Es ist eine schlechte Welt, und das prangere ich an! Nicolas Winding Refn entführt in seinem ureigenen Stil in eine zutiefst kalte, brutale und farbenfrohe Welt zwischen Zynismus, Neonfarben und überzeichneter Gewalt. Wie so häufig bei Refn, stellt sich, nachdem die ersten Fragezeichen verraucht sind, die Frage: "Ist das Kunst oder kann das weg?" Ich bin mir diesmal nicht sicher. Hat "Walhalla Rising" bereits bei Erstsichtung einen absolut bleibenden Eindruck hinterlassen, erreicht mich "Only God Forgives" nicht wirklich. Visuell gibt es nichts zu meckern, was zu erwarten war. Die Reduzierung von Text, Handlung und Acting zugunsten einer tief empfundenen fast körperlich erfahrbaren Atmosphäre hat bei der Wikinger-Exkursion deutlich besser funktioniert, zumindest bei mir. Bis zur Zweitsichtung gibt es vorläufig "nur" eine neutrale Wertung. ☆☆1/2
*Spoiler*
Julian, Mitbetreiber eines Boxclubs in Bangkok, der insbesondere als Drogenspot funktioniert, verliert seinen Bruder Billy durch einen Racheakt, verübt vom Vater einer 16-jährigen Prostituierten, die von Billy mißbraucht und getötet wurde. Ermöglicht wurde dieser Racheakt durch den Ex-Cop Chang, der dem Vater freie Hand ließ, seine Entscheidung aber keineswegs befürwortete, weshalb er ihn um einen Arm erleichterte, der ihn stets mahnen soll, für seine verbleibenden drei Töchter zu sorgen. Julian, der den Tod seines Bruders rächen will, verschont den verstümmelten Vater, nachdem er die Motive seines Racheakt versteht, sehr zum Verdruss von der inzwischen angereisten Mutter der Brüder, welche die Sache nun selbst in die Hand nimmt bzw. in Auftrag gibt, nicht ohne Julian zuverstehen zu geben, dass sie ihn für einen Versager hält, was wiederum zu Konflikten zwischen Julian und seiner Freundin führt, die nicht versteht, wie sich Julian so erniedrigen lassen kann. Der Vater der Prostituierten wird durch den Auftragsmord getötet, während die auch im Drogengeschäft tätige Mutter von der Verstrickung des Ex-Cops Chang in den Tod ihres Sohnes erfährt. Darauf beschließt sie, auch diesen durch einen Auftragsmord aus dem Weg zu räumen. Der Anschlag mißlingt, was wiederum Chang zum Anlass nimmt, sich über die Täter zu Hintermännern durchzufoltern, bis er die eigentliche Drahtzieherin ermittelt und umbringt. Da Julian von seiner Mutter zuvor in Kenntnis gesetzt wurde, dass Chang hinter ihr her sei und sie von ihm forderte er solle ihn und seine Familie töten, verschaffte sich Julian mit Hilfe von Ling Zugang zur Wohnung von Chang, wo Ling das Kindermädchen tötet, bevor er selbst von Julian getötet wird, der verhindern wollte, dass Ling Changs kleine Tochter erschießt. Am Ende stehen Chang und Julian auf einem Feld, wo Chang ihm einen Unterarm abschlägt, was er bereits in einer Vision gesehen hatte.
*Spoiler Ende*
So viel und nur sehr grob zur angeblich nicht vorhandenen Handlung.
Nach Zweitsichtung hat mich Nicolas Winding Refn (wider Erwarten) dann doch wieder mit voller Wucht gepackt. Das ist einfach sehr stark und einzigartig, was der Däne auf die Leinwand bringt, schwer verdaulich, kontrovers und bestimmt nicht massenkompatibel. Aber sollten wir nicht froh sein, dass es Menschen gibt, die ihre Visionen noch kompromisslos realisieren, die keine Zugeständnisse an Erwartungshaltungen und Sehgewohnheiten machen, sondern einfach ihr Ding durchziehen. So funkeln verborgen zwischen den Emmerichs und Bays dieser Welt noch Perlen wie Nicolas Winding Refn, Jim Jarmusch oder Wim Wenders (ohne in irgendeiner Form Vergleiche anstellen zu wollen).
Wertung nach Zweitsichtung: ☆☆☆☆