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    Whores' Glory
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Whores' Glory
    Von Robert Cherkowski

    Ähnlich wie seine Kollegen Werner Herzog, Ulrich Seidl und neuerdings Andres Veiel gehört auch der Österreicher Michael Glawogger zu jenem erlauchten Kreis an Regisseuren, die sowohl im Bereich des Spielfilms und der Dokumentation gleichermaßen höchste Weihen erreicht haben. Mit einer skurrilen Drogenfarce („Contact High") und einem kantig-komplizierten Drama über die generationenübergreifende Aufarbeitung des Holocaust („Das Vaterspiel") hat er den unberechenbaren Spielfilm-Derwisch gegeben, mit seinen Dokumentarfilmen „Megacities" und besonders „Workingman's Death" dagegen eindrucksvolle und alarmierende Bilder einer globalisierten Welt auf die Leinwand gewuchtet. Während Glawogger in „Megacities" Höllenszenerarien absurder Bevölkerungsdichte in den Supermetropolen ablichtete, suchte er für „Workingman's Death" die Knochenarbeiter der Welt auf. Mit beiden Werken gelangen ihm faszinierende Einblicke in den alltäglichen Überlebenskampf auf den Schattenseiten der schönen neuen Welt. „Whores' Glory" bringt die lose verbundene Doku-Trilogie nun zum Abschluss. Wieder steht harte Arbeit in den Metropolen am anderen Ende der Welt im Mittelpunkt. Wieder geht es ums Überleben, koste es was es wolle; diesmal – der Titel lässt es erahnen – im ältesten Gewerbe der Welt. Dafür hat er Bordelle auf allen Kontinenten besucht und Zeit mit den Prostituierten verbracht. In „Whores' Glory" werden drei Modelle und Gesichter des Geschäfts mit der Lust präsentiert, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten.

    Sein erster Abstecher führt ihn in die thailändische Hauptstadt und Sextourismus-Metropole Bangkok; in das „Fish Tank"-Bordell, in dem junge Frauen wie in einem Aquarium hinter Glas sitzen und von Geschäftsmännern auf der Durchreise begutachtet werden, bevor sie ausgewählt und zum Sex auf eines der Zimmer bestellt werden. Prostitution scheint hier in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein. Die Damen im „Fish Tank" vermitteln den Eindruck, Prostitution sei eine Chance im Leben einer Frau. Sie wissen, dass es kein Job für immer ist. Ab 30 wird das Geschäft härter und die Selektion setzt ein. Bis dahin aber gilt es, so viel Geld wie möglich zu machen. Das erinnert an Michel Houllebeqcs Roman „Plattform", in dem der Sextourismus als große Chance für einen multinationalen Tauschhandel interpretiert wurde: Jeder gibt, was er hat; die einen ihr Geld, die anderen ihren Körper – Win/Win. Nach diesem Besuch im Disneyland der Prostitution verschlägt es Glawogger in eine irdische Hölle, die gar nicht weiter von der zumindest vordergründig so sauberen und professionellen Sex-Metropole Bangkok entfernt sein könnte.

    In der sogenannten „Stadt der Freude", einem heruntergekommenen Bordell in Bangladesh, hausen Huren jeden Alters am Rande des Existenzminimums und ziehen in einem Klima von Angst, Gewalt und Armut unter der Schirmherrschaft despotischer Puffmütter ihre Kinder groß, die ebenfalls keine Alternative zum vorgezeichneten Lebenslauf als Prostituierte haben. Der verzweifelte Kampf um die Freier gehört dabei ebenso zum Alltag wie Hunger, miserable Hygiene und nervliche Dauerbelastung. In der Reihenfolge, in der Glawogger seine Weltreise montiert, offenbart sich seine dokumentarische Intention: Wiegt er sein Publikum zuerst noch mit Impressionen geschäftiger Transparenz und Harmlosigkeit in emotionaler Sicherheit, zieht er ihm wenig später mit einem echten Tiefschlag den Boden unter den Füßen weg. Abschließend wird das mexikanische Hurenviertel „La Zona" in Reynosa, Mexiko besucht, in dem schlichtweg obszöner Wahnsinn herrscht. Waren die ersten Episoden noch relativ züchtig, sind die Bilder im Schlussakt der „Zone" von vulgärer Offenheit.

    Die Frauen, die in den spartanischen Flachbauten des abgesperrten und von Polizisten bewachten Hurenviertels ihrem Erwerb nachgehen, treten ungleich freizügiger auf. Wenn eine der Prostituierten mit heruntergelassenem Minirock und über die Brüste gezogenem Top debil lachend die schlecht asphaltierten Straßen rauf und runter torkelt oder die regelrecht vom Analverkehr besessenen Kunden feixend ihre Auto-Runden drehen, hat Glawogger sein Sodom und Gomorra gefunden. Der Geschlechtsakt, den er als schmutziges, trauriges und höchst unbefriedigendes Handwerk zeigt, wirkt hier bloß noch wie eine verzweifelte zwischenmenschliche Notdurft. So trist war ein Abstecher in die Pornographie noch nie. Speziell die mexikanische Episode lässt allerdings erahnen, dass Glawoggers Einblicke stets nur das erfassen, was die örtliche Rotlichtmafia ihn sehen lässt. Wenn – eher zwischen den Zeilen – von räuberischen Polizisten am Rande des Bezirks die Rede ist, wird eine ganze Welt der Ausbeutung und Gewalt außerhalb des Blickfeldes angedeutet. Weit in diese Welt wollte oder konnte Glawogger jedoch nicht gehen.

    Wie in den Doku-Vorgängern „Megacities" und „Workingmans Death" ist Glawogger weniger daran interessiert, die großen Zusammenhänge hinter den Ausschnitten zu thematisieren. Er zeigt lediglich auf Türen, die sein Publikum mit vertiefender Beschäftigung nach dem Film selbst öffnen und durchschreiten muss, um den Kontext der Bilder zu erfassen. Trotzdem ist er mit „Whores' Glory" so nah wie möglich am Geschehen. Ob in halbinszenierten Stillleben, bei denen er auf den gezeichneten Gesichtern seiner „Heldinnen der Arbeit" verharrt, in unterkühlten Tableaus von der klinischen Fleischbeschau im „Fish Tank" oder in Kamerafahrten durch die chaotisch-lebhaften Katakomben der Freudenstadt – er ist stets mittendrin statt nur dabei, ob er will oder nicht. Ärgerlich ist dabei, dass er die Bilder nicht für sich stehen lassen kann. Furchtbar geschmacksunsicher erklingt dann an den unpassendsten Stellen ein schmierig-gelackter Depri-Pop, der die Tragik der industrialisierten Sexualität überzuckert, statt sie zu heiligen. Trotz seiner Schwächen ist der Film aber immernoch ein gelungener Abschluss für Glawoggers Doku-Trilogie. Mag er hier auch nicht so punktgenau wie in den grandiosen Vorgänger arbeiten – seinen Ausnahmestatus als wagender Dokumentarfilm-Auteur hat Glawogger mit „Whores' Glory" eindrucksvoll zementiert.

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