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    My Son, My Son, What Have Ye Done
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    My Son, My Son, What Have Ye Done
    Von Jan Hamm

    Euphorisch fallen sich zwei Männer in die Arme, umringt von neugierigen Journalisten. Als Regie-Legende Werner Herzog und Schauspiel-Derwisch Klaus Kinski sich in den frühen Achtzigern auf dem Telluride Festival in Colorado begegnen, haben sie mit „Aguirre, der Zorn Gottes", „Nosferatu - Das Phantom der Nacht" und „Woyzeck" bereits drei Mal Kinogeschichte geschrieben – und gerade davon abgesehen, sich gegenseitig umzubringen. Warum sie zusammen arbeiten würden? „Because I am crazy. And so is he", antwortet Kinski. „It's the perfect combination of the mad", ergänzt Herzog – ein berührender Augenblick, verewigt in der Kinski-Hommage „Mein liebster Feind". Und einer, der wieder ins Gedächtnis rückt, sobald ein verheißungsvolles „David Lynch presents" in Herzogs neueste Exzentrik „My Son, My Son, What Have Ye Done" einleitet. Der bayerische Autorenfilmer macht gemeinsame Sache mit dem Papst des Surrealen – die perfekte Kombination cineastischen Irrsinns, hier aber mehr auf dem Papier. Denn Lynch tritt lediglich als ausführender Produzent auf, während das Drehbuch aus der Feder von Herzog und Yale-Professor Herbert Golder bereits seit 1995 seiner Umsetzung harrt. Und obgleich einzelne Augenblicke eine Inspiration durch die Filmsprache Lynchs nahelegen, ist „My Son, My Son, What Have Ye Done" vor allem eins: Ein ureigener Herzog, der mit hintersinniger Regie Seherwartungen unterläuft und sein stattliches Figurenkabinett mit einer weiteren Inkarnation des Wahnsinns bereichert.

    Gemütlich ziehen Detective Hank Havenhurst (Willem Dafoe) und Kollege Vargas (Michael Peña) ihre Runden durch San Diego. Einen Funkspruch später finden sie sich vor einer umzingelten Villa wieder – hinter verschlossenen Türen sitzt Brad McCallum (Michael Shannon) mit einer Schrotflinte und zwei Geiseln. Seine Forderungen: Eine Eskorte nach Mexiko und eine Pizza, zack, zack! Im Anwesen auf gegenüberliegender Straßenseite liegt Brads Mutter (Grace Zabriskie) in einer Blutlache, aufgeschlitzt von einem Katana. Was Brad zur grausigen Tat getrieben haben mag, ist nicht nur der Polizei, sondern auch seiner unbeholfenen Verlobten Ingrid (Chloë Sevigny) ein Rätsel. Als sein ehemaliger Theater-Regisseur Lee Meyers (Udo Kier) dazustößt, entfaltet sich ein ausufernder Dialog über Brads jüngere Vergangenheit zwischen Theaterbühne, mütterlicher Fürsorge und peruanischem Dschungel. Während die Polizei versucht, die Geiselsituation zu entschärfen, ist die Spekulation über das Tatmotiv in vollem Gange...

    „My Son, My Son, What Have Ye Done" basiert lose auf dem Kriminalfall Mark Yavorsky, dieser gruseligen Geschichte eines derangierten Mannes, der im sommerlichen San Diego des Jahres 1979 seine Mutter umbrachte. Während Co-Autor Golder jahrelang Kontakt zum inzwischen verstorbenen Täter pflegte, hatte Herzog nach einem Besuch genug. Der esoterische „Aguirre"-Schrein in dessen Trailerpark-Refugium war ihm so suspekt, dass er die Person Yavorsky entschieden aus dem Drehbuch tilgte und mit Brad McCallum schlichtweg die Ahnenreihe seiner eigenen Filmfiguren fortführte. In zahlreichen Rückblenden entfaltet er eine Erzählung, deren Topoi weit vor seinem Erstkontakt mit dem Fall Yavorsky wurzeln. Das Kino Herzogs war seit jeher vom Antagonismus zwischen lethargischer Bewegungsunfähigkeit und dem Traum von der Überwindung der Erdenschwere geprägt. Bereits sein erster Protagonist Stroszek („Lebenszeichen") verglühte in der Stasis einer griechischen Provinzinsel: In einer zum Stillstand kommenden Welt geht jegliche Sinnstiftung verloren.

