die Schüsse in der Weite der Wüste erstaunlich leise – ein erschreckend unspektakulärer und deshalb so nachhaltig verstörender Vorgang. Erst zurück im Auto bricht es aus dem vermeintlichen Vaterlandsverteidiger heraus: „You won’t fuck with me now. This is my home!“ Mitleid kennt er mit den in seinen Augen wertlosen Immigranten nicht – nicht einmal, als sein offenbar hervorragend trainierter Hund einem von ihnen die Kehle durchbeißt, woraufhin der Niedergerissene gurgelnd verreckt.
Eine menschliche Reaktion zeigt Sam erst, als sein treuer vierbeiniger Gefährte eine Leuchtrakete ins Maul bekommt und anschließend ähnlich elendig dahinsiecht – solche zynischen Antagonisten waren schon immer typisch für Genrefilme, aber heutzutage muss man sich nur ein paar Minuten durch die sozialen Medien klicken, um zu erkennen, dass diese Figur nicht länger nur erschreckend, sondern inzwischen auch erschreckend glaubhaft ist: So wird aus einem Thriller zugleich ein filmischer Warnschuss. Da ist es wenig überraschend, dass „Desierto“ 2015 von der internationalen Filmkritik beim Festival in Toronto mit einem Hauptpreis ausgezeichnet und in diesem Jahr von Mexiko ins Oscar-Rennen um den besten fremdsprachigen Film geschickt wurde.
Fazit: Erbarmungslos effektiv, alarmierend aktuell.