Denkt man an Graphic-Novel-Verfilmungen kommen einem „Sin City", „V wie Vendetta", „300" oder „Watchmen" in den Sinn und folglich auch ein Rattenschwanz an Gewalt, Dystopie, Muskelmasse und Leichen. Viele Leichen. Ganz anders sieht es da mit der von Posy Simmonds geschaffenen Graphic Novel „Tamara Drewe" aus. Landleben, Schriftsteller, Kekse, ein bisschen Polygamie, Ehekrieg und Tragikomik. Dabei orientiert sich Simmonds' Plot an Thomas Hardys Roman „Far From The Madding Crowd" aus dem Jahr 1874, der einen mehr als formidablen Stoff für ein profundes Drama liefert, wie John Schlesinger („Der Marathon Mann") mit seiner Adaption „Die Herrin von Thornhill" bewies. Regisseur Stephen Frears („Mary Reilly", „Die Queen") und Drehbuchschreiberin Moira Buffini nehmen sich hingegen des leicht tragischen, vorwiegend aber komischen Grundtons der Graphic Novel an. Heraus kommt eine verschrobene Ensemble-Komödie, die vor allem von ihren gut geschriebenen und gespielten skurrilen Nebencharakteren lebt. Von Gemma Arterton („Prince Of Persia - Der Sand der Zeit", „The Disappearance of Alice Creed") als schwer zu entschlüsselnder Titelfigur weiß man indes nicht so recht, was man von ihr halten soll. Dennoch gilt: Kurzweil voraus.
Ewedown ist ein englisches Dorf mitten im Nichts. Einzig das Schriftsteller-Refugium Stonefield von Beth Hardiment (Tamsin Greig) und ihrem Mann Nicholas (Roger Allam) - seines Zeichens Verfasser millionenfach verkaufter Krimis - bringt ein wenig Abwechslung. Autoren verschiedenster Couleur nutzen die Abgeschiedenheit des Bauernhofs zur Produktivität. Mit der Rückkehr der kurvenreichen Journalistin Tamara Drewe (Gemma Arterton), einst das hässliche Entlein des Dorfs, ist's vorbei mit der Ruhe. Was eine Nasen-OP nicht alles bewirken kann: Schon bald spukt die niedlich Benaste der gesamten Männerschaft in den Köpfen herum. Zurückgekommen, um ihr geerbtes Haus zum Verkauf zu renovieren und einen autobiografischen Roman zu schreiben, versucht auch Ex-Freund und Naturbursche Andy (Luke Evans) bei ihr zu landen – ohne Erfolg. Mehr Glück hat da der beziehungsgestresste Stardrummer und Rockflegel Ben (Dominic Cooper). Eben noch mit seiner Band „Swipe" auf einem nahe gelegenen Open-Air-Gig, schon in Tamaras Bett. Das wiederum ruft zwei zu Tode gelangweilte, gossipsüchtige Teenager und „Swipe"-Fans auf den Plan, deren Eifersucht eine Lawine absurder Ereignisse ins Rollen bringt...
Der moralische Ankerpunkt in all dem unzüchtigen Chaos, das hier ausbricht, ist Beth, Herz und Seele von Stonefield. Sie sorgt nicht nur für das Wohl der Hühner und Kühe, sondern auch für das jedes einzelnen Schriftstellers. Tamsin Greig gibt sie mit einer solchen Gütigkeit, Sanftmut und Empathie, dass ihr von jenem Moment, in dem ihr Mann Nicholas in Erscheinung tritt, sämtliches Beileid gilt. Der ist eine selten erbärmliche Kreatur und eine fabelhafte Figur, bei der es Spaß macht, sie zu verachten. Er schreibt eine unerklärlich erfolgreiche Krimiserie mit einer Hauptfigur, die stark nach einem Wallander für Synapsenlose klingt. Ein eitler, selbstgefälliger, affektierter, untreuer, mal kriecherischer, mal herrischer Lackaffe. Mit jener widerwärtigen Gerissenheit versehen, die andere nur zum Zwecke lobt, selbst für das Lob gelobt zu werden. Selbstgefälligkeit als Bescheidenheit zu tarnen, im Film wird er dafür mit den Ausdrücken „sleazebag" oder „prick" geadelt. In Stonefield hat sich auch Glen eingemietet, ein herzensguter, aber allzu verzagter Literaturwissenschaftler. Der arbeitet an einem Buch über Thomas Hardy (ein kleiner medienreflexiver Dreh). Theoretisch, denn er bringt keine Seite zustande. Schreibblockade. Ein gefundenes Fressen für Nicholas Hardiment, der kein fremdes Elend zur Feier seiner eigenen Herrlichkeit auslassen kann. Einmal fragt Glen ihn nach dem Geheimnis seiner Produktivität. Hardiment sinngemäß: Ich setze mich hin und schreibe. Die Spitzen zwischen den beiden sind für einige Lacher gut.
