Wer zur Nachmittagszeit den Fernseher einschaltet, dir wird von einer Fülle von Geschichten aus dem „echten" Leben, dem sogenannten „Reality TV", förmlich erschlagen. Nachdem das Konzept der täglichen Talk-Show ausgedient hat und auch die Doku-Soaps, bei denen vornehmlich Menschen aus sozial schwachem Umfeld Einblick in ihr privates Leben geben, irgendwann nicht mehr spannend genug waren, geht der Trend seit einigen Jahren zu vorgeschriebenen Formaten, bei denen Hobby- und Möchtegern-Schauspieler vorgeblich echte und alltägliche Dramen nachspielen. Fiktion wird als die bessere Realität verkauft, und das ruft in der Medienlandschaft schon längst keinen Aufschrei der Entrüstung mehr hervor. In der überdrehten Komödie „Das traurige Leben der Gloria S." nehmen die beiden theater- und filmerfahrenen Regisseurinnen Ute Schall und Christine Groß (die auch die Hauptrolle übernahm) diese Entwicklung auf die Schippe, wollen dabei aber noch mehr bieten: Bestandsaufnahme der alternativen Künstler-Szene, Film-im-Film-Komödie, Porträt zweier Frauen in der Krise, Gesellschaftskritik. 75 Minuten Laufzeit sind allerdings etwas wenig, um all diese Elemente sinnvoll unterzubringen.
Schauspielerin Gloria (Christine Groß) ist chronisch pleite. Und der große Durchbruch ist mit ihrer mäßig begabten Theatertruppe kaum zu erwarten. Auch Filmregisseurin Charlotte (Nina Kronjäger) ist künstlerisch frustriert. Ihr neuestes Werk, ein RAF-Drama, bringt ihr den Vorwurf ein, zu unpolitisch zu sein. Charlotte beschließt deshalb, einen „echten" Film mit „echten" Menschen zu drehen – eine Dokumentation über eine Frau vom unteren Rand der Gesellschaft. Da sich die geeignete Kandidatin nicht einfach auf der Straße findet, wird ein Casting veranstaltet. Und hier kommt Gloria ins Spiel. Beim Vorsprechen tischt sie Charlotte eine ebenso tragische wie frei erfundene Geschichte auf, inklusive Gefängnisaufenthalt und unehelicher Tochter. Prompt ergattert Gloria damit die Rolle und wird fortan ständig von einem Kamera-Team begleitet. Um den Schein zu wahren, bindet Gloria nach und nach ihre Theater-Kollegen als Mitglieder ihrer angeblichen Hartz-IV-Familie in das falsche Spiel mit ein. Doch es kommt, wie es kommen muss: Der Schwindel fliegt auf, und die getäuschte Charlotte dreht den Spieß kurzerhand um...
2009 brachten Ute Schall und Christine Groß „Das traurige Leben der Gloria S." auf die Theaterbühne. Zwei Jahre später folgte mit der zum großen Teil selben Besetzung die Kinoadaption - und die Bühnenherkunft merkt man der Low-Budget-Produktion deutlich an. Das ist an sich nichts Negatives, aber gerade das exaltierte Spiel der (Neben-)Darsteller ist zumindest gewöhnungsbedürftig und trägt zusammen mit der bewussten Überzeichnung der Figuren dazu bei, dass der Film durchweg eine leicht trashige Note erhält, die allerdings nicht uncharmant ist. Dabei sind die schauspielerischen Leistungen, allen voran der beiden Hauptdarstellerinnen, im Einzelnen betrachtet sehenswert. Nina Kronjäger („Elementarteilchen") gibt ihrer Charlotte eine divenhafte Ausstrahlung und Christine Groß überzeugt mit verschmitzter Ironie. Ein Sonderlob verdient sich auch Margarita Broich („Liebe Mauer") als leidgeprüfte, aber mit allen Wassern gewaschene Produzentin.
„Das traurige Leben der Gloria S." ist in drei klar voneinander getrennte Abschnitte aufgeteilt. Im ersten Drittel wird mit der Einführung der beiden Protagonistinnen die Glamourwelt des Kinos (immerhin läuft einmal kurz „Pina"-Regisseur Wim Wenders durchs Bild) der (Berliner) Theaterszene abseits der großen Bühnen gegenübergestellt, ohne dass dies allzu geistreich oder erhellend wäre. Im Mittelteil nimmt der Film dann aber Fahrt auf und wird zu einer turbulenten und durchaus komischen Film-im-Film-Komödie. Eine Theatertruppe, die ihr schauspielerisches Talent im richtigen Leben mehr oder weniger gekonnt einsetzt, hat man in der Filmgeschichte natürlich schon oft gesehen, und dazu muss man nicht bis zu Ernst Lubitschs Komödien-Meisterwerk „Sein oder Nichtsein" zurückgehen. Schall und Groß glänzen hier mit Ideenreichtum und zelebrieren auf allen Handlungsebenen ein amüsantes Doppelspiel.
Wenn Gloria und ihre Kollegen mit allen Mitteln versuchen, die Fassade der Prekariats-Familie aufrechtzuerhalten, wird das zu einem aufgeregten Spektakel, das gerade durch seinen theatralischen Anstrich funktioniert: Das Leben wird zur Farce, in der eine absurde Szene in der Art einer Nummernrevue auf die andere folgt. Für die lustigsten Momente sorgt vor allem Jean Chaize als eitler Theater-Mime Pierre, der das falsche Spiel auf die Spitze treibt, nachdem er hinter Glorias Geheimnis gekommen ist. Nun tritt er vor Charlottes Kamera kurzerhand als Glorias ehemaliger Gefängniswärter, Geliebter und Vater der gemeinsamen (natürlich schwangeren) Tochter auf. Die lakonischen Dialoge sitzen dabei meist, aber in dem Bemühen um satirische Überspitzung schießen die Filmemacherinnen gelegentlich auch übers Ziel hinaus. So trifft es sicher nicht jedermanns Geschmack, wenn aus der Frage, ob Gloria von Pierre vergewaltigt wurde oder nicht, ein Running Gag gemacht wird.
Gegen Ende bekommt das komödiantische Spiel um Schein und Sein immer stärker den Anstrich einer Medien-Satire, die allerdings viel zu zahm ausfällt. Dass in der Film- und Fernseh-Branche vor allem die Zuschauerzahlen von Belang sind und dass wenig Rücksicht auf die Wahrheit und persönliche Schicksale genommen wird, ist keine neue Erkenntnis und wird hier zudem auch nicht konsequent ausgearbeitet. An dieser Stelle macht sich negativ bemerkbar, dass im Film einfach zu viele verschiedene Themen angeschnitten werden, die nicht zu Ende gedacht werden. Ein eklatantes Beispiel dafür ist auch der bloß angedeutete kritische Blick auf gesellschaftliche Ungerechtigkeit und schwierige soziale Verhältnisse, ein Versuch, der komplett im Sande verläuft.
Fazit: In der thematisch überladenen, streckenweise aber wirklich lustigen Komödie sprechen Ute Schall und Christine Groß auf bissige Weise wichtige Themen an, treffen dabei aber nicht immer hundertprozentig ins Schwarze.