Das Einspielergebnis des Fantasyfilms „Snow White and the Huntsman" wird zumindest vorläufig zeigen, ob Kristen Stewart einen Film der Kategorie „Blockbuster" auch außerhalb des „Twilight"-Universums stemmen kann. Wir haben erst kürzlich ein „Snow White"-Fanevent in einem Berliner Hotel besucht, bei dem Stewart Autogramme gegeben hat. Und dem Kreischpegel nach zu urteilen, darf man sicher davon ausgehen, dass die Kinos nicht gerade leer sein werden. Allerdings haben wir auch den Film gesehen – und der stimmt uns weniger zuversichtlich: Rupert Sanders bietet in seinem Spielfilmdebüt einige beeindruckende Schauwerte auf, aber darüber hinaus ist dem Werbefilmer (u.a. für das Videospiel „Halo" sowie Nike und Adidas) nicht viel eingefallen. Die Figuren bleiben leblos, die Geschichte kommt nie in Schwung und seine Schauspieler hat der Regisseur auch nicht im Griff. Schade eigentlich, denn Tarsem Singh hat mit seiner Fantasy-Komödie „Spieglein Spieglein" schließlich erst kürzlich vorgemacht, was sich mit einem gewitzten Skript und einer originellen Inszenierung auch heute noch alles aus dem Grimm‘schen Märchenklassiker „Schneewittchen und die sieben Zwerge" herausholen lässt.
Mit einer List hat die böse Zauberin Ravenna (Charlize Theron) einst die Herrschaft über das Königreich erlangt. Snow White (Kristen Stewart), die bildhübsche Tochter des ehemaligen Königs, sitzt seitdem in einem Verlies im höchsten Turm des Schlosses fest. Als der Eingekerkerten nach jahrelanger Gefangenschaft doch noch die Flucht in den Zauberwald gelingt, entsendet Ravenna den Huntsman (Chris Hemsworth), um Snow White in den verwunschenen Forst zu folgen und sie dort umzubringen. Doch der verwitwete Trunkenbold bringt es nicht übers Herz, dem Mädchen das Leben zu nehmen. Zusammen fliehen die beiden vor Ravennas Schergen und treffen nach einer schmerzhaften Begegnung mit einem Troll auf acht(!) Zwerge (u.a. Ian McShane, Bob Hoskins und Nick Frost). Auch Snow Whites Sandkastenliebe William (Sam Claflin) stößt noch zu dem Trupp hinzu. Gemeinsam zieht der bunt zusammengewürfelte Haufen gegen Ravenna und ihre Armee ins Feld...
Rupert Sanders hat sich mit Werbefilmen etabliert und zeigt in seinem Spielfilmeinstand alle Stärken und Schwächen, die man dem Klischee nach von einem Clipregisseur erwartet. Der große Pluspunkt ist, dass er ein untrügliches Gespür für ausdrucksstarke Bilder besitzt. Für einen Hollywoodblockbuster ist die Optik fast schon „experimentell", aber deshalb auch überraschend aufregend. Wie er einen Schwarm rabenartiger Raubvögel regelrecht zerfließen lässt und wie aus der entstehenden Lache dann Charlize Theron aufersteht oder wie er Ravennas Soldaten nicht einfach sterben, sondern in rußschwarze Glassplitter zerbersten lässt, spricht für Sanders unbedingten Stilwillen, der vor allem in den düsteren Szenen voll durchschlägt. Auch die visuelle Ausgestaltung der Fantasy-Welt vom Dunklen Wald mit seinen schlangenartigen Ästen bis zu einer sonnengeküssten Lichtung samt magischen Kreaturen macht wirklich was her. Da verzeiht man selbst die „Herr der Ringe"-Gedächtniseinstellung, die die Helden beim Überqueren eines verschneiten Bergkamms zeigt, sowie einige superstilisierte Szenen, bei denen man förmlich darauf wartet, dass „Chanel No. 5"-Werbegesicht Brad Pitt hinter dem nächsten Felsen hervorkommt und ein Fläschchen Parfüm in die Kamera hält.
Im stylishen Look hat der Film seine größte Stärke, davon abgesehen macht Rupert Sanders aber alle Fehler, die Regisseuren mit Werbevergangenheit gemeinhin zugeschrieben werden. So denkt er augenscheinlich nur in einzelnen Szenen, statt einen 127-minütigen Handlungsbogen zu spannen. Immer wieder werden Figuren oder Fabelwesen eingeführt, die anschließend gar keine Rolle mehr spielen. Darunter ein magischer weißer Hirsch, der vielleicht erschossen wird, vielleicht aber auch nicht, was letztlich egal ist, weil es drei Szenen später sowieso niemanden mehr interessiert. Dasselbe gilt für thematische Ideen und Anspielungen auf das namensgebende Märchen der Gebrüder Grimm. Zum Beispiel wird Snow White zu Beginn bei ihrer Flucht – typisch Grimm - von Tieren geholfen (eine weiße Taube zeigt ihr einen losen Nagel vor ihrem Fenster, ein Pferd liegt am Strand und wartet auf sie), aber im weiteren Verlauf kommt dieses Motiv einfach nicht mehr vor, obwohl es sich immer wieder nahezu aufdrängt. Ähnlich ziel- und planlos wird vom Liebesdreieck Huntsman - Snow White – William erzählt. Nie fliegen romantische Funken und so wirkt auch Snow Whites „Entscheidung" am Ende vollkommen beliebig.
Außerdem hatte Debütant Sanders seine Schauspieler offenbar nicht im Griff, weshalb einige maßlos übertreiben und andere viel zu wenig zeigen. Kristen Stewarts Rolle als amazonenhaftes Schneewittchen gibt schon auf dem Papier nicht viel her, die jungfräuliche Snow White in eine strahlende Ritterrüstung zu stecken ist keine wirklich originelle Idee. Aber die ehemalige Indie-Prinzessin („Into the Wild", „Adventureland") versteht es auch nicht, selbst etwas aus dem Part zu machen. Kurz vor Schluss gibt es dann endlich mal eine heroische Ansprache an ihre Soldaten, doch selbst bei der will kein Gänsehautfeeling aufkommen. Dass Stewarts Passivität gar nicht weiter negativ auffällt, liegt daran, dass Charlize Theron im Gegenzug viel zu viel tut. Die Oscar-Preisträgerin („Monster") gibt die böse Königin als Hamlet auf Crack. Das Ergebnis ist theatralisches Overacting, an dem selbst Shakespeare als Fan der kraftvollen Gesten verzweifelt wäre. Und auch der Dritte im Bunde überzeugt nicht. Chris Hemsworth‘ größte Stärke ist es, dass er wie in „Thor" und „Marvel's The Avengers" glaubhaft einen muskelbepackten Helden spielen, diese Rolle zugleich aber auch genüsslich durch den Kakao ziehen kann. Nur gibt es in „Snow White and the Huntsman" keinen Funken Humor. Und unter dieser Voraussetzung war es keine gute Idee, ausgerechnet den vor allem komödiantisch begabten Chris Hemsworth zu besetzen.
Fazit: Die Schauwerte stimmen, aber die auf dem Papier vielversprechende Besetzung enttäuscht und der Unterhaltungswert tendiert gegen Null.