Wenn in einer Filmreihe jeder Teil von einem unterschiedlichen Regisseur inszeniert wird, hat das den riesigen Vorteil, dass man jeden einzelnen Film völlig neu entdecken kann. Die veränderte Herangehensweise kann dann womöglich auch diejenigen überzeugen, denen die vorherigen Beiträge vielleicht weniger gut (oder sogar gar nicht) gefallen haben. Das ist auch bei der megaerfolgreichen „Twilight"-Reihe nach den Bestseller-Romanen von Stephenie Meyer nicht anders: Waren „Twilight", „New Moon" und „Eclipse" noch auf die Fans der Bücher maßgeschneidert und damit für viele andere nur schwer erträglich, entpuppt sich Bill Condons „Breaking Dawn – Bis(s) zum Ende der Nacht (Teil 1)" als stark inszenierter und überzeugend erzählter Genrefilm, der als solcher sehr gut auch auf eigenen Beinen stehen könnte. Zwar behält der Regisseur die Fantasy-Romantik der Teile eins bis drei zunächst bei, verabschiedet sich dann aber recht bald in Richtung eines düsteren und oft mitreißenden Horrorfilms. Blöderweise muss man allerdings die ersten drei Filme unbedingt gesehen haben, um der Story von „Breaking Dawn" folgen zu können, davon abgesehen dürfen hier ansonsten auch Kitschverächter ruhig mal einen Blick riskieren.
Im Anschluss an eine wundervolle Trauung verbringen Bella Swan (Kristen Stewart) und Edward Cullen (Robert Pattinson) ihre Flitterwochen auf einer kleinen Insel vor der Küste Rio de Janeiros. Eigentlich wäre nun der Zeitpunkt gekommen, an dem Edward seine Angetraute zum Vampir macht. Aber Bella möchte ihre Hochzeitsreise inklusive dem Verlust ihrer Unschuld unbedingt noch als Mensch erleben. Also reißt sich Edward so gut es geht zusammen, um seine Liebste beim Akt nicht zu verletzen – und tatsächlich geht zwar das Bett zu Bruch, aber Bella bleibt abgesehen von ein paar blauen Flecken heile. Nur hätte Edward besser neben seiner Muskel- auch seine Zeugungskraft im Zaum gehalten. Denn Bella ist schwanger und ein Vampirbaby wächst viel schneller als ein normaler Fötus. Schon nach zwei Wochen kann sie spüren, wie der kleine Racker in ihrem Bauch um sich tritt. Während die Familie Cullen zu verhindern versucht, dass der kräftige Vampirspross seine geschwächte Mutter von innen heraus zerreißt, will Jacobs (Taylor Lautner) Werwolfrudel das Baby unbedingt töten. Schließlich hat niemand auch nur den blassesten Schimmer, was eigentlich dabei herauskommt, wenn ein Vampir und ein Mensch zusammen ein Kind zeugen...
„Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" hat es nicht geschadet und auch „Breaking Dawn" tut die Aufteilung des Romans auf zwei Filme gut. Bill Condon hat uns im Interview erzählt, dass er die Trauung zu Beginn natürlich auch in fünf statt in 15 Minuten hätte abhandeln können, aber dann wäre die Wirkung eine ganz andere gewesen. Und man kann ihm bei dieser Einschätzung nur beipflichten. Die ruhig erzählte, sehr romantische erste halbe Stunde ist nicht nur dazu da, all die Millionen Fans, die seit drei Filmen mit Bella und Edward mitfiebern, für ihre Geduld mit einer Traumhochzeit zu belohnen, sie erfüllt auch noch einen weiteren Zweck: Wie in einem guten Stephen-King-Roman werden das Publikum und die Protagonisten zunächst in eine trügerische Sicherheit gehüllt, bevor dann ganz schleichend der blanke Horror in das scheinbar perfekte Glück hineinbricht – und zwar in Form einer ungeplanten Schwangerschaft, offenbar inspiriert von Roman Polanskis Klassiker „Rosemaries Baby". Bill Condon mag zwar vor allem für sein Hollywood-Musical „Dreamgirls" und die Sexualforscher-Biographie „Kinsey" bekannt sein, aber seine Wurzeln als Filmemacher liegen eindeutig im Horrorkino. Und dass Condon die Reihe ganz bewusst weg vom Melodramatischen führt, hat er uns nicht nur im Interview persönlich bestätigt, es zeigt sich auch am Abspann. Dieser imitiert nämlich – ganz im Stile Quentin Tarantinos – den für Genrestreifen aus den 70ern typischen Look.
