„Wu Xia" ist der chinesische Begriff für Martial-Arts-Filme mit fantastischem Einschlag, die zumeist an historischen Schauplätzen spielen. Das Wort setzt sich aus zwei chinesischen Schriftzeichen zusammen: Während „Wu" in einer abstrakteren Bedeutung für Krieg und Kampfkunst steht, bezeichnet „Xia" einen Held oder Abenteurer. Der Film von Regisseur Peter Ho-Sun Chan trägt also sein Genre, das durch Filme wie „Tiger & Dragon" oder „Hero" auch in unseren Breitengraden Beachtung und Anerkennung erlangte, bereits in seinem Titel. „Wu Xia" ist aber nun zwar nicht das größte Schlachtenepos aller Zeiten, aber ein actionorientiertes Drama, das die Stärken des Wu-Xia-Genres geschickt mit einer Detektivstory vermischt, die Parallelen zu David Cronenbergs „A History of Violence" aufweist.
China, 1917: Als zwei Banditen in einem verschlafenen Dorf einen Ladenbesitzer bedrohen, kommt diesem der bisher unscheinbare Papiermacher Liu Jinxi (Donnie Yen) zur Hilfe. Erstaunlicherweise gelingt es ihm, die beiden kampferprobten und polizeilich gesuchten Verbrecher auszuschalten. Ermittler Xu Baijiu (Takeshi Kaneshiro) findet diesen Zwischenfall deshalb mehr als seltsam. Nach genauerer Untersuchung der beiden Leichen, der Befragung der Augenzeugen und einer Unterredung mit Lius Frau Ayu (Tang Wei) keimt in Xu der Verdacht, dass es sich bei dem liebevollen Familienvater und neuen Dorfhelden Liu um den untergetauchten Killer einer berüchtigten Gruppierung namens „72 Dämonen" handeln könnte. Und auch deren blutrünstiger Anführer (Jimmy Wang Yu) ist immer noch auf der Suche nach seinem untergetauchten ehemaligen Untergebenen namens Tang Long...
Peter Ho-Sun Chan („The Warlords") lässt sich viel Zeit, um das ländliche Idyll vorzustellen, in dem Liu zusammen mit seiner Familie lebt. Das Kampfgeschehen blendet er nach der blutigen Auseinandersetzung zu Anfang bis zum letzten Drittel wieder aus. Dafür darf der Zuschauer den gekonnt inszenierten Ermittlungen des in Akupunktur bewanderten Ermittlers Xu folgen, dessen Gedankengänge zum möglichen Hergang des Kampfes in stylischen Zeitlupenaufnahmen visualisiert werden. Außerdem werden per CGI die Auswirkungen des Kampfes im Inneren der Opfer anschaulich gemacht. Ob der Detektiv dabei auf der richtigen Fährte schnüffelt, wird lange im Vagen gelassen, aber da die Rolle des Liu mit dem Kampfsportexperten Donnie Yen besetzt ist, versteht sich trotzdem von selbst, dass in der Richtung noch etwas kommen muss.
Die Geschichte eines unscheinbaren Familienmenschen, der bei einem Raubüberfall über sich hinauswächst und dessen Vergangenheit ihn daraufhin einholt, weist unbestreitbar Parallelen zu „A History of Violence" auf. Doch die psychologische Tiefe des Thrillers von David Cronenberg erreicht Chen nie, weil sich sein Film nur oberflächlich mit dem brodelnden Identitätskonflikt auseinandersetzt. Auch passen sich die vielen Rückblenden, in denen die Vergangenheit von Liu und Detektiv Xus sowie die damit verbundenen Dämonen beschworen werden, nicht immer logisch in das Storykonzept ein. Für einnehmende Actionszenen beweist der Regisseur hingegen wieder einmal ein gutes Händchen, gerade Donnie Yen versteht er in dynamischen, hervorragend choreographierten Szenen ins rechte Licht zu rücken. So wähnt sich der Zuschauer direkt im Kampfgetümmel, ohne dass er deshalb gleich den Überblick über das Geschehen verlieren würde.
Donnie Yen („Ip Man") agiert in der Rolle des Liu sehr zurückhaltend – das ist auf der einen Seite zwar angenehm, aber die inneren Konflikte des nur scheinbar harmlosen Papiermachers werden so für den Zuschauer nie wirklich erfahrbar. Dafür darf der Martial-Arts-Superstar in den meist sehr realistisch gehaltenen Kämpfen sein ganzes Können aufbieten. Insbesondere im Duell mit Actionveteranin Kara Hui weiß Yen mit seinen unerreichten Kampfkünsten aufzutrumpfen. Für den finalen Fight, der leider in einem lächerlich anmutenden Ende mündet, wird der realistische Ansatz aber leider doch noch aufgegeben. Tang Wei („Gefahr und Begierde") wird unterdessen zum Opfer ihrer nur sporadisch ausgearbeiteten Rolle der schüchternen Hausfrau, während Takeshi Kaneshiro („Red Cliff") als pfiffiger, aber etwas weltentrückter Ermittler ausnahmslos begeistert.
Fazit: „Wu Xia" ist trotz einiger ausgefeilter Kämpfe nicht die große Kampfsport-Oper, die man bei dem Titel erwartet hätte. Aber dafür gibt es eine unterhaltsame Detektivgeschichte und mit den in die Actionszenen eingeflochtenen Zeitlupen, die das Kampfgeschehen aus verschiedenen Blickwinkeln erörtern, bringt der Film zudem ein wenig frischen Wind ins altehrwürdige Wu-Xia-Genre.