Manchmal scheint es so, als wäre die alte Leichtigkeit des Hongkong-Kinos in den vergangenen Jahren verloren gegangen. Seit der Wiederangliederung der einstigen britischen Kronkolonie ans chinesische Festland 1997 herrscht eine rigidere politische Einmischung und Zensur als zur Zeit der Schirmherrschaft der englischen Krone. Das moderne Hongkong-chinesische Kino wirkt deutlich staatstragender, perfektionistischer und weniger vom freigeistigeren Lustprinzip getragen als zur Hochzeit der Filmhochburg in den Achtzigern. Sicherlich kommen auch heute noch starke Genre-Arbeiten aus Hongkong – oft aber mit deutlich mehr Ernst produziert. Dass dem nicht immer so sein muss, beweist „House Of Fury"-Regisseur Stephen Fung mit dem Event-Martial-Arts-Spektakel „Tai Chi Zero", das zwar wie viele der heutigen Hongkong-Blockbuster vielleicht eine Spur zu perfekt und etwas glatt daherkommt, dafür jedoch mit erfrischendem Ideenreichtum und charmanter Quirligkeit auftrumpft. Es muss ja nicht immer prestigeträchtiger Genre-Kaviar sein – hier steht oberflächlicher aber teuflisch guter Spaß mit charmanten Haudegen und ausufernder Gestaltung bei fetzigem Tempo im Vordergrund.
Im China des 19. Jahrhunderts ist der Teufel los. Die Herrscher liefern sich erbitterte Kämpfe mit der Rebellengruppe „Divine Truth Cult", die mit dem jungen Kämpfer Yang Lu Chan (Yuan Xiaochao) einen der wildesten und schlagkräftigsten Recken unter der Sonne in ihren Diensten haben. Dieser hat eine magische Beule, die ihm übermenschliche Kräfte verleiht, aber töten wird, wenn er weiter kämpft. Daher flüchtet er ins abgelegene Kaff Chen, wo er vom Meister Chen Changxing (Tony Leung Ka-fai) in einer heilsamen Kampfkunst unterrichtet werden will. Der hat jedoch gerade ganz andere Sorgen. So will seine Tochter Chen Yuniang (Angela Yeung Wing) bald den verschrobenen Erfinder Fang Zijing (Eddie Peng) ehelichen, der von den Errungenschaften westlicher Technik wie der Elektrizität begeistert ist und zudem den Plan verfolgt, eine Eisenbahnlinie quer durch Chen zu legen. Als die Bewohner ihn zurückweisen, über Fang grausame Rache und so muss Yang Lu Chan wieder die Fäuste fliegen lassen, um das Dorf zu retten…
Nein, ein akkurates Historienepos mit kolossalem Pomp und heiligem Ernst war es nicht, was Regisseur Stephen Fung hier vorschwebte. Viel mehr gleicht „Tai Chi Zero" einer filmischen Wundertüte mit viel Konfetti und Süßwaren. Hier wird eher beherzt am Rad gedreht und so gut wie jeder filmische Taschenspielertrick aus dem Hut gezaubert, um die oft erzählte Geschichte von den Lehrjahren eines Kämpfers frisch und kurzweilig aufzubereiten. Schon bevor der Vorspann nach einem satte 15 Minuten dauerndem Auftakt in kreischbunter Cartoon-Form über das Publikum hinwegfegt, hat Fung bereits Stilmittel und Bilderstürme vom Zaun gebrochen, die anderswo für einen ganzen Film gereicht hätten. Da tummeln sich Krieger in einer Zack-Snyder-Zeitlupenästhetik à la „300" auf den CGI-Schlachtfeldern, bevor eine schräge doch sehr verspielte Rückblende in die Kinderjahre des Helden im Stummfilmlook so manches Lächeln entlockt. Über allem liegt ein pompöser Soundtrack von Katsunori Ishida, der jedoch jederzeit modernem Heavy Metal weichen kann. Dazu hauen sich die Pro- und Antagonisten bei jeder Gelegenheit eins auf die Mütze, dass es nur so raucht.
