Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
3,0
solide
Schneewittchen

Rebellion im Märchenreich

Von Christoph Petersen

Mit „Schneewittchen“ von „The Amazing Spider-Man“-Regisseur Marc Webb geriet in den vergangenen Jahren ausgerechnet ein Märchenfilm gleich mehrfach ins Zentrum des Kulturkampfes. Zunächst kam Kritik an der Besetzung von Rachel Zegler auf, weil die Latina angeblich nicht in einen anständigen europäischen Märchenwald des 19. Jahrhunderts passt (obwohl dieser ja schon 1937 von Walt Disney höchstpersönlich amerikanisiert und verkitscht wurde – der dort servierte Apfelkuchen ist eindeutig ein American Pie). Kurz darauf kritisierte der selbst kleinwüchsige „Game Of Thrones“-Star Peter Dinklage die Darstellung der gemeinsam in einer Höhle arbeitenden Zwerge als „rückständig“. Die Verantwortlichen nahmen den Vorwurf zumindest ernst genug, um sich mit Mitgliedern der kleinwüchsigen Gemeinschaft zu treffen – auf diese Weise sollten negative Klischees möglichst vermieden werden.

Die Premiere des angeblich 250 Millionen Dollar teuren Blockbusters in Los Angeles wurde schließlich kleiner als erwartet abgehalten – wohl auch wegen der gegensätzlichen Haltungen der beiden Hauptdarstellerinnen im Nahostkonflikt. Zwar hielt diese Kontroverse die pro-palästinensische Rachel Zegler und die pro-israelische Gal Gadot nicht davon ab, bei der Oscar-Verleihung auf der Bühne gemeinsam einen Preis zu vergeben, doch zugleich führte sie nicht mehr länger nur online, sondern auch auf den Straßen zu Protesten von allen Seiten (zuletzt etwa bei der Verleihung eines Sterns auf dem Hollywood Walk Of Fame an Gal Gadot). Nach dem Film bleibt jedoch nur ein Fazit: Viel Lärm um wenig! „Schneewittchen“ ist als mit seiner opulenten Ausstattung und den farbenfrohen Kostümen protzendes Märchen-Musical völlig okay, nicht mehr und nicht weniger…

Dass Rachel Zegler einfach eine Hammer-Sängerin ist, sollte inzwischen wohl niemanden mehr überraschen. Disney und seine verbundenen Unternehmen
Dass Rachel Zegler einfach eine Hammer-Sängerin ist, sollte inzwischen wohl niemanden mehr überraschen.

Schneewittchen (als Kind: Emilia Faucher) wird von ihren Eltern zu einer gütigen Prinzessin erzogen. In ihrem Königreich sind die Herrschenden für das Volk da – und nicht andersherum. Aber dann stirbt ihre Mutter, und ihr Vater bleibt nach einer Reise in ein benachbartes Reich verschollen. Stattdessen übernimmt Schneewittchens Stiefmutter (Gal Gadot) das Zepter: Aus den Bauern werden Soldaten, und statt Großherzigkeit zählt nur noch Gier. Außerdem ist die böse Königin so von Eifersucht zerfressen, dass sie den Tod von Schneewittchen (jetzt: Rachel Zegler) einfordert, als ihr magischer Spiegel ihr eröffnet, dass nicht mehr sie allein die Schönste im ganzen Land sei.

Allerdings bringt es der mit dem heimtückischen Mord beauftragte Jäger (Ansu Kabia) einfach nicht übers Herz, Schneewittchen zu erdolchen. Stattdessen ermöglicht er ihr die Flucht in den dunklen Wald, wo zunächst allerlei Gefahren lauern, bis die Prinzessin schließlich auf ein leerstehendes Haus trifft, in dem sie sich völlig übermüdet in ein überraschend kleines Bett legt – und beim Erwachen gleich sieben Überraschungen auf einmal erlebt…

Hei-ho, hei-ho

Beim Anblick der sieben Zwerge kommt man schon kurz ins Zweifeln. Ein wenig erinnern sie im ersten Moment an diese KI-generierten Bilder auf Social Media, die zeigen sollen, wie Cartoon-Figuren wie Homer Simpson oder Peter Griffin wohl als reale Menschen aussehen würden. Aber das legt sich schnell wieder: Ein kurzer Ausflug in ihre Mine erweist sich dank der schimmernden Diamanten-Adern als visuell prachtvoll, während die Neuauflage ihres Arbeitssongs „Hei-ho, hei-ho“ für den ersten kleinen Ohrwurm sorgt – und speziell die Interaktion zwischen Schneewittchen und dem schüchternen Seppl (Stimme im Original: Andrew Barth Feldman) geht sogar ehrlich zu Herzen.

