Zwei verlorene Seelen taumeln durch das pulsierende Tokio und treffen in einem Luxushotel aufeinander, um fortan im exotisch-fremden Japan das Gefühl der Verlorenheit zu teilen und gemeinsam einsam zu sein – für Sofia Coppola gab es dafür 2004 den Oscar für das Beste Originaldrehbuch. Ein Hauch von „Lost in Translation" umgibt auch das Regiedebüt von Hakon Liu, der in seinem Drama „Miss Kicki" eine liebestrunkene Mutter mit ihrem entfremdeten Sohn auf der melancholischen Suche nach Liebe und Zuneigung durch Taipeh wandeln lässt. Der relaxte und detailverliebte Erzählstil ist durchaus gelungen; auch die beiden Hauptdarsteller leisten tolle Arbeit. Im Schlussteil greift Liu dann aber zu einer so konstruiert wirkenden Auflösung, dass der Film auf der Zielgeraden deutlich an Überzeugungskraft einbüßt.
Kicki (Pernilla August) ließ ihren kleinen Sohn einst bei ihrer Mutter zurück, um in der Fremde ihr Liebesglück zu suchen. Mittlerweile ist sie nach Schweden zurückgekehrt; ihr Sohn Viktor (Ludwig Palmell) ist inzwischen fast volljährig und der Mutter völlig fremd. Als ihre Internetbekanntschaft Herr Chang (Eric Tsang) Kicki an ihrem Geburtstag, den sie in Einsamkeit mit einer Menge Alkohol begeht, nach Taipeh einlädt, reift die Idee einer Asienreise heran. Bald sind Kicki und Victor auf dem Weg nach Taiwan. Doch während Victor denkt, dass seine Mutter Zeit mit ihm verbringen und ihn auf der Reise richtig kennenlernen will, hat es Kicki vor allem darauf abgesehen, ihren Internetschwarm zu treffen. Als der wahre Grund für die Taiwanreise ans Licht kommt, droht die fragile Mutter-Sohn-Beziehung gänzlich auseinanderzubrechen...
Pernilla August („Star Wars: Episode I - Die dunkle Bedrohung") spielt die zwischen Depression und alkoholisierter Lebensfreude schwankende Kicki spitzfindig und nuanciert, so dass die Protagonistin weder als herzlos-egoistische Trinkerin, noch als sich um jeden Preis zu rehabilitieren suchende und deswegen bemitleidenswerte Mutter in Erscheinung tritt. Obwohl Kickis Vergangenheit nur in Nebensätzen Erwähnung findet, lässt August die Last der Enttäuschungen erahnen, welche die Frau in den Alkoholismus trieb. Immer noch an die große Liebe glaubend zieht es sie blauäugig zu ihrem Internetschwarm, so dass Viktor tragischerweise ein weiteres Mal ein Opfer ihrer Verantwortungslosigkeit zu werden droht. Auch der Sohn sehnt sich nach Nähe und Geborgenheit. Von der gemeinsamen Taiwanreise erhofft er sich eine Annäherung an seine Mutter.
Doch Kicki startet erst gar nicht wirklich den Versuch, ihn richtig kennenzulernen. Sie bereitet sich lieber auf das Zusammentreffen mit Herrn Chang vor, als sich mit den möglichen kritischen Fragen oder Vorwürfen ihres Sohnes auseinanderzusetzen, die dieser sich nicht klar zu formulieren traut. Glücklicherweise findet er in dem jungen Chinesen Didi (He River Huang) einen Freund, mit dem er die Zeit in der fremden Millionenstadt totschlagen kann und der ihn mit seinen verdrängten Gefühlen konfrontiert. Sehr zurückhaltend agierend schafft Ludwig Palmell ein feinfühliges Bild eines stillen, einsamen Jungen, der in Taiwan mit seinen widersprüchlichen Gefühlen konfrontiert sieht.
Wie bei „Lost in Translation" geht es hier um gestörte Kommunikation und um zwei Menschen, die sich an einem exotisch-pulsierenden Ort ihrem Gefühl der Einsamkeit hingeben. Dabei werden sprachliche und kulturelle Barrieren spürbar; Mutter und Sohn können sich einfach nicht zum befreienden und klärenden Wortwechsel durchringen. In den stärksten Momenten gelingt es, die besondere entspannt-melancholische Grundstimmung des großen Vorbildfilms auszustrahlen. Die sich immer wieder kreuzenden Storyfäden um die eine Konfrontation mit ihrer Internetliebe fürchtende Kicki und den ziellos durch Taipeh streunenden Viktor laufen entspannt erzählt in einer Schlüsselszene zum wahren Grund der Reise zusammen. Nur die überzogen dramatisch inszenierte Schlusswendung wirkt so arg konstruiert, dass alle vorigen Zwischentöne verstummen.
Fazit: „Miss Kicki" ist ein schauspielerisch begeisterndes und weitestgehend taktvoll erzähltes Mutter-Sohn-Drama. Bloß mit seiner finalen Storyzuspitzung vergreift sich Håkon Liu in Erzähltempo und –ton und riskiert so das zuvor so behutsam aufgebaute einnehmend-ruhige Flair seines Debütfilms.