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    Ich und du
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Ich und du
    Von Robert Cherkowski

    Auch Regielegenden können sehr umstritten sein. Die Karriere von Bernardo Bertolucci ist seit nunmehr einem halben Jahrhundert reich an Aufs und Abs, vor allem was die Rezeption seiner Werke betrifft. Da stehen dann Meisterwerke neben Edeltrash. Nach frühen, sehr intelligenten und bedächtig erzählten Filmen wie „Die Strategie der Spinne" oder „Der große Irrtum" griff der Italiener mit seinem Meilenstein „Der letzte Tango in Paris" und mit dem monumentalen Klassenkampf-Epos „1900" nach den Sternen und schuf europäisches Kino von Weltrang. Dieser Stellung entsprechend verlegte sich Bertolucci in den 80ern und 90ern auf aufwändig produzierte Epen, die einerseits mit Oscars überhäuft („Der letzte Kaiser"), zum anderen als Arthouse-Kitsch abgetan wurden („Little Buddha"). In der Folge drehte der Regisseur dann wieder kleinere und persönlichere Filme, was bei „Die Träumer" wunderbar funktionierte, auch wenn in der Kritik da wie schon bei „Gefühl und Verführung" zuweilen die Rede von vermeintlicher Altherrengeilheit und Küchentischpsychologie war. Mit seinem neuesten Werk „Ich und du" („Io e te") bleibt Bertolucci auf diesem Pfad persönlichen Filmemachens, wobei er eben auch viele seiner persönlichen Lieblingsthemen und –motive aufgreift. So dokumentiert das Drama die Stärken, vor allem aber die Schwächen, die in der Debatte um Bertoluccis Schaffen schon länger diskutiert werden.

    Statt mit Gleichaltrigen verbringt der vierzehnjährige Lorenzo (Jacopo Olmo Antinori) seine Zeit allein und vergräbt sich in Büchern. Auch mit seiner Mutter versteht er sich nicht besonders gut. Als seine Schulklasse einen Ski-Ausflug in die Berge unternimmt, nutzt er die Chance und büxt aus. Er tut so, als würde er mitfahren, verschanzt sich jedoch tatsächlich in den Kellergewölben eines Mietshauses seines Vaters und genießt ein paar Tage der Einsamkeit: Er liest und beobachtet eine Ameisenfarm. Mit der ruhigen Zeit ist es jedoch bald vorbei, als seine große Schwester Olivia (Tea Falco) aus der ersten Ehe des Vaters im Keller aufschlägt, um dort unterzuschlüpfen. Da diese sein Eremitendasein sonst verpetzen würde, muss Lorenzo sie dulden. Dabei stellt sich heraus, dass Olivia schwer heroinabhängig ist. Lorenzo will ihr helfen. Und die Halbgeschwister kommen sich näher...

    „Ich und du" fühlt sich beizeiten an wie ein Best-Of verschiedenster Bertolucci-Motive, die auf altersmilde Art kombiniert werden. Die Ausgangssituation - Mann und Frau ringen auf beengtem Raum mit ihren Dämonen – hat der Altersmeister schon 1972 im berühmten „Der letzte Tango in Paris" durchgespielt und seither mehrmals variiert, so etwa in „Die Träumer", dessen Weltflucht-Thema sich ebenfalls in „Io e Te" wiederfindet. Heroinsucht und Inzest-Motive, die wiederum gab es auch schon im 1979er Drama „La Luna". Neu ist am neuesten Werk Bertoluccis in dieser Hinsicht nicht viel, auch die Einsicht nicht, dass es eine problematische Unternehmung sein kann, wenn ein 71-jähriger Regisseur versucht, sich in die Psyche von Jugendlichen einzufühlen. Bertoluccis Held ist entsprechend eine ebenso interessante wie hoffnungslos unglaubwürdig geschriebene (Kunst-)Figur, deren Mentalität nicht in dieses Jahrzehnt passt und die in jeder ihrer Handlungen gestelzt wirkt.

    Bereits wenn sich Lorenzo in der ersten Szene seinen Walkman aufsetzt und The Cures „Boys don't Cry" hört, kann man sich fragen, wie lange das Drehbuch schon auf Bertoluccis Schreibtisch lag. 14-jährige Jungs von heute hören jedenfalls nicht mehr unbedingt diese Musik, die ganze romantische Extravaganz der Geschichte und das Gebaren der Figuren fühlt sich im Jahre 2012 nicht einen Moment lang authentisch an. Den Darstellern kann man dabei keinen Vorwurf machen. Jacopo Olmo Antinori und Tea Falco machen das Beste aus ihren Rollen. Antinori hat ein echtes Charaktergesicht und zieht als Lorenzo die Blicke auf sich, auch wenn er zuerst höchst unsympathisch auftritt und es ein Weilchen dauert, bis man ihn als Helden der Geschichte akzeptiert. Derartige Ecken und Kanten laden jedoch immer noch wesentlich eher zur nachhaltigen Identifikation ein als glattgebügelte Boy-Band-Teeniestars.

    Auch Tea Falco als Olivia muss mit einem sehr schlichten Rollenentwurf hantieren. Die glamourös-erotischen Leidensposen, in die sie sich hier werfen muss, sprechen Bände und zeugen von einem halbseidenen Frauenbild: die leidende Nymphe, die es zu retten gilt. Den Vorwurf des Sexismus musste sich Bertolucci schon öfter anhören und nicht immer mag er angebracht gewesen sein. Wenn sich Olivia jedoch auf Entzug nur in Unterwäsche bekleidet und von einem Schweißfilm überzogen auf dem Boden einer verranzten Kellertoilette räkelt und in Agonie stöhnt, dann ist das einfach nur Trash in Reinform. Da nützt es auch wenig, dass Bertoluccis Kameramann Fabio Cianchetti das Kellerdrama in sehr schönen farbenfrohen und verspielten Bildern einfängt. „Ich und du" bleibt das eitle Selbstzitat eines alten Meisters.

    Fazit: Mit „Ich und du" begibt sich Altmeister Bernardo Bertolucci ins Mittelmaß herab. Seinem Geschwisterdrama fehlt die Glaubwürdigkeit und die mit Klischees, Selbstzitaten sowie schwülstigem Leidenskitsch aufgeladene Inszenierung streift mehr als einmal die Grenze zum Ärgerlichen.

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