Sowieso ist die erste Hälfte, die im Vergleich noch sehr nah am 1937er-Vorbild bleibt, eine ziemlich runde Sache: „West Side Story“-Star Rachel Zegler schmettert ihre kraftvollen Power-Balladen, als wolle sie sich für ein mögliches Musical-Crossover mit den „Wicked“-Diven Cynthia Erivo und Ariana Grande ins Spiel bringen. Die Ausstattung von Märchenschloss und Zwergenhaus ist zudem über jeden Zweifel erhaben – vor allem das ikonische Apfel-Thema des Originalmärchens wird beim Design konsequent durchgezogen. Außerdem ist „Schneewittchen“ (nachdem ja etwa die MARVEL-Produktionen zuletzt immer grauer und grauer wurden) endlich mal wieder ein richtig bunter Disney-Film – und erst deshalb kommen auch die an den Zeichentrick-Klassiker angelehnten Kostüme der bereits dreifach Oscar-prämierten und 15-fach (!) Oscar-nominierten Sandy Powell voll zur Geltung.

Beim Anblick der Zwerge muss man schon kurz schlucken – aber nach einer gewissen Eingewöhnung funktioniert der Look doch erstaunlich gut. Disney und seine verbundenen Unternehmen
Beim Anblick der Zwerge muss man schon kurz schlucken – aber nach einer gewissen Eingewöhnung funktioniert der Look doch erstaunlich gut.

Einen weiteren Anstoß des Gegenwinds haben wir in der Einführung zu diesem Artikel sogar noch ausgelassen: Als Rachel Zegler 2022 in mehreren Interviews die Kritik äußerte, dass der Originalfilm von 1937 „extrem veraltet“ sei, wurde ihr das teilweise als Respektlosigkeit gegenüber einem Klassiker ausgelegt. Doch erstens ist „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ zwar ein (trick-)technischer Meilenstein, der völlig zu Recht mit sieben Miniatur-Oscars für Walt Disney bedacht wurde – aber er wird heutzutage bei kaum einem Fan noch den Sprung auch nur in die Top Ten der besten Disney-Animationsfilme schaffen. Und zum anderen machen die Zwerge zwar bis heute Spaß, aber eine Charakterzeichnung der Titel-„Heldin“ ist – bis auf ihre Sehnsucht nach einem sie liebenden Prinzen – tatsächlich quasi nicht-existent.

In der Neuinterpretation geht es deshalb folgerichtig auch nicht mehr ums Warten auf einen edlen Prinzen, sondern um Schneewittchens Erkenntnis, dass sie nicht weiter passiv bleiben und auf (männliche) Hilfe warten kann, sondern sich selbst darum kümmern muss, das einst so gütige und gute Königreich wieder herzustellen – mit dem Song „Princess Problems“ als eingängige Hinterfrage-deine-Privilegien-Hymne. Als Love Interest wird ihr dafür ein rebellischer, stark an Robin Hood erinnernder Dieb zur Seite gestellt: Allerdings wirkt Newcomer Andrew Burnap („The Front Room“) als Joseph enttäuschend blass – und seine Bande kriegt sogar so gut wie gar nichts zu tun, weshalb sie einem auch beim zur enttäuschend-didaktischen finalen Konfrontation zwischen Schneewittchen und der Bösen Königin weitestgehend egal ist.

Fazit: Mit Ausstattung und Kostümen protzendes Märchen-Musical mit einer herausragenden Rachel Zegler, bei dem man die Begründung für die hinzugefügten Handlungsstränge zwar sehr gut nachvollziehen kann – am Ende funktionieren sie aber trotzdem nur bedingt.

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