    Und selten stand die Welt so still wie im Leben Brad McCallums. Der nach „Zeiten des Aufruhrs" für den Nebendarsteller-Oscar nominierte Michael Shannon interpretiert seine Figur grandios zwischen sinisterer Unberechenbarkeit und kindlicher Subordination. Mit bedrohlicher Fürsorge penetriert die Alte ihren Sohn in ödipaler Marter und erschafft so einen Mann, der sprichwörtlich auf der Stelle tritt. Ob Brad eine aufwärts fahrende Rolltreppe herabläuft, ohne dabei vorwärts zu kommen, oder mit seiner Mutter an der heimatlichen Speisetafel mitten in der Bewegung versteinert – das Motiv der Stasis ist omnipräsent und wird von Brad unmissverständlich auf den Punkt gebracht: „Did you see that? The whole world almost stopped!" Dass die in aggressivem Rosa erstrahlenden, mütterlichen Flamingos im Vorgarten und in Gestalt verquer-kitschiger Deko so zum Hassobjekt erklärt werden, ist nur konsequent. Der Mord schließlich ist ein flammendes „Lebenszeichen" in direkter Tradition des 1968 ebenfalls in einer Festung verschanzten Wüterichs Stroszek.

    Mit „My Son, My Son, What Have Ye Done" bebildert Herzog einmal mehr eine Befindlichkeit, die lediglich von außen wahnhaft wirkt – situiert vor einer bürgerlichen Fassade, deren Brüchigkeit offen sichtbar ist. Wo, wenn nicht bei der Schilderung dieses Szenarios, wären David-Lynch-Reminiszenzen besser platziert? Nicht nur die unheimliche Darbietung der Lynch-Veteranin Grace Zabriskie („Twin Peaks") als mütterlicher Nachtmahr erinnert an die suburbane Albtraumwelt des Surrealisten. Da ist der Pianist, der sein Instrument verlässt und die Musik so abrupt als extradiegetisch entlarvt, als entstamme er dem Club Silencio aus „Mulholland Drive". Und da ist ein Mann im Hintergrund, gleich nebenan, der sich an einem Atemgerät saugend über ein Laufband quält und wie ein geisterhafter Wiedergänger Dennis Hoppers aus „Blue Velvet" anmutet.

    Herzog lässt die Dunkelheit jedoch nie Überhand gewinnen und würzt seine Erzählung mit reichlich absurder Komik. Brad Dourif etwa als chauvinistisch keifender Hillbilly-Onkel Ted ist einfach herrlich, vor allem im unwahrscheinlichen Tandem mit Udo Kier. Ein Seitenhieb gegen Herzogs Intimfeind, das Huhn, darf da so wenig fehlen wie waghalsige Regie-Stunts: Zur Visualisierung der Isolation Brads zerrte Herzog seinen Hauptdarsteller kurzerhand in die chinesische Provinz Xinjiang, schnallte ihm eine Kamera um und ließ ihn auf einem Marktplatz zwischen den unleserlichen Gesichtern greiser Händler umher irren. Ohne Drehgenehmigung, Guerilla-Style, ganz wie es sich gehört! Auch nach Peru hat er sein Team geführt – in die Nähe des legendären Urubamba-Ufers, wo sich einst die „perfect combination of the mad" fand. Es ist ein nostalgischer Augenblick, der „My Son, My Son, What Have Ye Done" in den Schatten früherer Meisterwerke stellt, gleichzeitig aber zum Applaus darüber motiviert, dass im Hause Herzog auch vierzig Jahre später enorme Produktivität und künstlerischer Anspruch Hand in Hand gehen!

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