In der deutschen Filmindustrie sind millionenschwere Blockbuster-Produktionen eher die Ausnahme als die Regel. Besonders junge Filmemacher müssen bei ihren ersten Kino-Stehversuchen den Gürtel oft besonders eng schnallen. In seinem Spielfilmdebüt „Kohlhaas oder Die Verhältnismäßigkeit der Mittel“ erzählt HFF-Absolvent Aron Lehmann nun von genau diesem Problem. Wie es seinem Protagonisten gelingt, sich von seinen finanziellen Nöten zu befreien, ist dabei nicht nur äußerst komisch und phantasievoll, sondern ist auch nah den realen Nöten vieler junger (deutscher) Regisseure.
Regisseur Lehmann (Robert Gwisdek) hat gerade erst mit den Dreharbeiten einer opulenten Verfilmung von Heinrich von Kleists „Michael Kohlhaas“ begonnen, da platzt auch schon die gesamte Finanzierung. Von einem Tag auf den anderen verfügt Lehmann weder über ausreichend Komparsen noch über Kostüme oder die notwendigen Kulissen. Selbst die Pferde werden ihm weggenommen. Doch der junge Regisseur lässt sich nicht unterkriegen und überredet sein Team, die Dreharbeiten mit den zur Verfügung stehenden Mitteln trotzdem fortzusetzen. Kühe spielen Pferde und ein ganzes Dorf springt für die verlorengegangenen Kleindarsteller ein - doch selbst die Bauern bemängeln bald die fehlende „Professionalität“. Während sein Filmprojekt jeden Tag von neuem zu scheitern droht, verschwimmen für Lehmann zunehmend Realität und Fiktion…
Der Culture Clash zwischen der ursprünglich als Blockbuster angelegten Filmproduktion und der gemütlichen Dorfgemeinschaft ist saulustig – es wirkt einfach herrlich absurd, wenn sich Jan Messutat als Kohlhaas auf einen Ochsen statt aufs Pferd schwingt oder eine ohnehin viel zu kleine Armee im Wald auf unsichtbare Gegner eindrischt. Gerade die Selbstverständlichkeit, mit der Robert Gwisdek („Renn, wenn du kannst“) als Lehmann selbst in den abstrusesten Situationen seine Produktion noch anführt, überzeugt und fordert das Publikum heraus: Denn während im Theater imaginierte Kulissen und Requisiten üblich sind, erwartet der Zuschauer von einem Film in der Regel eine perfekte Illusion. Mit „Kohlhaas oder Die Verhältnismäßigkeit der Mittel“ beweist nicht nur Leinwand-Lehmann seinen Mitstreitern, sondern auch der reale Lehmann dem Zuschauer, wie viel die eigene Fantasie zur Überzeugungskraft eines Films beitragen kann. Damit formulieren sowohl der reale Regisseur als auch der imaginierte im Film ein Statement gegenüber der zeitgenössischen Filmindustrie: Das Fehlen finanzieller Mittel kann zugleich auch große künstlerische Freiheit bedeuten!
Der Zuschauer wird Zeuge, wie der fiktive Lehmann und sein Team Kleists „Kohlhaas“ auf eine unerwartete und doch ausdrucksstarke Weise inszenieren. Aron Lehmans Film ist somit zugleich eine Adaption von Kleist, als auch ein Blick hinter die Kulissen der Verfilmung. Manchmal führt diese faszinierende Herangehensweise allerdings auch zu Verwirrung, denn nicht immer ist klar, ob es sich bei den gezeigten Szenen immer noch um das Set-Video oder doch schon um eine dritte Realitätsebene handelt, in der die Kamera nicht mehr Teil der Geschichte ist. Diese kleinen Ausreißer sind jedoch zu verschmerzen, spiegeln sie doch im Grunde nur die ewige Sehnsucht des Publikums nach lückenloser Illusion wieder, mit der beide Lehmanns in ihren Filmen ja eh gnadenlos aufräumen.
Je stärker Realität und Fiktion auf der Leinwand ineinander verschwimmen, desto deutlicher treten die Parallelen zwischen dem fiktiven Lehmann und Kleists Kohlhaas zutage: Geradeso wie die literarische Figur nimmt auch der Regisseur sein Schicksal in die eigenen Hände und stellt sich der Macht der Filmbürokratie entgegen. Diese weitere Ebene verleiht dem Werk zwar zusätzliche Tiefe, geht aber auch auf Kosten der Leichtigkeit und des damit verbundenen Humors, der gerade zu Beginn den Reiz von „Kohlhaas oder Die Verhältnismäßigkeit der Mittel“ ausmacht. Dafür gelingt Aron Lehmann ganz nebenbei auch noch eine vielschichtige Satire über die Nöte junger Filmemacher.
Fazit: Aron Lehmann legt mit „Kohlhaas oder Die Verhältnismäßigkeit der Mittel“ ein ebenso bemerkenswertes wie hintersinniges Spielfilmdebüt vor – ein kleiner Film, der auch ohne Pferde große Unterhaltung bietet!