Auf „Kram, der wirklich passiert ist" basiert dieser Film angeblich. So schön schnoddrig steht es im Vorspann von Óskar Thór Axelssons rasantem Island-Thriller „Black's Game - Kaltes Land", den „Drive"-Regisseur Nicolas Winding Refn als ausführender Produzent betreut hat. Zu dem „Kram", der hier verwendet wird, gehört zum einen die von windigen Spekulanten ausgelöste Bankenkrise und zum anderen eine Welle des Verbrechens, die zu Beginn des neuen Jahrtausends die Nordlichter erschütterte: zwei bewaffnete Banküberfälle, ein Drogenfund von bis dahin unbekanntem Ausmaß und ein ebenso gewaltiger Versicherungsbetrug. Island mag zwar eine abgelegene kleine Insel sein, viel kriminelle Energie findet sich aber auch dort.
Der junge Slacker Stebbi (Thor Kristjansson) verbringt nicht zum ersten Mal eine Nacht in der Ausnüchterungszelle, dazu droht ihm diesmal eine Anzeige wegen Körperverletzung. Vor der Wache begegnet ihm der hünenhafte Tóti (Jóhannes Haukur Jóhannesson), ein alter Jugendfreund, der ihm seine Visitenkarte in die Hand drückt. Tóti verspricht Stebbi, sich um einen Anwalt zu kümmern – wenn der ihm im Gegenzug einen Gefallen tut. Und ehe Stebbi sich versieht, ist er in der Welt des organisierten Verbrechens gelandet, in einem Moloch aus Koks, hübschen Blondinen und tödlicher Gewalt. Doch richtig brutal wird die Situation erst, als der finstere Bruno (Damon Younger) die Führung der Bande übernimmt.
Von den ersten Einstellungen an kommt einem das alles irgendwie bekannt vor. Da stolpert Stebbi im Vollsuff durch die Clubs der Stadt, flirrende Bilder einer desorientierten Kamera treiben die Geschichte voran. Sicher, der Stil passt zum Thema, aber dieser Beginn erinnert doch mehr als deutlich an das Video „Smack My Bitch Up" von The Prodigy. Und das ist das Dilemma dieses handwerklich durchaus soliden Films: Für „Kram, der wirklich passiert ist" interessiert sich Axelsson kaum. Wie die geographische Abgeschiedenheit Islands, die monatelangen Nächte oder die weiten, kargen Landschaften eine Gesellschaft prägen und das Böse in ihr fördern, all das ist nicht Axelssons Thema. Auch die außergewöhnliche Infrastruktur der Seefahrernation, die zum Schmuggel förmlich einlädt, wird höchstens am Rande erwähnt. Axelsson hat einen Großstadtkrimi gedreht, der weitaus stärker von den offenkundigen Vorbildern aus der Filmgeschichte und aus anderen Medien inspiriert ist als von der gesellschaftlichen Wirklichkeit.
Das Explosive, die Exzentrik, die Pseudo-Coolness, die stilistische wie erzählerische Beschleunigung und die Allgegenwart des dreckigen Todes verdankt „Black's Game" unzweideutig Quentin Tarantino, selbst einer der größten Wiederkäuer der Filmgeschichte. Die Verführungskraft, die von einem schnellen, berauschten Leben außerhalb der Normen der Gesellschaft ausgeht, packt Axelsson in extrem stilisierte Bilder. Ob es um einen Drogentrip oder einen brutalen Einbruch geht – mal wird die Zeit so stark gerafft, dass Handlungen in schnelle Folgen von Einzelbildern zerlegt werden, mal werden die Sekunden regelrecht zerdehnt, scheint die Realität zu zerfließen. Die Zeit tickt anders auf dieser Seite des Gesetzes, wo der Rausch des Ecstasy herrscht und der Rausch der Aktion.
Die Gemeinschaft der Gangster als unberechenbare Ersatzfamilie, das kennen wir ähnlich bereits von Francis Ford Coppola („Der Pate") und vor allem von Martin Scorsese („GoodFellas - Drei Jahrzehnte in der Mafia"). Für den Verbrecher als tragischen Helden, vielleicht auch als Rebell und Freiheitskämpfer gibt es hier indes keinen Platz mehr – und auch nicht für die Melancholie, mit der etwa Nicolas Winding Refn seinen Antihelden in „Drive" umgab. Wenn ein Film wie „Black's Game" also etwas sagt über unsere Zeit, dann vielleicht das: Aus dem einstigen Revolutionär ist längst ein Konsument geworden, ein neoliberaler Selbstoptimierer, der längst nicht mehr nach Sinn sucht, sondern nur noch nach Geld und flüchtiger Intensität. Neu ist das allerdings auch nicht.
Fazit: Óskar Thór Axelsson zitiert sich in „Black's Game" wild und einigermaßen stilsicher durch die Filmgeschichte. Die fehlende Eigenständigkeit seines Gangster-Thrillers kann er aber auch durch sein hohes Erzähltempo nur teilweise wettmachen.