„Das Beste kommt zum Schluss", so verheißt es der Volksmund. Wer dieses Motto über den Dokumentarfilm „Deutschland von oben" stellt, der kann es allerdings nur spöttisch meinen: Zur Abendstunde geht in einem verschneiten Häuschen in den Bergen Fenster für Fenster das Licht an. Recht unvermittelt heißt es dazu aus dem Off: „Von oben erscheinen wir alle klein. Doch jeder ist einer von vielen." Was es mit dieser seltsamen Formulierung auf sich haben soll, das werden wohl nur die Filmemacher hinter „Deutschland von oben" wissen, für die anderen bleibt das Ende frustrierend wirr. Dabei haben die beiden Regisseure, Produzenten und Autoren Petra Höfer und Freddie Röckenhaus zusammen nicht nur mehr als 70 Dokumentarfilme und Dokudramen sowie viele Auszeichnungen vorzuweisen. Ebenso schrieben sie als Journalisten für die bedeutendsten Blätter des Landes. Umso erstaunlicher, wie wenig Sorgfalt sie hier auf das Wort, auf die Formulierung des Kommentars verwenden. Ihre Deutschland-Collage ist zwar großartig fotografiert, lässt aber jegliche erzählerische oder thematische Struktur vermissen. Heraus kommt eine diffuse Heimat-Hymne mit konzeptlosem und schlichtweg irritierendem Off-Kommentar.
Knapp über zwei Stunden Material aus 600 Hubschrauber-Flugstunden präsentieren uns Höfer und Röckenhaus, aufgenommen mit einer hochmodernen Cineflex-Kamera. Der Helikopter fliegt bisweilen bei Windstärke 10 und nur 150 Meter über dem Boden oder über der Nordsee. Kalenderartig werden idyllische Impressionen von rund 60 verschiedenen Drehorten den zwölf Monaten des Jahres zugeordnet. Von den Steinböcken, die in den verschneiten Alpen nach Futter suchen, schweift der Kamerablick zu den vereisten Häfen des Nordens. Im Frühling erwachen malerische Altstädte zu touristischem Leben. Ihre Architekturhistorie wird von Animationen erhellt, ebenso wie die Bombardierung der Großstädte während des Zweiten Weltkriegs. Weitere Stationen sind das Wattenmeer und felsige Gipfel wie der Watzmann, hochmoderne Büroarchitektur in der Mainmetropole Frankfurt und der Kölner Dom, dampfende Kraftwerke und die ockerfarbene Geometrie landwirtschaftlich bestellter Flächen. Der Sommer wird in Hamburg und München verbracht, wo im Herbst auch das Oktoberfest lockt.
Außerdem beobachtet das Aufnahmeteam die Natur bei ihren Vorbereitungen für den Winterschlaf und nimmt immer wieder Extremsportler, Störche und Kraniche bei ihrem Treiben in den freien Lüften in den Blick. Die Kamera soll über den Menschen und Dingen schweben und doch gleichzeitig mitten drin sein – hier der winzige Mensch, dort der gigantische, gefährlich wirkende Berg oder der riesige Dom. Chefkameramann Peter Thompson, der schon bei Peter Jacksons „Der Herr der Ringe"-Trilogie mitarbeitete, befindet sich scheinbar tatsächlich mitten unter den Steinböcken und Rehen, die hoch im Gebirge nach Nahrung suchen. Und doch lassen seine Aufnahmen keine Sekunde vergessen, dass die Tiere in einer für Menschen fast unzugänglichen Zone leben. Eine solche Zone ist auch der Luftraum um Frankfurts Bürotürme, in den sich mutige Fallschirmspringer in einer besonders beeindruckenden Sequenz vorwagen.
Das Packeis, das ein Schiff im Hamburger Hafen einschließt, wirkt dann aber schon weitaus weniger beeindruckend – schließlich leben wir nicht mehr im 19. Jahrhundert. Der merkwürdige Off-Kommentar (Sprecher: Benjamin Völz), der vor leeren Supermarkt-Regalen bei ungelöschter Fracht warnt, macht den Abschnitt auch nicht spannender. Die kleinen Figürchen, die sich in den Karussells des Oktoberfestes drehen, scheinen dann selbst dem Sprecher fast lächerlich vorzukommen. Nur gelegentlich trifft der Kommentar ins Schwarze – etwa bei der liebevoll-karikierenden Annäherung an einen Mann auf einem Berggipfel, der hastig auf seine Frau zuläuft, um den Selbstauslöser seines Fotoapparates nicht zu verpassen. Am liebsten sieht das Regie-Duo die Deutschen als aufopferungsvolle Heger und Pfleger der Tiere, die wie die Jungrobben dauernd irgendwo „Schutz" suchen – „Deutschland" erhält dabei schon mal eine unangenehm zackige Betonung.
Im Gegensatz zu West-, Nord- und Süddeutschland wird der Osten mit Dresden, Bautzen, dem Thüringer Wald und den Ostseestränden auffällig flüchtig gestreift. Bloß die Braunkohle-Mondlandschaften in der Lausitz werden ausgiebig begutachtet. Hier gibt es einmal mehr für sich genommen starke, dabei aber nicht sonderlich clever präsentierte Bilder zu sehen. Die ständige Beschwörung eines Gegensatzes zwischen Naturidylle einerseits und urban-industriellen Kulissen andererseits lässt eher an plattesten grünen Agitprop denken. Untermalt wird die Lektion von einer schlichten Orchesterkomposition (Komposition: Boris Salchow) mit dumpfen Trommeln und zarten Geigenklängen. Diese Oberflächlichkeit steht symptomatisch für „Deutschland von oben": Der Film ist in dieser Form nur als einfältiges Loblied auf die gute alte Heimat zu verstehen.
Fazit: „Deutschland von oben" ist ein stark fotografierter Deutschland-Bilderbogen mit patriotischen Untertönen, darüber hinaus bleibt er thematisch vage und erzählerisch hölzern.