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    Fräulein Julie
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Fräulein Julie
    Von Michael Meyns

    Warum ausgerechnet die Nordeuropäer so ein Faible für Kammerspiele haben, in denen mit messerscharfen Dialoge Beziehungen seziert werden, ist schwer zu sagen. Von August Strindberg über Carl Theodor Dreyer bis Ingmar Bergman bedienten sich jedenfalls immer wieder Autoren und Regisseure aus Skandinavien dieser Form, so dass sich die Norwegerin Liv Ullmann mit ihrer Neuverfilmung von Strindbergs berühmtesten Stück in bester Gesellschaft befindet. Allerdings macht die ehemalige Bergman-Schauspielerin (und -Geliebte) aus „Fröken Julie“ eine „Miss Julie“ (deutsch: „Fräulein Julie“) und verlegt den Handlungsort aus der schwedischen Provinz nach Irland. Vermutlich ging es ihr bei dieser Entscheidung in erster Linie darum, Hauptdarsteller Colin Farrell („Daredevil“) glaubwürdig erscheinen zu lassen, der verblasst allerdings deutlich gegenüber der größten Attraktion des Films: Als Julie ist Jessica Chastain („Zero Dark Thirty“) oft brillant und schafft es mit ihrem ausdrucksstarken Spiel zumindest zeitweise, die allzu behäbige Regie vergessen zu machen.

    Ein Herrenhaus in Irland, Ende des 19. Jahrhunderts. Die adelige Julie (Jessica Chastain) bereitet sich auf das anstehende Fest zur Mittsommernacht vor, während in der Küche der Diener Jean (Colin Farrell) von einem Ausbruch aus der Enge der Knechtschaft träumt. Seine Verlobte Kathleen (Samantha Morton) betrachtet diese Hoffnung mit Skepsis und wird im Lauf der Nacht zunehmend an den Rand gedrängt. Denn Julie beginnt ein gefährliches Spiel mit Jean, verführt ihn und muss anschließend erleben, wie sich die Machtpositionen in ihrer Beziehung umdrehen.

    Genau wie in Strindbergs Vorlage treten nur drei Figuren in „Fräulein Julie“ auf, wobei Samantha Morton („Minority Report“) als Küchenmagd Kathleen nur wenige kurze Szenen hat. Im Grunde handelt es sich also um ein Zwei-Personen-Stück, ein zweistündiges Aufeinandertreffen zweier Schauspieler an drei Orten: die Küche, ein Schlafzimmer und ein lauschiger Platz im Wald im Schatten eines knorrigen Baums. Dabei die Spannung zu halten, die sich verschiebenden Machtpositionen der Figuren glaubwürdig zu schildern, mit punktuell eingestreuten neuen Informationen die Verhältnisse zwischen den Schichten zu sezieren und dabei auch die Rollen von Frau und Mann zu analysieren, das ist August Strindberg in seinem 1889 uraufgeführten Stück meisterlich gelungen. Auch ein brillanter Regisseur wie Ingmar Bergman hat die Kunst des konzentrierten Dramas immer wieder zur Perfektion gebracht. Bei dem hat Liv Ullmann wiederum zwar einiges gelernt, hat in Kammerspielen wie „Persona“ oder „Schreie und Flüstern“ mitgewirkt, aber in ihren eigenen Regiearbeiten kam sie nie an die Klasse des Meisters heran. Wo Bergmans Regie kompromisslos ist, wirkt Ullmanns Ansatz im Vergleich konventionell und zuweilen unentschlossen.

    Die fehlende inszenatorische Konsequenz spiegelt sich im Umgang der Regisseurin mit den gänzlich gegensätzlichen Stilen ihrer beiden Hauptdarsteller: Während Colin Farrell zum körperlichen, naturalistischen Spiel neigt und sich förmlich in seine Rolle wirft, ist Jessica Chastain ein oft ätherisch wirkendes, entrücktes Wesen. Aus diesem Kontrast kann Ullmann keine dramatischen Funken schlagen, vielmehr bleibt Farrell farblos im Schatten seiner Partnerin. In Filmen wie Malicks „The Tree of Life“ oder „Das Verschwinden der Eleanor Rigby“ wurde Chastain unter männlichem Blick zum Inbegriff des unnahbaren, mysteriösen Weiblichen stilisiert. Ullmann inszeniert sie jedoch inszeniert als tragische Figur, die zwischen getrennten sozialen Sphären hin- und hergerissen ist, die nach einem eigenen Platz in einer Welt sucht, in der die Rolle der Frau starr festgeschrieben ist und die am Ende an ihrer eigenen Leidenschaft zugrunde geht. Das ist meist atemberaubend gut gespielt und entfaltet oft erstaunliche Kraft, aber dabei bleibt Chastain eine isolierte Gestalt im Zentrum eines Films, der nicht gut genug für seine Hauptdarstellerin ist.

    Fazit: Jessica Chastain brilliert als „Fräulein Julie“ in Liv Ullmans ansonsten nicht wirklich überzeugender Adaption des Dramas von August Strindberg.

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