Doch noch ein versöhnlicher Abschied
Von Christoph Petersen„Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels“ hat zwar nicht den besten Ruf, war aber trotzdem immens erfolgreich: An den weltweiten Kinokassen spielte 2008 nur Christopher Nolans „The Dark Knight“ noch mehr ein als das späte Sequel über den legendärsten aller Peitschenschwinger. Dass „Königreich des Kristallschädels“ bei vielen Anhänger*innen der Original-Trilogie nicht sonderlich gut ankam, hatte dabei vor allem vier Gründe:
1. Steven Spielberg orientierte sich noch enger an den Pulp-Romanen der 1950er, die von Anfang an als Inspiration für die Reihe dienten, schoss dabei in den Augen vieler Fans aber wiederholt über das Ziel hinaus (Stichwort: Kühlschrank & Erdmännchen).
2. Dass Shia LaBeouf in der Rolle von Indys Sohn offenbar als Harrison-Ford-Nachfolger für mögliche weitere Teile der Reihe in Stellung gebracht werden sollte, stieß eh schon vielen sauer auf – und dann offenbarte seine Performance auch noch ein gehöriges Nerv-Potenzial.
3. Einige der Computer-Animationen wirkten schon 2008 nicht mehr ganz taufrisch – und sind im Gegensatz zu den meisten Effekten in Spielberg-Filmen dazu auch noch ziemlich schlecht gealtert.
4. Aliens!!!
Natürlich hofften deshalb viele auf einen fünften Teil, der dann einem der ikonischsten Action-Helden aller Zeiten doch noch einen würdigen Abschied ermöglicht. Aber obwohl schon bald von einem weiteren Film gemunkelt wurde, stiegen in der 15-jährigen Entwicklungsgeschichte von „Indiana Jones 5“ mit George Lucas und Steven Spielberg gleich zwei der drei zentralen Stützpfeiler der Reihe aus – während ihr Star Harrison Ford (Baujahr 1942) bereits steil auf die 80 zuging.
Aber nun hat es „Le Mans 66“-Regisseur James Mangold doch noch durchgezogen – und liefert mit „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“, der mit seinem kolportierten Budget von fast 300 Millionen Dollar zu den teuersten Produktionen aller Zeiten zählt, tatsächlich ein Old-School-Action-Abenteuer, das trotz eines das Publikum spaltenden Finales definitiv das Zeug dazu hat, einige der durch „Königreich des Kristallschädels“ verloren gegangenen Fans zurückzugewinnen.
Indy (Harrison Ford) kehrt doch noch mal aus dem Ruhestand zurück – und wird dafür mit einem würdigeren Abschluss als beim letzten Versuch belohnt!
1945: Während Hitler sich in Erwartung der Niederlage bereits in seinem Bunker verschanzt hat, schleichen sich Indiana Jones (Harrison Ford) und sein britischer Kollege Basil Shaw (Toby Jones) in ein Nazi-Schloss, in dem sich gestohlene archäologische Schätze befinden sollen. Aber während sich die legendäre Longinuslanze als stumpfe Fälschung herausstellt, hat der Nazi-Physiker Jürgen Völler (Mads Mikkelsen) noch etwas sehr viel wertvolleres in seinem Besitz: nämlich die eine Hälfte des titelgebenden Rad des Schicksals, dessen komplizierter Mechanismus einst vom griechischen Mathematik-Genie Archimedes höchstpersönlich entwickelt wurde. Nach einer bleihaltigen Action-Einlage auf dem Dach eines fahrenden Zuges landet das Artefakt jedoch auf dem Grund eines Sees.
1969: Weil am selben Tag die Parade für die zurückgekehrten Astronauten um Neil Armstrong stattfindet, interessiert sich kaum jemand dafür, dass Professor Jones in Pension geht – nur eine vermeintliche Studentin folgt ihm aus dem Hörsaal in eine nahegelegene Bar, wo der inzwischen wieder von Marion getrenntlebende Indiana Jones seinen Ruhestand erst einmal mit einem mittäglichen Whiskey einläutet: Basil Shaws Tochter Helena (Phoebe Waller-Bridge) hat von ihrem Vater offenbar die Obsession für das Rad des Schicksals geerbt – und braucht Indy nun, um die letzten verbliebenen Puzzlestücke zu finden. Aber auch Völler taucht wieder auf der Bildfläche auf: Als Dr. Schmidt hat er der USA maßgeblich bei der Mondlandung geholfen – und darf bei seinen verdeckten Nazi-Machenschaften deshalb nun sogar auf die Unterstützung des CIA hoffen…
Gehen wir die Punkte von oben also noch mal durch – und schauen, wo „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ womöglich weniger aneckt als sein Vorgänger:
1. Over-The-Top-Pulp: In „Indiana Jones 5“ wird niemand im Kühlschrank mit einer Atombombe in den Himmel geschossen! James Mangold präsentiert – mit Ausnahme des Finales - ein durch und durch klassisches Globetrotter-Abenteuer mit ausladenden Actionsequenzen Unter anderem darf Indiana Jones während der Mondastronauten-Willkommensparade einen auf John Wick machen und auf einem Pferd durch Manhattan galoppieren. Allerdings schleicht sich so mitunter auch die ein oder andere Länge ein – der überraschende Gastauftritt eines oscarnominierten Superstars als alter Taucher-Kumpel von Indy wird etwas weitestgehend verschenkt.
