In 2010 - und das ist jetzt durchaus wörtlich zu verstehen - prügeln sich gleich zwei Comicverfilmungen um den Titel „Fanboy-Film des Jahres“. Bereits im April startet Matthew Vaughns Superheldenfilm der etwas anderen Art „Kick-Ass“, der mit einem fulminant-brutalen Redband-Teaser, in dem ein elfjähriges Mädchen ihrem Widersacher ohne mit der Wimper zu zucken das Hirn aus dem Schädel pustet, die Internetgemeinde im Sturm für sich eroberte. Im November folgt dann Scott Pilgrim Vs. The World von Shawn Of The Dead- und Hot Fuzz-Regisseur Edgar Wright, in dem Michael Cera in alter „Batman“-Manier inklusive „Smak“- und „Whip“-Einblendungen gegen die Exen seiner neuen Freundin ins Feld zieht. Weil auch dieser Trailer Fanboy-Freuden pur verspricht, wird das Rennen endgültig wohl erst im November entschieden. Dennoch legt „Kick-Ass“ - trotz einiger Längen und einer unverständlichen FSK-16-Freigabe - nun ordentlich vor und präsentiert dabei gleich eine ganze Reihe von Szenen, bei denen man sich immer wieder denkt: „Nein, das trauen die sich jetzt nicht wirklich.“
Dave Lizewski alias Kick-Ass (Aaron Johnson) ist kein herkömmlicher Superheld. Er wurde nicht wie Spider-Man von einer genmanipulierten Spinne gebissen. Er befindet sich nicht wie Daredevil auf einem Rachefeldzug, weil seine Eltern von einem Gangsterboss ermordet wurden. Und er kann sich auch keine superteuren High-Tech-Gadgets leisten, wie sie Batman nutzt, um die bösen Buben in Gotham City dingfest zu machen. Dave ist vielmehr ein stinknormaler Teenager, der sich mitunter ein nicht gerade modisches, froschgrünes Taucheranzug-Kostüm überstreift, um in den dunklen Gassen New Yorks für Recht und Ordnung zu sorgen. In der Regel enden diese Ausflüge damit, dass er eine gehörige Tracht Prügel bezieht oder auch schon mal niedergestochen wird. Als Kick-Ass bei einem seiner Einsätze dem Mafiapaten Frank D’Amico (Mark Strong) auf die Füße tritt, ist allerdings Schluss mit lustig. Ein Glück für Dave, dass er nicht der einzige Superheld in der Stadt ist und ihm der rachsüchtige Ex-Cop Damon Macready (Nicolas Cage) sowie dessen elfjährige, zur perfekten Killermaschine ausgebildete Tochter Mindy alias Hit-Girl (Chloe Moretz) mit ihrem gewaltigen Waffenarsenal hilfreich zur Seite springen...
Wie die zugrundeliegende, erstmals im April 2008 veröffentlichte Comicserie des Duos Mark Millar und John Romita Jr. (Wanted) präsentiert sich auch der erste „Kick-Ass“-Leinwandausflug als Film mit zwei Seiten. Zum einen ist da die Story um Kick-Ass selber, die sich eng an Independent-Filmen des Coming-Of-Age-Genres orientiert, zugleich aber auch die üblichen Superheldenwerdungsgeschichten à la Spider-Man oder Der unglaubliche Hulk durch den Kakao zieht. Nicht umsonst spielt Kick-Ass augenzwinkernd auf sein großes Vorbild an, wenn er feststellt: „With no power comes no responsibility!.“ Zum anderen sind da Damon Macready und seine sich Butterfly-Messer zum Geburtstag wünschende Tochter, die das gediegene Independent-Setting gehörig aufmischen und konsequent over-the-top-inszenierte Comic-Action in den Film hineintragen. Leider sind die beiden Seiten aber nicht nur von ihrer Anlage wie Tag und Nacht, auch in qualitativer Hinsicht gibt es Unterschiede.
Natürlich macht es Spaß, wenn „Kick-Ass“ die Genrekonkurrenz auflaufen lässt, etwa wenn in einer Kinovorstellung der fiktive dritte Teil der - zu Recht (!) - gnadenlos gefloppten Noir-Comic-Verfilmung The Spirit von Sin City-Autor Frank Miller gezeigt wird. Wer aber die anderen nur müde belächelt, sollte es selbst möglichst besser machen - und das gelingt Regisseur und Claudia-Schiffer-Ehemann Matthew Vaughn (Layer Cake, Der Sternenwanderer) leider nicht immer. Wird die soziale Seite des Superheldentums inklusive Geltungswahn, Todessehnsucht und You-Tube-Click-Rekorden zu Beginn noch recht breit abgehandelt, spielen diese Elemente im actionlastigeren zweiten Teil plötzlich keine Rolle mehr. Ähnliches gilt für die obligatorische Liebesgeschichte zwischen Dave und der Schulschönheit Katie (Lyndsy Fonseca, Hot Tub Time Machine), die emotional schnell im Sande verläuft. Dies sind beides Dinge, die etwa Sam Raimi gerade im zweiten Teil der „Spiderman“-Trilogie deutlich überzeugender gelungen sind.
Zum Glück holt Hit-Girl aber nicht nur für ihren superkräftelosen Kollegen Kick-Ass, sondern auch für den Film selbst die Kohlen aus dem Feuer. Natürlich sind die Szenen, in denen die Halbwüchsige im Lederoutfit und mit lilafarbener Perücke Frank D’Amicos Mafiaschergen gleich etagenweise und nicht gerade zimperliche über den Jordan schickt, nichts anderes als kühl kalkulierte Tabubrüche. Aber solange sie so gnadenlos gute Laune machen wie in „Kick-Ass“ - was soll’s? Dass diese Figur den Erwartungen, die spätestens seit dem Redband-Trailer ins Unermessliche gestiegen sind, vollends gerecht wird, liegt auch an Chloe Moretz. Der zum Zeitpunkt der Dreharbeiten erst elfjährige Nachwuchsstar, der vorab schon einiges an Schauspielerfahrungen sammeln (The Amityville Horror, (500) Days Of Summer) und nun im Zuge des „Kick-Ass“-Hypes auch die Hauptrolle im nächsten Martin-Scorsese-Projekt Die Entdeckung des Hugo Cabret ergattern konnte, schleudert ihre staubtrockenen Oneliner mit einer einmaligen Gelassenheit, als hätte sie in den vergangenen 50 Jahren nichts anderes gemacht, als Leute umgelegt. Ähnliches gilt auch für Nicolas Cage als von Rachesehnsüchten zerfressender Waffennarr. Nachdem Cage zuletzt vor allem mit unkontrolliertem (Knowing) und kontrolliertem (Bad Lieutenant - Cop ohne Gewissen) Overacting glänzte, punktet er diesmal mit präzisem Understatement: Nicht einmal Folter kann ihn aus der Ruhe bringen. Nur wenn sich seine Tochter zum Geburtstag etwas so un-machohaftes wie ein Hundewelpen wünscht, verliert dieser Superdaddy kurz seine Fassung.
Fazit: Wenn Hit-Girl auf der Leinwand erscheint und ihre Butterfly-Messer wetzt, löst der unabhängig produzierte „Kick-Ass“ sein Titelversprechen zur vollen Zufriedenheit ein und tritt dem konservativen Studio-Hollywood mit Anlauf in den Allerwertesten. Macht die vielversprechende Nachwuchskillerin mal etwas länger Pause, schleicht sich mitunter aber auch die eine oder andere Länge ein.