Vor knapp zehn Jahren hat Andreas Dresen – sowohl im fiktionalen als auch im dokumentarischen Format ein Meister der Alltagsbeobachtungen – schon einmal einen Film über den Politiker Henryk Wichmann gedreht. In „Herr Wichmann von der CDU" porträtierte Dresen einen fleißigen Arbeiter, einen Straßenkämpfer, der zwar schon im Kreistag saß, aber noch Jura studierte. Im Wahlkreis Uckermark/Oberbarnim kämpfte Wichmann 2002 um ein Direktmandat für den Bundestag, führte jedoch einen aussichtslosen Kampf gegen den übermächtigen Rivalen, Herrn Meckel von der SPD. Für „Herr Wichmann aus der dritten Reihe" hat Dresen seinen Fokus nun leicht verschoben, nicht aber den Erzählduktus. Um einen Arbeiter geht es immer noch, der hat es aber inzwischen immerhin ins Landesparlament von Brandenburg geschafft und kann dort gestalten - wie Wichmann es selbst so schön formuliert. Nüchtern, aber nicht ohne Witz, mit Sympathie für seinen Protagonisten, aber mit genügend Distanz erzählt Dresen nun von den ermüdenden Grabenkämpfen im Parlament und von den Detailfragen, an denen sich ein Politiker aufreiben kann.
2009 ist es endlich soweit: Der 33-jährige Henryk Wichmann zieht als Mitglied der CDU-Oppositions-Fraktion in den Landtag von Brandenburg ein. Dort verhandelt er in Debatten, Fraktionssitzungen und auch mal in der Cafeteria vornehmlich die vermeintlich kleinen Fragen der Landes- und Lokalpolitik. Und davon gibt es einige: Eine Polizeiwache soll geschlossen werden, die Anfahrt zur nächsten sei für Menschen in Not dann viel zu weit, findet Wichmann. Ein Zug hält an einem Bahnhof, darf aber wegen unverständlicher Verordnungen seine Türen nicht öffnen. Der Schreiadler, der es in seinem Hort jahrelang neben einer Autobahn ausgehalten hat, soll nun nach dem Willen von Naturschützern trotzdem den Bau eines Radwegs verhindern – gegen solche in seinen Augen absurden Zustände kämpft der engagierte Lokalpolitiker. Und ganz nebenbei – am Rande tollen die Kleinen wie zufällig ins Bild – hat Wichmann auch noch eine Familie mit drei Kindern. Welches Feingefühl bei Verhandlungen in diesem Mikrokosmos nötig ist, thematisiert Dresen allerdings nicht.
Ein Jahr im Parlament und an der Basis – von Sommer 2010 bis Sommer 2011 beschreibt Dresen mit lakonischem, oft auch sanft ironischem Ton. Quälend routinehaft wirkt der Alltag eines Hinterbänklers, der nie mit der großen Bühne der Politik in Berührung kommt und keinen Einfluss auf die ganz großen Fragen hat. Und selbst Entscheidungen des Landtags gehen bisweilen an ihm vorbei: Einmal unterhält sich Wichmann während einer Abstimmung mit einem Fraktionskollegen über eine folgenreiche Fehlbetankung seines Wagens. Plötzlich recken sich Hände zur Abstimmung in die Luft, die beiden tun es - anscheinend überrascht und ohne nachzudenken – einfach ihren CDU-Kollegen gleich: Auch das ist dann repräsentative Demokratie. Dresen zeigt Wichmann als typischen Lokalpolitiker, der zwischen dem Elfenbeinturm des Parlaments auf der einen und dem Seniorenkaffeekränzchen sowie der Aufregung um Polizeiwache und Schreiadler vor Ort auf der anderen Seite pendeln muss.
Die Plenarsitzungen bezeichnet Dresen passend als „das Schauspiel". Hier wird Politik als institutioneller Akt inszeniert. Wichmann selbst hat sich seinen Platz in diesem Ritual erkämpft, er ist in den letzten zehn Jahren vor allem rhetorisch gereift. Das Abspulen von Standardfloskeln, das wir aus dem Wahlkampf im ersten Film kennen, hat er nicht mehr nötig. Bei der Rede eines Parlamentariers, der nur ein paar Jahre weniger auf dem Buckel hat als Wichmann selbst, zeigt sich aber auch, dass der seine gelegentliche Neigung zur großen Klappe nicht abgelegt hat: „Jungchen, Jungchen", tadelt er den Kollegen von oben herab. Weil Dresen darauf verzichtet, den Zwischenruf inhaltlich einzuordnen, ist dies einer der wenigen Momente, in denen Wichmann unangenehm aggressiv und starrköpfig wirkt – dass der wiederum nicht darauf beharrt hat, dass der Moment aus dem Film entfernt wird, zeugt von erstaunlicher Souveränität.
Außerhalb der Parteisitzungen spielt Politik wie wir sie aus den Nachrichten kennen kaum eine Rolle. Das mag daran liegen, dass einer wie Wichmann wohl nie die Welt verändern wird, sondern höchstens die Uckermark. Er geht glaubhaft im Einsatz vor Ort auf, das Klein-Klein der Lokalpolitik für ihn eben kein notdürftiger Ersatz für eine bislang ausgebliebene Bundestagskarriere. Auf subtile Weise beschreibt Dresen all die Widersprüche im Leben des Landespolitikers Henryk Wichmann: Einmal kommt dieser an einem Rentnerehepaar vorbei, das im Vorgarten sitzt - um die beiden türmen sich Gerümpel und niedergetrampelte Pflanzen. Wichmann stellt sich vor und sagt: „Da haben sie aber einen schönen Blick hier." Es ist ein Moment, in dem alles zusammenkommt: Die wirtschaftliche Misere eines Landstrichs und der betont positive Blick eines Politikers, der sich ehrlich kümmernde Idealist und die glatte Oberfläche der Politik.
Fazit: In seiner humorvollen und fairen Betrachtung des Alltags eines rührigen Landtagsabgeordneten gelingen Andreas Dresen eindrückliche Szenen - nicht nur von der Bühne der Politik, sondern auch vom Klein-Klein an der Basis. Darüber hinaus entsteht das ambivalente Porträt eines Menschen, der Politik lebt und einer Region, die solche Politiker bitter nötig hat.