„When you are happy, I am too" heißt es in dem von Hauptdarstellerin Alba Rohrwacher und Tomte-Sänger Thees Uhlmann in ungelenkem Englisch vorgetragenen Abspannsong zu Doris Dörries „Glück". Das von Dörrie selbst geschriebene und von Element-Of-Crime-Frontmann und Buchautor („Herr Lehmann") Sven Regener produzierte Lied ist charmant, ironisch, hat trotzdem eine romantische Note... und passt damit rein gar nicht zu „Glück". Denn Dörries Adaption einer Kurzgeschichte von Ferdinand von Schirach ist einfach nur platt und steckt voller Klischees. In bedeutungsschweren Bildern – bevorzugt in Zeitlupe – werden die erzählerischen Absichten der Regisseurin überdeutlich. Die so unverhohlen anvisierte Wirkung bleibt allerdings aus, denn ein Blick in das Innenleben ihrer Figuren gelingt Dörrie zu keinem Zeitpunkt.
Der Berliner Strafverteidiger Noah Leyden (Matthias Brandt) ist dank seines Berufs ein Spezialist für die Suche nach Glück. Meist kommt er allerdings mit Menschen in Kontakt, die das Glück gerade verlassen hat. So ist es auch bei Irina (Alba Rohrwacher): Sie floh aus dem ehemaligen Jugoslawien, nachdem ihre Familie im Bürgerkrieg ermordet und sie von mehreren Soldaten vergewaltigt wurde. Ohne Papiere schlägt sie sich nun illegal als Prostituierte in Berlin durchs Leben. Eines Tages trifft sie den obdachlosen Punk Kalle (Vinzenz Kiefer). Die beiden verlieben sich ineinander und versuchen gemeinsam das Glück zu finden. Den Anfang macht eine gemeinsame Wohnung. Irina muss zwar weiter als Prostituierte arbeiten, doch sie sind glücklich. Ein Gefühl, das laut Kalle nun für immer bestehen bleiben wird, dafür werde er alles, wirklich alles tun. Schon bald wird er dieses Versprechen auf blutige Weise einlösen...
Mit den Kurzgeschichtensammlungen „Verbrechen" und „Schuld" avancierte der Berliner Strafverteidiger Ferdinand von Schirach innerhalb kürzester Zeit zum Shootingstar der deutschen Literaturszene. Seine Bücher sind Beststeller und auch die Kritiker überschlagen sich vor Begeisterung. Schirach erzählt seine mal abstrusen, mal romantischen, mal berührenden, mal auch unglaublich makabren Geschichten in einem präzisen, nüchtern-lakonischen Stil, der sich immer wieder als äußerst wirkungsvoll erweist. Genau dieser Stil geht Filmemacherin Doris Dörrie („Kirschblüten - Hanami") bei der Verfilmung von „Glück" völlig ab. Wo Schirach etwa bei Irinas Vergewaltigung nur eine Handvoll kurzer, trockener Hauptsätze braucht und beim Leser trotzdem eine Gänsehaut verursacht, fährt Dörrie die schwersten Geschütze auf und erreicht null Wirkung: Da sehen wir nach wenigen Minuten wie Irina in Zeitlupe durch Mohnfelder tanzt, mit einem kleinen Lämmchen in ihrem Bett schmust, mit der Mutter Honig herstellt oder mit der ganzen Familie durch den See tollt bis sich plötzlich die aufdringliche, musikalische Untermalung des paradiesischen Szenarios verdüstert. Panzer rollen auf, Irina hetzt (alles weiter in Zeitlupe) nach Hause, wo ihre Eltern mit durchgeschnittener Kehle auf dem Küchenboden liegen. Soldaten packen sie auf den danebenstehenden Tisch und vergewaltigen sie, dazu spritzen sie immer wieder Sekt über ihre Brüste.
Doris Dörrie scheint der Wirkung ihres bieder-kitschigen Zeitlupen-Kalküls selbst nicht ganz zu trauen, denn sie legt in der Folge noch nach, etwa wenn Irina angesichts von Kriegsbildern im Fernsehen eine Panikattacke bekommen muss, weil sie an ihre düstere Vergangenheit erinnert wird. Wie sie aber mit dem Vergewaltigungstrauma als Prostituierte arbeiten kann, wird in „Glück" nicht erklärt. Während mit ihren Freiern alles zu klappen scheint, bereitet der erste Sex mit Kalle dagegen größere Probleme. Weil er sie für einen kurzen Moment zu stark an den Handgelenken packt, kommen die traumatischen Erinnerungen wieder hoch. Zum Glück ist Kalle beim nächsten Mal ganz zärtlich und damit auch dieses Problem überwunden... Konflikte löst Dörrie immer wieder auf ähnlich unglaubwürdige Weise auf. Im Zweifelsfall reicht eine kleine Schaukelpartie auf dem Kinderspielplatz und schon ist die Welt wieder in Ordnung. Nur einmal erreicht die Regisseurin mit ihren deutlichen Bildern auch eine entsprechend starke Wirkung: Als Kalle meint, sein Versprechen gegenüber Irina einlösen zu müssen und zu einer blutigen Tat schreitet, hält Dörrie voll drauf - diese brutalen Aufnahmen liegen in der Tat schwer im Magen.
„Glück" steckt nicht nur inszenatorisch voller Klischees. Auch die Handlung selbst ist mit naiven Wendungen und abgeschmackten Figuren vollgestopft. Da ist der einzige Kunde (Oliver Nägele) von Irina, der während des ganzen Films zu sehen ist, natürlich ein fetter, schmieriger Typ und entpuppt sich dazu noch als Politiker, was Dörrie für einen billigen Lacher ausnutzt. Der obdachlose Punk Kalle muss sich nur seiner Piercings entledigen, einmal duschen und die Haare stutzen, schon kommt ein gut gebauter, junger Mann zum Vorschein, von dessen alter Null-Bock-Attitüde nichts mehr zu spüren ist. Und selbst die Klammer um den Strafverteidiger Noah Leyden erweist sich schlussendlich als weiteres Ärgernis. Gefällt die Einleitung dank der wunderbaren Erzählstimme von Matthias Brandt („Ruhm"), reihen sich am Ende die unfreiwillig komischen Momente nur noch aneinander. Da muss Leyden einer Staatsanwältin (verschenkt: Maren Kroymann) erzählen, dass er noch nie im Leben etwas angestellt und noch nicht einmal eine Blume aus einem Beet geklaut hat (was er dann kurz darauf natürlich tun wird). Zudem darf er noch mit seiner Ehefrau (Christina Große) im Bett diskutieren, ob man aus Liebe füreinander einen Menschen zerstückeln würde oder nicht.
Fazit: Die vorzüglichen Darsteller und einige starke, gut ausgewählte Songs (u.a. von den White Stripes, den Ramones und den Kinks) bewahren „Glück" vor dem Totalabsturz. Doch überzeugen oder auch nur berühren kann das Drama von Doris Dörrie nie. Wenn Ferdinand von Schirach seine Kurzgeschichte mit dem Satz abschließt „Irina nickte und dachte, was für ein Glück sie doch hatten", beschließt er damit nach gerade einmal elfeinhalb Seiten eine regelrechte emotionale Achterbahnfahrt. Davon ist bei Doris Dörrie in ganzen 112 Minuten Kinofilm nichts zu spüren.