Der milliardenschwere Flugzeugfanatiker, Filmproduzent und Frauenheld Howard Hughes (1905 - 1976) hat schon die Oscarpreisträger Jonathan Demme („Melvin und Howard“) und Martin Scorsese („Aviator“) zu beeindruckenden Filmen inspiriert. Nun widmet sich Hollywood-Legende Warren Beatty (Regie-Oscar für „Reds“) mit „Regeln spielen keine Rolle“ ebenfalls dem exzentrischen Unternehmer - eine ideale Paarung, nicht nur weil Beatty lange Zeit als fleißigster Schürzenjäger Hollywoods galt. Darüber hinaus haben die beiden fast schon überlebensgroßen Persönlichkeiten vor allem ihren ausgeprägten Individualismus gemeinsam - und so ist es letztendlich auch der darstellerische und inszenatorische Eigensinn Beattys, der aus einem streckenweise zerfahrenen und erzählerisch schwachbrüstigen Film eine sehenswerte kleine Kino-Verrücktheit macht. Der inzwischen 79-jährige Star zeigt in der Tragikomödie eine Frische, als hätte er gerade in der vergangenen Woche noch an seinem bahnbrechenden Gangsterepos „Bonnie und Clyde“ gearbeitet und nicht einen unglücklichen Umschlags-Fiasko-Auftritt bei der Oscarverleihung hingelegt.
Hollywood, 1959: Die junge Marla Mabrey (Lily Collins) kommt mit ihrer Mutter Lucy (Annette Bening) aus der Provinz nach Los Angeles. Der berühmte Produzent und Industrielle Howard Hughes (Warren Beatty) hat sie unter Vertrag genommen und ihr Probeaufnahmen in Aussicht gestellt. Der Milliardär lässt sie von seinem angestellten Fahrer Frank Forbes (Alden Ehrenreich) abholen und bringt die beiden Frauen in einem schicken Bungalow unter. Zu einer persönlichen Begegnung zwischen dem Milliardär und der Schauspielerin in spe kommt es jedoch wochenlang nicht. Auch Frank, der seinem Chef ein Immobiliengeschäft vorschlagen möchte, schafft es nicht, bis zu Hughes vorzudringen. Dafür findet der junge Mann zunehmend Gefallen an Marla, nur ist sie Baptistin und er Methodist. Und was noch schlimmer ist: Howard Hughes hat jede persönliche Beziehung unter seinen Angestellten strengstens verboten. Wer gegen diese Regel verstößt, wird entlassen…
„Überprüfe niemals einen interessanten Fakt!“
Dieses ironische Motto (angeblich ein Zitat von Howard Hughes, wir haben es nicht überprüft…) stellt Warren Beatty seinem Film voran. Dabei geht es dem Filmemacher nicht um ein manipulatives postfaktisches Verdrehen von Tatsachen, sondern um die reine Freude an einer guten Story. Er weist uns mit einem Augenzwinkern darauf hin, dass im Reich des exzentrischen Egomanen Hughes die Legenden sprießen und lässt gleich in der Rahmenhandlung dessen Geisteszustand anzweifeln. In der folgenden halben Stunde des Films zeigt er uns dann wie aus schnöden Tatsachen blumige Anekdoten werden. Alles dreht sich um Hughes, aber der einsiedlerische Geschäftsmann tritt noch nicht persönlich in Erscheinung. Es wird unentwegt über ihn diskutiert und spekuliert und irgendwann hört man ihn dann über Damenunterwäsche reden. Aber die Mühe, die er sich gibt, niemandem unter die Augen treten zu müssen, spricht schon Bände (die monatlichen Schecks für seine kleine Armada an Jungschauspielerinnen lässt er aus dem Bürofenster baumeln).
Die Marotten des Milliardärs überschatten auch die sich anbahnende Romanze zwischen Frank und Marla. Alden Ehrenreich (Shootingstar aus „Hail, Caesar!“ und zukünftiger Han Solo) zeigt zwar erneut die Anlagen eine klassischen Hollywoodstars, aber seine Figur gewinnt kaum eigenes Profil. Lily Collins („Spieglein, Spieglein“) bekommt zwar immerhin einige schöne Szenen mit Beatty spendiert (vor allem ein komisches Techtelmechtel mit dem über 50 Jahre älteren Kollegen bewahrt sie durch ihre Natürlichkeit vor dem Abdriften ins Peinliche), aber auch sie spielt hier nur die zweite Geige: „Regeln spielen keine Rolle“ ist ganz klar Warren Beattys Film. Am schönsten fügt sich Matthew Broderick („Ferris macht blau“) als Hughes‘ rechte Hand Levar Mathis mit einer Mischung aus Resignation, Nachsicht, Spott und Bewunderung in sein Nebenrollenschicksal. Beatty dagegen dominiert selbst die Szenen, in denen er nur im Halbdunkel in der Ecke sitzt. Sein Mienenspiel ist inzwischen etwas maskenhaft und man sieht, dass er 20 Jahre zu alt für die Rolle ist, aber das ist zweitrangig, wenn er mit seinem Gedächtnis ringt und manisch immer wieder dasselbe Wort wiederholt, wenn er sich am Telefon windet und persönliche Kontakte um jeden Preis zu vermeiden versucht, wenn er am Steuer eines Flugzeugs Narrenfreiheit genießt oder mit einer völlig überraschenden Mischung aus Abscheu und Panik auf die Anwesenheit eines Kindes im Zimmer reagiert.
Aber „Regeln spielen keine Rolle“ ist nicht nur ein Showstück für einen grandiosen alternden und mehr als etwas eitlen Starschauspieler, sondern auch der Film eines Regisseurs, der sich quer zu fast allen Regeln des Hollywoodkinos stellt. Eine klassische Dramaturgie ist hier genauso nebensächlich wie eine vertiefende Figurenzeichnung - und der Erzählrhythmus lässt sich nicht anders beschreiben als holprig. Aber wenn Beatty eine Szene gefällt, dann darf sie fast endlos lang sein – wie etwa die schon erwähnte Flugzeugszene, die dafür völlig abrupt und geradezu antidramatisch endet. Ganz wie Hughes seinen Launen folgt, tut es auch Beatty und das hat etwas Verführerisches. Da lässt er für einen einzigen kurzen Moment Hunderte Becher mit Banane-Nuss-Eis aufstapeln, ausführlich schwelgt er in den Dekors der späten 1950er Jahren – Autos, Frisuren, Musik, das stimmt alles bis ins letzte Detail. Trotzdem hat die Ausstattung nichts Dekorativ-Nostalgisches an sich, sondern die Atmosphäre ist fast schon melancholisch. Und wenn dazu immer wieder das weltentrückte Adagietto aus Gustav Mahlers Symphonie Nr. 5 erklingt, dann befinden wir uns endgültig im Schwanengesang eines Künstlers, der seinen Film nur noch für sich selbst zu machen scheint. Zu sehen, wie sich jemand diese Freiheit einfach nimmt, ist zumindest beeindruckend.
Fazit: Warren Beattys tragikomischer Howard-Hughes-Film ist genauso extravagant wie seine schillernde Hauptfigur - und vor allem deshalb sehenswert.