Was hat es damit auf sich, dass man eine Goethe-Verfilmung stets mit den schlimmsten Erwartungen besucht? Ist es die stete Repetition, es mit dem wohl „größten Deutschen" zu tun zu bekommen, der schon zu Lebzeiten mit ausgeprägtem Blick für seine postume Wahrnehmung schrieb, das stete Bewusstsein einer Überfigur, eines bezugsfernen allzu gescheiten Supermenschen mit einem unerschöpflichen Wortschatz (90.000 Wörter)? Superman-Schöpfer Jerry Siegel meinte einst: „We do not stress the intellectual side of Superman. People do not dream of being superintelligent." Regisseur Philipp Stölzl („Nordwand") scheint diesen Vorschlag ernstgenommen zu haben. Sein Goethe ist körperlich, ein Luftikus, feierfreudig, ein Frauentyp, ein wallender Draufgänger.
So könnte es auch mit dem Jungvolk im Publikum klappen, denn gerade die temporeiche erste Hälfte ist ein Spaßparkour. Alexander Fehlings („Am Ende kommen Touristen") Goethe sitzt der Schalk im Nacken, Miriam Stein („180° - Wenn deine Welt plötzlich Kopf steht ") als holde Maid ist ein Hingucker und Moritz Bleibtreus („Soul Kitchen", „Jud Süß - Film ohne Gewissen") Nebenbuhler ein überzeugender fantasieloser Bürokrat. Dass historisch und chronologisch zum Zwecke der Dramaturgie gebogen wurde, sei's drum.
Straßburg, 1772: Der 23-jährige Goethe (Alexander Fehling) ist ein trink- und feierfester, dabei aber höchst fauler Jurastudent. Schlagwort: Sturm und Trank! Sein erstes Drama „Götz von Berlichingen" wird vom Verlag als unreifes Geschreibsel abgelehnt und als er zu allem Übel noch durch die Prüfung fällt, schickt ihn der Vater (Henry Hübchen) als Referendar in das Reichskammergericht des miefigen Kaffs Wetzlar. Einige Schikanen seines Vorgesetzten und Gerichtsrats Kestner (Moritz Bleibtreu) später, lebt er sich schon bald gemeinsam mit seinem Arbeits- und Zimmergenossen Jerusalem prächtig ein. Auf einem Ball trifft er die freche, fantasievolle und betörende Lotte Buff (Miriam Stein). Über Umwege finden die beiden Verliebten zueinander. Dann stellt sich heraus, dass Lotte aus monetären Gründen Kestner versprochen ist. Unerwartet platzt Goethe in die Verlobungsfeier der beiden. Miriams Vater untersagt den beiden jeglichen Kontakt. Für Goethe bricht eine Welt zusammen...
Unschwer zu erkennen, dass das Drehbuch sich „Die Leiden des jungen Werther" vor die Brust nimmt. Beschrieben werden im Kern Goethes Erfahrungen, die ihn zum „Werther" inspirierten. Sein Praktikum am Reichskammergericht zu Wetzlar, seine gescheiterte (eigentlich nie zustande gekommene) Liebe zu Charlotte Buff sowie die dem tragischen Ausgang Vorbild gebende Selbsttötung Jerusalems. Stölzls Verfilmung ist folglich eine, wenn auch recht freie, Entstehungsgeschichte des „Werther", der den Auftakt zur literarischen Sturm-und-Drang-Periode setzte. Entsprechend lag es sicher im Augenmerk der Produktion, auch Schulpublikum anziehen zu wollen, was allein die Wahl des Lebensabschnittes indiziert. Goethes Treffen mit Napoleon 1808 eingedenk des Kontextes würde beispielsweise eher auf ältere Zuschauer zielen. So ist die erste Hälfte durchweg deftig, frivol, kitschig, witzig und äußerst kurzweilig. In einem hohen Tempo darf der junge Goethe, dessen Genius noch unentdeckt ist, einen Fettnäpfchen-Parkour durchlaufen, das Herz der bezaubernden Lotte erobern und zu seiner Dichtkunst finden. Dabei wird die Liebesgeschichte wie eine Teenie-Klamotte angebahnt und vor allem Bleibtreus Kestner schrammt einige Male nur knapp an der Karikatur vorbei. Das Schöne: Nichts davon ist schlimm.
Nachdem sich die Liebe zwischen Goethe und Lotte als eine unmögliche herausstellt, kommt es zum Wendepunkt. Aus Kummer lässt der angehende Weltdichter auf einer Feier richtig die Sau raus. Gemeinsam mit dem ebenfalls unglücklich verliebten Jerusalem gerät er mit Hilfe halluzinogener Pilze in einen Rausch. Höchst unterhaltsam, wie Stölzl dieses frühneuzeitliche Partydelirium wie für einen gegenwärtigen Stoff mit wackelnd-zitternden Gesichtern inszeniert. Ein wenig mag man auch die Handschrift eines erfahrenen Videoclip-Regisseurs erkennen, zeichnete sich Stölzl doch unter anderem für Garbages „The World Is Not Enough" oder Rammsteins „Du riechst so gut" (1998) aus. Goethe schmiss Pilze. Da ist der Zugang zum Lernstoff doch gleich viel leichter. Von da an geht es mit der Filmstimmung zunächst abwärts und eine sehr düstere – auch die Bilder betreffend – zweite Hälfte drosselt das Tempo. Hier wird der für die Produktivität notwendige Künstlerschmerz bebildert. Jerusalems Suizid, eine Auseinandersetzung mit Kestner, ein furchtbarer Gefängnisaufenthalt, Goethe kurz vor der Selbsttötung und der endgültige Abschied von Lotte. Die zweite Filmhälfte spiegelt die lustspielartige erste ins Negative. Leider schleichen sich hier einige Längen ein. Zehn oder 15 Minuten weniger hätten dem Filmfluss gut gestanden.
Alexander Fehling mimt den Goethe mit Augenzwinkern. Er fabuliert und mogelt sich durch die Universität, da ihn die Juristerei herzlich wenig interessiert. Er gerät ins Zweifeln hinsichtlich seiner dichterischen Fähigkeit und steht somit ganz im Gegensatz zu dem späten Goethe, der selbstgewiss sein Vermächtnis umriss. Neben dem spielfreudigen Fehling ist auch Miriam Stein ein absoluter Casting-Volltreffer. Es ist wohl auch der Maske zu verdanken, dass man bei ihrem Anblick das undefinierte Gefühl hat, so hätte im 18. Jahrhundert eine schöne Frau aussehen müssen. Die Inszenierung ist im ersten Teil farbenfroh und schnell geschnitten. Einzig die allzu leicht als Animationen auszumachenden Panoramen im Hintergrund trüben den Eindruck.
Ein junges Publikum im Visier, verzichtet „Goethe!" auf die bildungsbürgerliche Ernsthaftigkeit von „Buddenbrooks" oder auch „Das Parfum". Einer furiosen ersten Hälfte folgt eine finstere, etwas zu lange zweite und am Ende wird uns Goethe als einer der ersten Popstars überhaupt vorgestellt. Natürlich geht es zahmer zu als in Milos Formans Rock-Huldigung des Goetheschen Zeitgenossen „Amadeus". Dennoch scheint das Ausrufezeichen im Titel für all das zu stehen, was man nicht von Goethe dachte: Sturm und Trank!