2. Sidekick: Helena Shaw ist ein sehr viel bessere Sparrings-Partnerin für Indiana Jones, als der von Shia LaBeouf verkörperte Mutt Williams im Vorgänger war. Der „Fleabag“-Star kann Harrison Ford im trockenen Oneliner-Schlagabtausch spielend das Wasser reichen – weiß aber auch, wann sie lieber dem Titelhelden die Bühne überlassen sollte.
3. CGI-Animationen: Gerade die 24-jährige Verjüngung von Harrison Ford in der ersten halben Stunde ist ganz hervorragend geglückt. Später gibt es hier und da auch mal weniger gelungene Effekte, etwa bei den künstlichen beschleunigten Aufnahmen einer TucTuc-Verfolgungsjagd. Insgesamt aber sieht man das gewaltige Budget, das in die Produktion geflossen ist (wobei jedem klar sein sollte, dass man bei Action-Szenen mit einem 80-jährigen Hauptdarsteller etwas mehr tricksen musste - das liegt in der Natur der Sache).
4. Es gibt keine Aliens!!! Aber ob die – ähnlich abgehobene – Alternative wirklich allen besser gefallen wird, das steht noch mal auf einem ganz anderen Blatt… Da wird in den kommenden Wochen und Monaten noch so viel drüber geschrieben und diskutiert werden, dass ich es hier erst einmal bei dieser vagen Andeutung belasse – denn den Moment sollte jeder möglichst frisch erleben, ganz egal, ob er ihn dann bewegend oder einfach nur unfreiwillig komisch findet.
Ein starkes Paar: Phoebe Waller-Bridge erweist sich in den Oneliner-Duellen als gleichwertige Sparrings-Partnerin für Harrison Ford.
Gleich nach dem Zeitsprung ins Jahr 1969 sehen wir Harrison Ford mit nacktem Oberkörper in einem Sessel sitzen – als ob James Mangold direkt erst einmal klarmachen wollte: Schaut her, das ist ein fast 80 Jahre alter Mann, und auch wenn er sich famos gehalten hat, ist das auch der Körper eines fast 80 Jahre alten Mannes. Nichtsdestotrotz geht „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ zurück zu den Wurzeln des Franchise – Harrison Fords Charme ist inzwischen zwar mehr grummelig als rebellisch, aber deshalb nicht weniger einnehmend, und speziell einige seiner erneut staubtrockenen Oneliner sind diesmal besonders gut gelungen. (Mehr zur starken Leistung von Ford findet ihr in dem lesenswerten Artikel „Indiana Jones 5 ist hundertmal besser als die Trailer, doch eine wichtige Sache fehlt mir“ von meiner Kollegin Jenny Jecke bei Moviepilot).
Abstriche machen muss man hingegen bei der Action – und das nicht nur wegen des Alters des Helden, sondern auch, weil Steven Spielbergs vor allem in der Original-Trilogie offenbartes Gefühl für pure Kino-Kinetik eben niemand mal ebenso kopiert. So ist etwa die ausladende TucTuc-Raserei durch die engen Gassen von Marrakesch längst nicht so kinematisch-brillant wie die ebenfalls in Marokko angesiedelte Verfolgungsjagd in Spielbergs „Die Abenteuer von Tim und Struppi - Das Geheimnis der ‚Einhorn‘“ – und auch sonst liefert „Das Rad des Schicksals“ im Action-Segment eher solide Blockbuster-Kost als Rollender-Stein-Momente für die Kino-Ewigkeit.
Gewaltiger Ausstattungs-Aufwand: Eine der großen Actionszenen des Films findet mitten während der Astronauten-Parade am 13. August 1969 in New York statt!
Dafür gibt es allerdings jede Menge – überwiegend tatsächlich gelungenen - Fanservice, der speziell bei alteingesessenen Anhänger*innen der Reihe nostalgische Gefühle hervorrufen wird: Neben der überraschenden Rückkehr einiger alter Weggefährt*innen von Indy werden so auch einige ikonische Momente der Reihe auf durchaus clevere Weise neu interpretiert – so gibt es nicht nur eine direkte Umkehrung der legendären „Sword To A Gunfight“-Szene, sondern natürlich auch eine Anspielung auf Indys „Vorliebe“ für Schlangen. So muss er sich diesmal in ein Wrack voller glitschiger Zwei-Meter-Aale wagen.
Die meiste (Fan-)Arbeit aber verrichtet natürlich wenig überraschend das unvergessliche Indiana-Jones-Thema von John Williams – sicherlich lässt die Wirkung im Verlauf des Films irgendwann nach, aber Gänsehaut verursacht trotzdem auch dieses Mal jeder Musikeinsatz bis zum Schluss wieder…
Fazit: „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ kann es zwar nicht mit den ersten drei Filmen der Reihe aufnehmen, ist aber gut genug, dass Indy jetzt besten Gewissens Hut und Peitsche an den Nagel hängen kann.
Wir haben „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ beim Cannes Filmfestival 2023 gesehen.