Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
4,0
stark
Mr. No Pain

Selten haben (keine) Schmerzen so viel Spaß gemacht

Von Christoph Petersen

Nathan Caine (Jack Quaid) empfindet aufgrund eines Gendefekts keinen Schmerz – deshalb auch sein titelgebender Spitzname „Mr. No Pain“. Aber das klingt im ersten Moment besser, als es tatsächlich ist: Der stellvertretende Direktor einer kleinen Genossenschaftsbank muss sich beispielsweise alle drei Stunden einen Wecker stellen, um rechtzeitig aufs Klo zu gehen – sonst könnte es sein, dass ihm irgendwann buchstäblich seine Blase platzt. Und feste Nahrung ist ebenfalls ein absolutes Tabu, denn die Gefahr, dass er sich unbemerkt seine Zunge abbeißt, ist viel zu groß. Die durchschnittliche Lebenserwartung für Menschen mit CIPA liegt deshalb auch bei nur 25 Jahren – und die hat der introvertierte Nathan bereits übertroffen, indem er in allen erdenklichen Situationen so vorsichtig wie möglich agiert.

Nathan ist also alles andere als ein klassischer Hollywood-Held – und genau das macht ihn zum idealen Protagonisten für einen High-Concept-Actioner: Die Regisseure Dan Berk und Robert Olsen („Villains“) beweisen gemeinsam mit ihrem Drehbuchautor Lars Jacobson („Day Of The Dead: Bloodline“) eine überschäumende Kreativität, wenn es darum geht, immer neue Situationen zu kreieren, in denen der Normalo seine Schmerzunempfindlichkeit im Kampf gegen eine Bande eigentlich übermächtiger Bankräuber ausspielen kann. Aber die beste Entscheidung der Verantwortlichen sind nicht die blutigen Szenen später, die immer wieder laute Reaktionen der Überraschung, des Schocks und/oder des Ekels im Publikum auslösen, sondern die ersten 25 Minuten, bevor es mit der Action überhaupt losgeht.

Die Chemie zwischen Nathan (Jack Quaid) und Sherry (Amber Midthunder) legt das Fundament für all den Wahnsinn, der danach kommt! Paramount Pictures
Die Chemie zwischen Nathan (Jack Quaid) und Sherry (Amber Midthunder) legt das Fundament für all den Wahnsinn, der danach kommt!

Nathan ist ein superlieber Typ, der selbst seiner zahlungsunfähigen Kundschaft so weit wie möglich entgegenzukommen versucht. Privat läuft es hingegen nicht so gut: Sein bester (und einziger) Freund ist sein Videospiel-Mitstreiter Roscoe („Spider-Man“-SidekickJacob Batalon), den er im wahren Leben noch nie zu Gesicht bekommen hat. Doch sein Schicksal scheint sich zu wenden, als er in der ebenfalls in seiner Bank angestellten Sherry Margrave (Amber Midthunder) eine Seelenverwandte findet.

Allerdings ist das Glück nur von kurzer Dauer: Am Tag nach der ersten gemeinsamen Nacht wird die Bank von einer vierköpfigen Bankräuber-Bande überfallen – und nachdem die Gangster den Direktor mit einem Kopfschuss hingerichtet haben, wird ausgerechnet Sherry als Geisel genommen. Statt auf die Polizei zu warten, nimmt Nathan kurzerhand selbst die Verfolgung auf…

Ein verdammt großartiges erstes Date

Es kommt immer seltener vor, dass man Action-Helden wirklich die Daumen drückt. Doch genau in dieser Hinsicht ist „Mr. No Pain“ eine erfreuliche Ausnahme – und das, obwohl Jack Quaid in „Companion – Die perfekte Begleitung“ gerade erst eines der verabscheuungswürdigsten Arschlöcher des Kinojahres gespielt hat. Der Sohn der Hollywood-Legenden Meg Ryan und Dennis Quaid zieht das Publikum nicht nur von Anfang an auf seine Seite – „Mr. No Pain“ beginnt zudem überraschend lange als romantische Komödie. Dabei entwickeln der „The Boys“-Star und die Predator-Jägerin Amber Midthunder („Prey“) eine grandiose Chemie. Würde man nach den ersten 25 Minuten abstimmen lassen, ob nun die Action losgehen oder man einfach noch mehr Zeit mit den beiden verbringen möchte, könnte es sehr gut sein, dass die Fortsetzung als RomCom den Sieg davonträgt.

Das liegt jedoch auch daran, dass man zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht ahnen kann, wie viele (superfiese) Ideen den Macher*innen gekommen sind, um ihren Protagonisten weit über die Schmerzgrenze jedes „normalen“ Menschen hinauszutreiben: Die Action-Szenen haben auch so schon einen angenehm brachialen Punch, der Bass knallt regelmäßig hart rein – aber die eigentlichen Höhepunkte sind eben die zunehmend heftigen Methoden, mit denen Nathan malträtiert wird, ohne dass er selbst das überhaupt so richtig mitbekommt. Da kennt „Mr. No Pain“ wirklich so gar kein Erbarmen mit seinem geschundenen Helden – und das ist auch gut so!

Nicht mal John McClane musste in fünf „Stirb langsam“-Filmen zusammengerechnet so viel einstecken wie „Mr. No Pain“! Paramount Pictures
Nicht mal John McClane musste in fünf „Stirb langsam“-Filmen zusammengerechnet so viel einstecken wie „Mr. No Pain“!

Denn wenn Nathan etwa in eine Fritteuse mit kochendem Fett greift, um eine darin versenkte Pistole herauszufischen, dann mag ihm das nicht weiter kümmern – aber das Publikum windet sich vor (Phantom-)Schmerz in seinem Sessel. „Mr. No Pain“ ist voll von solchen Momenten, in denen man sich zunächst nur denkt: „Nein, bitte nicht!“ – nur um es dann zwischen zwei gespreizte Finger hindurch auf eine perverse Weise zu genießen, wenn sich Nathan in Ermangelung eines Stifts eine Adresse kurzerhand auf die eh schon verwundete Hand tätowiert. Und wenn man, wie weltweit übrigens nur einige hundert Menschen, an CIPA leidet, dann muss selbst ein offener Bruch nicht unbedingt von Nachteil sein, schließlich lässt sich so eine herausragende Elle auch ganz wunderbar als Stichwaffe einsetzen…

Fazit: „Mr. No Pain“ hat als dunkelschwarzhumoriger Action-Spaß gleich zwei große Pluspunkte: einen Protagonisten, dem man tatsächlich die Daumen drückt, und zahlreiche superfiese Einfälle, um aus seinem speziellen Gendefekt ein Maximum an Unterhaltungswert herauszupressen.

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