Der Film, der die Zeitspanne circa eines Jahres umfasst, nimmt an Fahrt auf, als Independent-Kolumnistin Tamara Drewe von London nach Ewedown zurückkehrt. Die ehemalige Hexennase ist nun einer feinen Stupsnase gewichen, und die in Verbindung mit wohl definierten Kurven entfacht einige Tumulte. Hardiment sabbert förmlich schon vor Geilheit und Tamaras Jugendflirt Andy ist interessiert, aber befremdet, ob des Verstädterungsgrades der Schönheit. Das Rennen macht der liebesgeplagte Rockdrummer Ben. In Hardys Roman gewinnt Bens Charakterpendant die Liebe von Tamaras Original mit einem „Phallusbeweis": Er zieht sein immenses Schwert. Der Film nun wartet mit einer grandiosen Verführungsszene auf, einem Drumsolo Bens auf den Küchenamaturen mit Tamara zwischen den Beinen. Man muss es gesehen haben. Auslöser der bald folgenden Verwirrungen sind indes die Dorfmädels Jody (Jessica Barden) und Casey (Charlotte Christie). Erstere möchte unbedingt die einmalige Gelegenheit, dass ihr Idol Ben vor Ort ist, zur Realisierung ihrer feuchten Schulmädchenfantasien nutzen. Darauf arbeitet sie mit einer solchen Schnoddrigkeit und egomanen Entschlossenheit hin, dass einem angst und bange um jeden Popstar werden kann. Beachtlich sind vor allem die zwar überdrehten, aber authentisch anmutenden, monologartigen Teenageschwärmereien. Gen Ende scheinen all die Eifersüchteleien, Scheidungen, Intrigen und Dramen aus den Klatschheften der beiden Mädels in der Realität des Dorfes Einzug zu halten. Mit deren tatkräftiger Unterstützung.
Im Gegensatz zu den großartigen Figuren Beth, Nicholas und dem insgeheim in Beth verliebten (und heimlichen Star des Films) Glen findet man noch am wenigsten Zugang zu Gemma Artertons Tamara. Ihre Motivation bleibt rätselhaft. Dem Landleben entwachsen, erscheinen ihr die dörflichen Befindlichkeiten suspekt. Wo man ihre Beziehung zu Rockstar Ben noch einigermaßen nachvollziehen kann, erschließt sich die zu „sleazebag" Hardiment überhaupt nicht. Oder ist ihre Cinderella-Story hier der psychologische Unterbau? Holt sie verpasstes Begehrtwerden nach? Dabei ist diese Unentschlossenheit keinesfalls Augenschmaus Gemma Arterton anzulasten. Ihre Tamara changiert zwischen Berechnung und Wärme und trägt eine schwer zu definierende brave Lüsternheit mit sich, die sich aus Unsicherheit speist. Und manchmal vermittelt sie mit einem wissenden Lächeln, dass selbst die abstoßendsten Abscheulichkeiten (Stichwort „prick") einem höheren Sinn unterliegen. Was letztlich auch irgendwie hinkommt, aber einem innerhalb des Charakters aufstößt.
Wie eine Komödienvariante von Frears' „Gefährliche Liebschaften" mutet der Film kurzzeitig an, wenn die Beziehungen in polygame Bewegung geraten. Natürlich ohne das Moment der gelangweilt-dekadenten Gemeinheiten oder der teuflischen Strippenzieher. Alles ist irgendwie verzeihlich und zum Schluss bekommen alle, was sie verdienen. Im Falle von Hardiment erfüllt es einen mit Genugtuung, bei Tamara Drewe weiß man auch dann noch nicht so recht, was sie eigentlich verdient. Dank britisch-pointierter Dialoge und einiger klasse Gags bleibt der Wille, sich daran zu stören, dann aber doch sehr gering.