Dass man bei der Schwangerschaft aus der Hölle so sehr mitfiebert, liegt zu einem guten Teil auch an den Darstellern, die hier durch die Bank besser sind als in den drei Filmen zuvor. Vor allem Kristen Stewart („Willkommen bei den Rileys") ist anzumerken, dass sie sich nach all dem verliebten Schmachten sehr darüber freut, endlich auch noch ein paar andere Seiten ihrer Figur auszuloten. Weil das Baby stärker ist als seine Mutter, verbraucht es alle Nährstoffe für sich, während Bella immer mehr in sich zusammenfällt. Während man bei der Hochzeit zu Beginn sofort versteht, warum Kristen Stewart in „Snow White and the Huntsman" als Schneewittchen (also die Schönste im ganzen Land) besetzt wurde, erinnert sie am Ende von „Breaking Dawn" viel eher an den ausgemergelten Christian Bale in „Der Machinist" – selbst wenn sie dafür nicht wie Bale etliche Kilo abgenommen hat, sondern ihre eingefallenen Wangen und ihre ungesunde Magersuchtfigur allein den Spezialisten aus der Computereffektabteilung verdankt. In der für einen ab zwölf Jahren freigegeben Film extrem blutigen Geburtssequenz hat Stewart übrigens ursprünglich noch fürchterlicher um sich geschrien, als es jetzt auf der Leinwand zu sehen ist. Leider mussten diese Szenen jedoch aufgrund der angepeilten Jugendfreigabe in den USA etwas gestutzt und damit entschärft werden. Aber vielleicht gibt es die gebärende Bella dann ja auf der DVD doch noch in voller Länge (und Lautstärke) zu sehen.
Nachdem er seine Schuldigkeit als Bräutigam in den Flitterwochen erledigt hat, bekommt der diesmal nicht ganz so blass geschminkte Robert Pattinson („Wasser für die Elefanten") in der zweiten Hälfte des Films kaum mehr zu tun, als sich um seine Bella zu sorgen. Da passt es ganz gut, dass er sich insgesamt ein wenig zurücknimmt. Dafür rückt dann über weite Abschnitte Edwards alter Rivale Jacob stärker in den Fokus. Es dauert tatsächlich nur wenige Sekunden, bis sich Taylor Lautner („Atemlos - Gefährliche Wahrheit") in „Breaking Dawn" das T-Shirt vom Leib reißt. Aber das ist wohl Absicht, um die obligatorische Präsentation seines Waschbrettbauchs möglichst früh hinter sich zu bringen. Denn im Rest des Films liefert auch der bisher schwächste der drei Hauptdarsteller eine ziemlich solide Leistung ab – und das gilt ausdrücklich auch für eine der wohl absurdesten (Liebes-)Szenen der Filmgeschichte, die vor allem dank Lautners Darstellung nun wesentlich glaubhafter wirkt als es die Romanstelle befürchten ließ (Kenner des Buches werden sofort wissen, welch „prägender" Moment hier gemeint ist).
Fazit: Wir wissen, welche abgehobenen Sphären die Saga mit „Twilight 4.2: Breaking Dawn - Bis(s) zum Ende der Nacht (Teil 2)" noch erreichen wird – aber nachdem uns Regisseur Bill Condon nun eindrucksvoll bewiesen hat, wie gut er mit dieser Art von Genrekino umzugehen versteht, ist unsere vorsichtige Skepsis einer optimistischen Vorfreude auf das große Finale im Herbst 2012 gewichen.