Als vor einigen Jahren die kleine Animationsschmiede Pixar den alteingesessenen Disney-Studios den Rang abzulaufen drohte, kaufte der weltweit größte Unterhaltungskonzern den mittlerweile dominierenden Konkurrenten kurzerhand auf. Dennoch produziert Disney auch weiterhin „eigene“ Filme. Etwa die 2005 auf den Namen „Disney Fairies“ getaufte Franchise-Reihe, die Kindern Geschichten über Elfen und Feen näher bringen soll. Eigentlich untypisch für Disney, begann dieses Projekt mit der Veröffentlichung einiger Bücher. Mit Bradley Raymonds „Tinkerbell“ erscheint nun der erste Film der Reihe auf DVD. Herausgekommen ist ein typisches Disney-Märchen, das zwar nicht an die großen 2D-Meisterwerke heranreicht, aber dennoch prächtig unterhält. Die Geschichte und die Figuren sind so liebenswert und goldig, dass im direkten Vergleich selbst eine Dokumentation über Fort Knox verblassen würde.
Wenn ein Baby zum ersten Mal lacht, wird eine Fee geboren, bekommt der Zuschauer im Vorspann erklärt. Dann springt die Story auf die Insel Nimmerland, das Reich der Feen. Hier werkeln sie Tag ein, Tag aus an den kleinen Wundern dieser Welt, etwa Tautropfen, Eiskristallen, der Lackierung der Marienkäfer und goldbraun schimmerndem Herbstlaub. Als Tinkerbell nach Nimmerland kommt, erhält sie – wie jede Fee – eine besondere Gabe: Sie wird eine „Kupferkessel-Fee“, ihre Aufgabe ist das Basteln und Reparieren. Die Vorstellung, ihr ganzes zukünftiges Leben hindurch Töpfe und Kessel aus Eicheln zu zimmern, passt Tinkerbell aber überhaupt nicht. Viel lieber wäre sie eine Tier-, Garten- oder Wasserfee. Deshalb beschließt sie, sich umschulen zu lassen. Dabei kommt es zu allerlei kleineren und größeren Katastrophen…
Die durchweg amüsante Geschichte ist mit faszinierenden Elfenarten gespickt. Eine fliegt schneller als der Wind, eine andere fängt Regenbogen ein. Wieder andere bemalen Blätter oder Marienkäfer. Die Elfen sind die Wächter der Jahreszeiten. Im Frühling tauen sie etwa den Schnee ab und lassen die Blumen sprießen. Ein farbenfrohes Szenario, das die Phantasie kleiner Zuschauer ganz sicher beflügeln wird. Doch auch Erwachsene kommen hier auf ihre Kosten. Denn der „Tinkerbell“-Film ist in erster Linie vor allem eines: verdammt komisch. Gerade die absurden Umschulungsversuche bieten klassischen Slapstick-Humor vom Feinsten. Außerdem wird sich manch einer sicher darüber freuen, dass auf die ständige, seit Das Dschungelbuch eigentlich überflüssig gewordene musikalische Unterhaltung verzichtet wurde. Nur in der Rahmenhandlung wird ein wenig geträllert, doch auch diese beiden kurzen Songs sind erträglich geraten.
Was die Leute hinter der „Kamera“ angeht, schöpfte Disney aus einem hauseigenen Personen-Pool: Bradley Raymond zeichnete zwar noch für keinen Kinofilm verantwortlich, hat aber schon einige Videoproduktionen („Pocahontas 2“, „König der Löwen 3“) auf dem Buckel. Den Posten der Animationschefin bekleidet Sheryl Sackett, die bereits an Heffalump beteiligt war. Und auch der Komponist der gelungenen Musikuntermalung, Joel McNeely, ist im Hause Disney kein Unbekannter. Er steuerte bereits zu Peter Pan: Neue Abenteuer im Nimmerland und „Mulan 2“ den Score bei.
Tinkerbell tauchte zwar bisher schon in einigen Peter-Pan-Filmen auf, doch über ihre Herkunft war bisher kaum etwas bekannt. Deshalb hatten die Macher relativ freie Hand, was die Ausgestaltung ihrer kleinen Protagonistin angeht, die sich vor allem wegen ihrer vielen Facetten (von liebenswürdig über zickig bis jähzornig) als Hauptcharakter anbot. Der Debütautor Jeffrey M. Howard bekam von Produzent John Lasseter nur fünf Wochen Zeit, um eine erste Drehbuchfassung fertigzustellen. Anschließend durfte er seine Version bei einer Probelesung Führungspersonen von DisneyToon vorstellen. Aus dem Feedback entstand dann in weiteren fünf Wochen das fertige Skript. Der überschaubare Entstehungszeitraum ist dem fertigen Film jedoch nicht anzusehen. Er ist kurzweilig und präsentiert eine funktionierende klassische Spannungskurve, die langsam bis zur Katastrophe anzieht.
In der deutschen Übersetzung hieß Tinkerbell bisher übrigens Naseweis. Außerdem konnte die Fee in den bisherigen Animationsfilmen (im Gegensatz zu Steven Spielbergs „Hook“, in dem Tinkerbell von Julia Robert verkörpert wurde) nicht sprechen. Das ist in „Tinkerbell“ natürlich anders. Deshalb wurde in einem vom TV-Sender Sat. 1 begleiteten Casting eine passende deutsche Synchronstimme gesucht. Gewonnen hat die Synchronsprecherin Gabrielle Pietermann (die Stimme von Hermine Granger in den „Harry Potter“-Filmen) aus München, die ihre Sache auch wirklich sehr gut macht. Dank ihr kommen Tinkerbells schnelle Stimmungsschwankungen glaubhaft rüber.
Fazit: Das Animationsabenteuer bietet alles, was junge und erwachsene Zuschauer erwarten dürfen. Es ist liebenswert, lustig und spannend. Allerdings ist dem Film auch anzumerken, warum er es nicht ins Kino geschafft hat. Zwar sind die CGI-Animationen auf dem aktuellen Stand, aber insgesamt folgt die Story dann doch einem allzu bekannten Schema. Während Meisterwerke wie Ratatouille, Wall-E oder Die Unglaublichen dem Genre jüngst neue Facetten hinzufügten, fehlen „Tinkerbell“ bahnbrechend-neue Ideen. Für einen amüsanten Familien-DVD-Abend ist der Film dennoch genau die richtige Wahl. Er bedient zwar konsequent die bekannten Disney-Muster, dies allerdings auf ziemlich hohem Niveau.