Statt handfester Action wie zu Zeiten von „Once Upon A Time In China" gibt es hier originellen Drahtseil-Kung-Fu, bei dem der Getroffene schon mal von einer Straßenseite auf die andere fliegt. Bevor man sich versieht, ist man Fung dabei schon auf den Leim gegangen und starrt verzaubert und bestens unterhalten auf die Leinwand. Dass der Regisseur erzählerisch so manches Mal auf der Stelle tritt und die Charakterentwicklungen hier und da arg durchsichtig sind, ist da gleich viel leichter zu verkraften. Newcomer Jayden Yuan gibt einen Helden, der zwar eine tragische Hintergrundgeschichte spendiert bekommt, jedoch nie echte Fallhöhe gewinnt. Immerzu bleibt er ein bubenhafter Schönling, den man gern als Helden annimmt, dessen Schicksal jedoch nie berührt. Warum auch? Schnell ist klar, dass diese heitere Achterbahnfahrt nicht plötzlich in Richtung Drama abbiegen wird und dass am Ende eben doch alles alles gut wird.
Angela Yeung Wing („A Simple Life") gibt das Fräulein in Not, Eddie Peng („Cold War") den leicht verklemmten Erfinder, der zum Bösewicht mutiert und auch Tony Leung Ka-fai ist mit von der Partie. Dabei zeigt sich, dass der einstige Beau aus Jean-Jacques Anauds „Der Liebhaber" quasi nahtlos und sehr elegant in die Kategorie „chinesische Altstars" gewachsen ist. Auch als Martial-Arts-Altmeister und Elder Statesman ist Leung Ka-fai eine starke Besetzung. All diese Figuren sind allerdings papierdünne Pappkameraden, die kaum ausgestaltet werden. Doch auch als solche versprühen sie reichlich Charme bei ihrem wilden Ritt durch Klischees, die gleichermaßen aus dem Martial-Arts-Kino als auch aus Comics und Videospielen entlehnt sind. Ständig blinken Zeichen über Köpfen auf. Dann wird plötzlich ein Kampf durch graphische Einblendungen zum Prügelspiel à la „Street Fighter 2" erklärt, bloß ohne die Möglichkeit für den Zuschauer, selbst in die Keile einzugreifen.
Dass man passiver Zuschauer bleiben muss, macht hier - anders als bei vielen Videospiel-Adaptionen - jedoch nichts: Fung bombardiert sein Publikum schlichtweg so unablässig mit coolen Einfällen, dass man sich nie fragt, wann die Spielerei wohl aufhören und mal eine richtige, dramatische Geschichte beginnen mag. Dazu kommt es dann auch nie: In „Tai Chi Zero" wird nur munter drauflos geplänkelt. Diese Grundstimmung führt dazu, dass das Treiben nie wirklich emotional involviert, ebenso aber nie auch nur eine Sekunde langweilt. Nach 100 Minuten „Tai Chi Zero" bleibt so ein Gefühl zurück, dass manch einem vom Chips-Genuss vertraut ist: Wirklich nahrhafte Kost bekommt man zwar nicht, aber aufhören kann man irgendwie nicht. Und während man bei den Chips so schnell die nächste Tüte aufmacht, gibt es hier auch die Möglichkeit zum Folgegenuss: Denn es gibt bereits eine direkte Fortsetzung namens „Tai Chi Hero", mit der das Vergnügen nahezu nahtlos weitergesponnen wird. Na dann Mahlzeit!
Fazit: Das gehörig augenzwinkernde Martial-Arts-Epos „Tai Chi Zero" ist kunterbunt, reich an Tohuwabohu, enorm kurzweilig. Hier kann man sich guten Gewissens anschnallen und durchschütteln lassen!