So gerne man sich in Deutschland zur Zeit als europäischen Wirtschaftsprimus bezeichnet, so klar ist inzwischen auch, dass nicht nur die Dritte Welt, sondern auch die Euro-Südländer noch verstärkt vor der Tür stehen und ihren Teil vom Kuchen einfordern werden. Filme, die sich mit dem Abseits der Gesellschaft, mit Arbeitslosigkeit, geplatzten Träumen und schierer Zukunftsangst befassen, haben es in der Regel schwer, sich im Gegenwartskino gegen leinwandsprengende Popkultur aus Hollywood durchzusetzen. So sind die Filme von Fernando León de Aranoa („Montags in der Sonne", „Princesas"), in denen er sich mit den dunklen Seiten Spaniens beschäftigt, bisher auch nur wenigen deutschen Kinogängern ein Begriff. Auch in seinem Sozialdrama „Amador und Marcellas Rosen" erzählt de Aranoa mit der ihm eigenen Herzenswärme eine kleine Geschichte von einfachen Menschen, die ganz unspektakulär daherkommt und in ihrer Ehrlichkeit erfrischt und berührt. Kleine Abstriche gibt es nur für die dann doch gelegentlich zu dick aufgetragene Symbolik und einige Ausrutscher ins Prätentiöse.
Marcela (Magaly Solier) und Nelson (Pietro Sibille) steht das finanzielle Wasser bis zum Hals. Obgleich Nelson als Blumenhändler halbwegs durchkommt, führt das Paar ein Leben am bürgerlichen Existenzminimum, in dem schon die Anschaffung eines Kühlschrankes eine große Sache ist, für die hart gespart werden muss. Als Marcela dann schwanger wird, ist ihr klar, dass ihre Einkünfte nicht reichen werden. Um nicht wie viele junge Frauen ihres Viertels in die Prostitution abzurutschen, beschließt sie, trotz blankliegender Nerven als Krankenpflegerin für den bettlägerigen Senioren Amador (Celso Bugallo) anzuheuern. Nach anfänglichen Berührungsängsten findet sie sich gut in den Job ein und baut eine Beziehung zum verschwiegenen Mann auf. Als er verstirbt, sieht sich Marcela einmal mehr Arbeitslosigkeit und Elend ausgesetzt. Sie beschließt, seinen Tod vor seiner Familie geheim zu halten. Eine Entscheidung, die verheerende Konsequenzen nach sich ziehen könnte...
Während das Heilsversprechen des Kapitalismus zunehmend als Farce entlarvt wird und die Verelendung auch das sicher geglaubte Europa erreicht, wirkt diese Passionsgeschichte aus Madrid wie der richtige Film zur richtigen Zeit. Marcela sucht nicht nur nach einem Mindestmaß an sozialer Sicherheit und lebenswerter Zukunft für ihr ungeborenes Kind, sondern auch nach der Nächstenliebe, die die Menschheit beim nächsten großen Kollaps auffangen muss. Dabei erinnert ihre Leidensgeschichte immer wieder an die Erzählungen eines anderen großen Humanisten und Armutspoeten, Charles Dickens, der ebenfalls oft aus der Gosse berichtete und seinen Helden ähnlich wie de Aranoa beizeiten eine wundersame Rettung verschaffte. Auch wenn hier sehr spröde inszeniert wird und manch Zuschauer von den langen Einstellungen, den deprimierten Gesichtern und dem traurigem Schweigen abgeschreckt werden könnte, atmet de Aranoas fünfter Spielfilm doch immer die Luft eines traurigen Märchens.
In seinen besten Momenten erinnert „Amador und Marcelas Rosen" an die Filme von Robert Guédiguian, der neulich mit „Der Schnee am Kilimandscharo" ein vergleichbar zurückgenommenes Loblied der Menschlichkeit als Kitt einer auseinanderfallenden Gesellschaft abgeliefert hat. Allerdings streckt de Aranoa seine überschaubare Geschichte auf 110 Minuten, die zuweilen zur Geduldsprobe werden, denn es fehlt immer wieder die erzählerische Konzentration. Auch der Einsatz von Symbolen gerät manchmal etwas plump. Sehr schnell ist klar, was Gegenstände wie etwa Amadors Puzzle und ein Brief Marcelas an Nelson im übertragenen Sinne bedeuten sollen – sie werden nur viel zu deutlich ins Zentrum gerückt, um dem Betrachter noch interpretatorischen Freiraum zu lassen.
Sicher, die Blumen, die Nelson hier von den Müllkippen am Rande der Stadt stiehlt und schließlich weiterverkauft, sind ein stimmiges Sinnbild für den entwürdigenden Verwertungszyklus des Kapitalismus. Wenn aber später in Amadors Zimmer Blumen und Greis gleichermaßen verwelken und dann auch noch der Tod mit einer Blume verglichen wird, an deren Duft sich die Hinterbliebenen laben sollen, ist der Bogen überspannt. Und auch mit schwelgerischen Spruchweisheiten wie „Erst in vollkommener Stille hören wir richtig" läuft de Aranoa Gefahr das doch ernste Thema des Films zu sehr zu verharmlosen. Aber diese Einwände sind letztlich nicht entscheidend, denn „Amador und Marcelas Rosen" wird von den sensiblen Darstellern stets geerdet. Mit leisen Gesten umreißen sie schnell und unspektakulär ihre Figuren: Ohne dass ihre Leidensgeschichten ständig ausformuliert werden müssen und ohne symbolischen Ballast versehen, wirken sie wie direkt aus dem Leben gegriffen.
Fazit: „Amador und Marcelas Rosen" mag dramaturgisch zäh und gelegentlich symbolisch überladen daherkommen. Dank toller Darsteller und einer berührend-humanistischen Erzählstimme darf der Film dennoch als starker Beitrag zum großen Zeitgeist-Thema Krisenangst gelten. Ein Film mit dem Herzen am rechten Fleck !