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    The Tree of Life
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    The Tree of Life
    Von Christoph Petersen

    In der Regel lese ich vorab keine Pressehefte, weil sie einem nicht nur den Inhalt verraten, sondern auch gleich noch die Deutung mitliefern. Weil ich hier in Cannes aber gleich nach der Vorstellung mit dem Schreiben der FILMSTARTS-Kritik beginnen wollte, habe ich bei „The Tree of Life" eine Ausnahme gemacht. Bereut habe ich es nicht, denn nach dem Durchstöbern des Hefts war ich auch nicht schlauer als vorher. Da lese ich auf der einen Seite, der Film handle von einer Familie in den 1950er Jahren, nur um dann auf der nächsten zu erfahren, wie die Dinosaurier animiert wurden und der Einschlag des Meteoriten eigentlich nur Milch in einem Rundbecken sei. Terrence Malicks erst fünfte Regiearbeit in 38 Jahren ist weniger Film als filmische Symphonie, die statt aus Tönen aus Impressionen, Gedankensplittern und Erinnerungsfetzen besteht. Statt der Geschichte einer Familie erzählt der Ausnahmeregisseur gleich die Geschichte des gesamten Universums. Es ist bei einem derart assoziativen und sperrig erzählten Film nachvollziehbar, dass manche auf der Strecke geblieben sind und es nach der Uraufführung zunächst Buhrufe hagelte - bevor dann doch Applaus aufbrauste. Wer sich auf die assoziative Bilderreise einlässt, wird mit nicht weniger als einem cineastischen Urknall entlohnt. Wer jedoch außen vorbleibt, hat 138 der anstrengendsten und ödesten Minuten seines Lebens vor sich.

    Im zweiten Absatz einer FILMSTARTS-Kritik findet sich gewöhnlich der Inhalt. Nur hat „The Tree of Life" gar keinen echten Plot. In den ersten zehn Minuten gibt es von allem etwas. Darauf folgt ein etwa halbstündiges Intermezzo, in dem die Geschichte der Welt seit dem Urknall aufgerollt wird. Es gibt eruptierende Vulkane, zischende Geysire und dazwischen tappen Dinosaurier über die Leinwand. Natur pur, keine Menschenseele weit und breit. Aber auch nach dem Sprung in die 1950er zur Familie O'Brien in den Mittleren Westen gibt es kaum einmal zwei Szenen, die direkt aufeinander aufbauen. Die kurzen Erinnerungsfetzen um Mr. O'Brien (Brad Pitt), Mrs. O'Brien (Jessica Chastain) und ihre drei Söhne Jack (Hunter McCracken), R.I. (Laramie Eppler) und Steve (Tye Sheridan) sind zwar chronologisch angeordnet, ansonsten aber elliptisch und unzusammenhängend. Die Erinnerungen stammen vom erwachsenen Jack (Sean Penn), inzwischen ein erfolgreicher Architekt, der sich selbst noch immer zwischen der rauen Männlichkeit des Vaters und der engelsgleichen Gnade der Mutter hin- und hergerissen fühlt. Am Ende des Films steht dann auch das Ende der Welt, was dem Zuschauer nur folgerichtig erscheint: Was sollte denn nach dieser allumfassenden Leinwandsymphonie bitteschön auch noch kommen...

    Wie erwähnt hat Terrance Malick in 38 Jahren gerade einmal fünf Filme gedreht („Badlands", „In der Glut des Südens", „Der schmale Grat", „The New World" und eben „The Tree Of Life"). Nun ist sein neuestes Werk so etwas wie das Opus Magnum des Regisseurs, also ein Film, den er schon lange in sich herumträgt und der noch einmal viele Themen seiner vorherigen Werke aufgreift. Er handelt vom Widerstreit zwischen der Unbarmherzigkeit der Natur und der Gnade des Menschen; vom Gegeneinander von Glaube und Wissenschaft; vom Kontrast zwischen Unschuld und Gewalt. Da hätte man sich leicht vorstellen können, dass Malick nach diesem Kraftakt seine Karriere endgültig beendet. Doch ausgerechnet diesmal ging alles ein bisschen schneller und sein für 2012 angekündigter Film „Project D" mit Ben Affleck und Rachel McAdams ist bereits abgedreht. Der Regisseur ist wie seine Filme nicht gerade leicht zu durchschauen.

