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    Anderson
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Anderson
    Von Christian Horn

    Der Schriftsteller Sascha Anderson war eine Ikone der alternativen, vor allem im Szenekiez Prenzlauer Berg beheimateten Ost-Berliner Kunstszene. Diese Ausnahmestellung bröckelte gewaltig, als sein Kollege Wolf Biermann ihn 1991 mit der Wendung „Sascha Arschloch“ als ehemaligen Stasi-Spitzel entlarvte, der den Behörden in regelmäßigen Treffen von den Vorgängen in den Künstlerkreisen berichtete. Annekatrin Hendel befragt für ihren bei der Berlinale 2014 uraufgeführten, ungemein sehenswerten Dokumentarfilm „Anderson“ nun den Protagonisten und seine ehemaligen Weggefährten, deren persönliche Verletzungen noch heute tief sitzen. Nach „Vaterlandsverräter“ über den DDR-Schriftsteller und Ex-Stasi-Mitarbeiter Paul Gratzik bildet „Anderson“ den zweiten Teil einer von Hendel geplanten Doku-Trilogie zum Thema „Verrat“, die ein Film über das Attentat auf die Diskothek „La Belle“ im Jahr 1986 vervollständigen soll.

    Der in Weimar geborene Sascha Anderson avancierte nach seiner Ankunft in Berlin schnell zum Leitwolf der DDR-Bohème. Die Wohnküche von Ekkehard Maaß und seiner damaligen Ehefrau Wilfriede in der Schönfließer Straße im Prenzlauer Berg, wo Anderson zeitweise wohnte, war zu dieser Zeit der absolute Treffpunkt der Berliner Literaturszene. Hier wurden Lesungen gehalten und subversive Werke präsentiert. Doch seit einem Gefängnisaufenthalt Ende der Siebziger arbeitete Anderson unter verschiedenen Decknamen als Stasi-Spitzel und plauderte alle möglichen Informationen über seine Freunde aus. Einige dieser verratenen Freunde kommen in „Anderson“ nebst dem Protagonisten selbst zu Wort und beschreiben die damalige Zeit sowie ihre bis heute anhaltende Irritation über den Freundesverrat aus den eigenen Reihen. Darüber hinaus berichten viele Archivaufnahmen und Fotografien auch von der alternativen Ost-Berliner Kunstszene im Allgemeinen.

    „Vor dem Gartenhaus stehen drei Birken, die heißen Schuld und Sühne, ich weiß welche die Liebste mir ist.“ (Sascha Anderson, 1997)

    Für die Interviews mit Anderson hat sich Annekatrin Hendel einen besonderen Clou einfallen lassen: In einem Studio ließ sie die frühere Küche von Ekkehard Maaß mit vielen Originalrequisiten nachbauen. Unter anderem in dieser Kulisse gibt der redegewandte Sascha Anderson nun bereitwillig Auskunft über seine Vergangenheit als Denunziant, liest aus seiner Biographie vor und gesteht sich durchaus Fehler ein – zum Beispiel jenen, dass er der Illusion erlegen war, das System im Griff zu haben. Die oben zitierten, rätselhaften Verse aus einem seiner Bücher spielen ebenfalls auf Andersons Schuld an und tauchen im Film regelmäßig als Leitmotiv auf. Eine Entschuldigung bleibt allerdings aus und geht wohl auch nicht mit Andersons Selbstbild zusammen. Neben den früheren Freunden Ekkehard Maaß und Cornelia Schleime kommen auch Weggefährten wie Roland Jahn zu Wort, der seit 2011 der Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen ist. Diese vielfältigen Gesprächspartner sorgen dafür, dass Hendel nach und ein umfassendes Bild von Anderson entwerfen kann

    Fazit: „Anderson“ ist ein sorgfältig arrangierter Dokumentarfilm über den Ost-Berliner Schriftsteller und Stasi-Informanten Sascha Anderson, der insbesondere die zerstörten Freundschaften des Literaten thematisiert.

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