Wie kaum ein anderes Genre eignet sich der Horrorfilm als Medium verhohlener Moral-Anliegen. Vom Gothic-Horror über das Slasher-Kino der 70er Jahre bis zum japanischen Geister-Schinken – so sehr sich die Ausprägungen in ihrer Form unterscheiden, laufen sie doch auf eine einzige Frage hinaus: Warum all das Leid? Die grausige Heimsuchung, zumeist ist sie eine Quittung ungesühnter Schandtaten. Ganz gleich, ob er sich gegen die Sündhaftigkeit ganzer Gesellschaften oder bloß jugendlichen Hedonismus richtet - der metaphysische Zorn ist gnadenlos. Kinder für fehlendes Gottvertrauen ins Visier zu nehmen, das ist jedoch selbst für Genre-Verhältnisse bemerkenswert reaktionär. Måns Mårlind/Björn Stein, das Regie-Tandem hinter „Shelter", müht sich zwar nach Kräften ab, das abstruse Skript von Michael Cooney atmosphärisch dicht auszuerzählen. Doch weder das saubere Handwerk, noch die vielversprechende Besetzung von Julianne Moore können kaschieren, dass der Streifen schnell vom reizvollen Psycho-Thriller zum inkohärenten Okkult-Murks degradiert.
Mag das Leben der alleinerziehenden Psychiaterin Cara (Julianne Moore) nach dem Mord an ihrem Gatten auch noch so fordernd sein, ist doch zumindest spirituell alles in bester Ordnung: „Ich verstehe mich selbst als Doktor der Wissenschaft, aber als Frau des Glaubens." Von eben diesem Berufseifer getrieben, vertritt Cara die These, das Phänomen gespaltener Persönlichkeiten sei ein popkultureller Mythos. Um sie aus ihrer starren Perspektive aufzuschrecken, konfrontiert ihr Vater (Jeffrey DeMunn) sie mit dem scheinbar dissoziativen Adam (Jonathan Rhys-Meyers), der wie auf Knopfdruck Launen und Namen wechselt, ohne sich daran zu erinnern. Sein Alter Ego David macht Cara schnell als längst verstorbenes Mordopfer aus. Als sie die Leiche des echten Adam in dessen verwahrloster Behausung entdeckt, kommt sie einem schrecklichen Geheimnis auf die Spur...
Mit „Shelter" etabliert Michael Cooney spannende Themen, nur um sie zugunsten effekthascherischer Teufeleien gleich wieder aufzugeben. Wie sicher ist unser vermeintliches Wissen über psychische Störungen? Wie verzahnen sich Ratio und Religiosität im Welterleben gläubiger Wissenschaftler? Wie gemütlich, dass fachliche und spirituelle Unsicherheiten für Cara mit einem andächtigen Kirchenbesuch auf halber Spielzeit abgehakt sind. Ohne eine irgendwie geartete Transformation der Figur wird vom plakativ Psychologischen auf plakativ Okkultes umgeschwenkt. Das hätte immer noch einen spannenden Film ergeben können. Doch die Auflösung von Adams Kondition fällt via arg konstruierter Rückblende auf die mysteriösen Vorfälle in einer puritanischen Berggemeinde konfus und ohne zwingenden Bezug zum Figuren-Ensemble aus.
Spätestens, wenn Caras Bruder (Nathan Corddry) den obligatorischen Geisterschatten auf einem Überwachungsband in Soundwaves und schließlich schamanistischen Singsang übersetzt, entpuppt sich „Shelter" als biederes Genre-Allerlei. Da hilft auch nicht, dass Mårlind und Stein stimmungsvolle Bilder um Hauptdarstellerin Julianne Moore komponieren. An ihre jüngsten Schauspiel-Erfolge von „A Single Man" über „Chloe" bis „The Kids Are All Right" kann Moore hier nicht anknüpfen, dafür ist ihre Rolle zu oberflächlich angelegt. Auch Jonathan Rhys-Meyers hat wenig Spielraum und chargiert je nach Alter Ego entweder aggressiv oder weinerlich drauf los. Lediglich Jeffrey DeMunn, grandios als Dale in „The Walking Dead", überzeugt mit kauzig-charmanten Kurzauftritten als väterlicher Forscher.
Und die Moral? Bloß nicht das Tischgebet vergessen, damit sich die üblen Mächte da draußen nicht nach drinnen bequemen, ins traute Heim oder gar in die eigenen Schädel. Mit religiösem Bewusstsein hat das allerdings wenig zu tun. Ein Mädchen, das aufgrund des väterlichen Versterbens keinen Nerv für trostlose Predigten hat, ist ebenso fällig wie niederträchtige Vergewaltiger und Mörder. So ist auch ganz gleich, wie Cara den Fall des dämonisch durch seine Persönlichkeiten zuckenden Adam nun angeht – mit ihrem Glaubensbekenntnis erweist sich ausgerechnet die Protagonistin als wasserdicht versichert. Das ist der wahre Horror dieser Erzählung: Radikaler kann ein moralisches Anliegen kaum vorgetragen werden.