    „The Tree of Life" ruft auch deshalb starke Assoziationen an Stanley Kubricks „2001 - Odyssee im Weltraum" hervor, weil mit Douglas Trumbull derselbe Spezialist für Spezialeffekte an beiden Projekten beteiligt war. Malick hat Trumbull nach Jahren aus der Rente zurückgeholt, weil er wollte, dass seine Vision der Weltenentstehung so natürlich wie nur irgend möglich anmutet. Deshalb wollte er so wenig wie nötig am Computer erschaffen und stattdessen lieber auf altgediente Tricks mit Flüssigkeiten, Chemikalien und Hochgeschwindigkeitskameras zurückgreifen. So musste dann eben auch schon mal Milch als Ersatz für einen Meteoriten herhalten. Das Ergebnis ist schlichtweg atemberaubend. Von der Chemikalien-Technik her an ähnlich gelagerte Szenen aus Darren Aronofskys „The Fountain" erinnernd, ähnelt der Zusammenschnitt spektakulärer Naturimpressionen in Grundzügen jenen Demo-Blu-rays, die mitunter zur Bewerbung der neuen Technik verteilt werden und auf denen sich ebenfalls Aufnahmen von Wasserfällen und Felsenformationen aneinanderreihen. Aber einfach nur genießen ist nicht drin. Über seine Urknall-Show legt Malick einen klassisch-sakralen Score und lässt zudem seine Darsteller meist einzeilige Bibelzitate darüber sprechen. So stehen die wissenschaftlichen Bilder direkt gegen das Wort Gottes, eine Lösung für dieses Dilemma gibt es freilich keine.

    Aber auch in den Szenen mit der Familie lässt Malick nicht zu, dass sich das Publikum von seinem allumfassenden Blick auf das Leben löst und sich stattdessen auf einen einzelnen Protagonisten einlässt. Die Kamera gleitet beständig fließend an den Charakteren vorbei, wobei sich Malick mitunter mehr um die Stellung der Familienmitglieder im Raum zueinander als um die O‘Briens selbst zu scheren scheint. So ist es praktisch unmöglich, die philosophische Perspektive zu verlassen und nach dem emotionalen Kern der Figuren zu forschen. Malick weiß genau, was er will - und notfalls zwingt er sein Publikum auch dazu, diesen Weg mit ihm gemeinsam zu beschreiten. Diesen unbedingten Willen muss man bewundern, es ist aber auch ziemlich schade, denn die O'Briens wären spannende Charaktere gewesen, wenn sich Malick wirklich für ihre Geschichten interessiert und sie nicht nur für seinen größeren Kontext benötigt hätte.

    Es ist wohl in erster Linie Brad Pitt („Sieben", „Fight Club") zu verdanken, dass „The Tree of Life" überhaupt zustande gekommen ist. Dank seinem Mitwirken zunächst als Produzent und dann auch als Hauptdarsteller hat der Film nun plötzlich einen Starappeal inne, der in einem Maße die Aufmerksamkeit auch des Mainstreams erregt, wie es bei einem derart experimentell-ambitionierten Projekt sonst praktisch nie der Fall ist. Pitt gibt seine Rolle nicht als eindimensionalen Haustyrann, sondern legt mit seiner Performance noch viel tiefere Schichten frei, wodurch der Charakter angenehm zwiespältig ausfällt. Mrs. O'Brien wird von der New Yorker Theaterschauspielerin Jessica Chastain („Coriolanus") hingegen als gnädiger Engel in Menschengestalt ausgelegt. Dabei darf man allerdings nicht vergessen, dass es sich um Jacks Erinnerungen handelt. Und der hat nun mal ein ambivalentes Verhältnis zu seinem Vater, während er seine Mutter bedingungslos liebt. Nach einjähriger Suche aus mehr als 10.000 Kandidaten ausgewählt, haben die Casting-Agenten mit der Besetzung der O'Brien Brüder gleich drei Volltreffer gelandet. Vor allem die Performance von Hunter McCracken als Jack erreicht in jenen Szenen, in denen der älteste Bruder leicht psychopathische Tendenzen an den Tag legt, eine beeindruckende Intensität. Die Leistung von Sean Penn (in diesem Jahr auch noch mit „This Must Be the Place" im Cannes-Wettbewerb vertreten) lässt sich hingegen kaum bewerten. Obwohl im Abspann gleich nach Brad Pitt an zweiter Stelle genannt, ist er insgesamt maximal fünf Minuten auf der Leinwand zu sehen. Davon fährt er die meiste Zeit mit gequältem Gesichtsausdruck Fahrstuhl oder spaziert an einem imaginierten Erinnerungsstrand durch den nassen Sand.

    Fazit: „The Tree of Life" ist ein symphonisches Leinwandessay ohne durchgängige Handlung, in dem sich Terrence Malick als Priester, Philosoph, Wissenschaftler und Esoteriker zugleich betätigt. Das kann man wie wir absolut faszinierend finden, sich genauso gut aber auch zu Tode langweilen.

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