Die Welt ist einfach an einem bestimmten Wochenende in Hollywood, irgendwann Ende Februar/Anfang März: die Schlechtesten des Jahres bekommen die Razzies, an die besten geht der Oscar. Beides, sowohl den wichtigsten, als auch den gefürchtetsten Preis der Branche zu gewinnen, schließt sich weit seltener voneinander aus, als man vermuten könnte. Stars wie Kevin Costner, Halle Berry, Marlon Brando oder Michael Cimino ernteten im Laufe ihrer Karrieren sowohl das Lob der Academy, als auch die Häme der Golden Raspberry Award Foundation. Die beste und schlechteste Leistung im selben Jahr abzuliefern, das ist hingegen ein seltenes Kunststück. Im Jahr 2010 gelang es Sandra Bullock, die sowohl mit dem Oscar für „The Blind Side“, als auch dem Razzie Award für „All about Steve“ ausgezeichnet wurde. Das selbe Kunststück gelang 1998 dem Autor Brian Helgeland, geehrt für „L.A. Confidential“, verlacht für „Postman“. Irgendwie sinnbildlich für Helgelands gesamte Schreiberlaufbahn, die zwischen den soliden Arbeiten immer mal wieder nach oben („Mystic River“), aber auch gehörig weit nach unten ausriss („Sin Eater“). Und wo reiht sich da seine Adaption des bereits 1974 unter dem Titel „Stoppt die Todesfahrt der U-Bahn 123“ und 1998 für’s Fernsehen verfilmten Romans von Morton Freedgood ein? Auf jeden Fall nicht bei den außergewöhnlich guten, leider aber noch nicht mal den soliden Werken…
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Eine vierköpfige Bande von Geiselnehmern, angeführt von einem gewissen Ryder, kidnappt die U-Bahn Pelham 123. Innerhalb von einer Stunde sollen zehn Millionen in bar angeschleppt werden, sonst wird minütlich ein Fahrgast hingerichtet. Fahrdienstleiter Walter Garber sitzt zur falschen Zeit am falschen Funkgerät und wird von Ryder als Mittelsmann auserkoren. Während die Zeit verrinnt und ein Polizeiwagen mit den geforderten zehn Millionen quer durch die Stadt rast stellt Ryder klar, dass mit ihm nicht zu spaßen ist. Zu allem Überfluss bestellt er Garber als Überbringer des Lösegeldes…
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Zack Zoom, zack U-Bahngeräusche, zack Credit, zack Cut Cut zack Cut, zack supercooler SloMo-Schurkenauftritt mit fettem HipHop-Beat, zack… und so weiter. For heaven's sake, Tony Scott, we already got it, you’re directing this! Nun ja, für jeden, der seinen Namen auf dem Filmplakat überlesen hat, macht der jüngere Bruder des großen Ridley es in den ersten Minuten überdeutlich, hier sitzt der Schnittgewittervideocliphochglanzästhet auf dem Regiestuhl. Wie immer beim Tony fühlt man sich sofort eingeladen ins Hause Hektik und fragt sich, ob man nicht lieber gleich aus Unwohlsein absagt. Allerdings lehnt man sich dann doch bereitwillig zurück, lässt es über sich ergehen und vielleicht wird ja sogar wider Erwarten ein netter Nachmittag daraus. Eher ist es aber so, dass einem „Die Entführung der U-Bahn Pelham 123“ bereits in ihren ersten Momenten die Nuss aus der Schale pellt, wenn Scott bis zur Titeleinblendung bereits ein solches Repertoire an „Whoo, I’m so stylish“-Manövern abgefeuert hat, dass man über diese optischen Sperenzien jedes bißchen Lust am Film zu verlieren droht. Wenn man keine gute Geschichte zu erzählen hat oder eine gute Geschichte nicht gut erzählen kann, dann täuscht man darüber eben fleißig mit allerlei whooshs und zacks hinweg.
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Lässt man der Romanvorlage und auch der beliebten Verfilmung mit Walter Matthau und Robert Shaw ihren Frieden und sieht nun nur diese modernisierte Variante, dann gibt es tatsächlich keine gute Geschichte. Alles kommt flott in die Gänge, Ryder und seine Männer übernehmen die U-Bahn und bringen sie auf einer Anhöhe im Tunnel in Position. Ryder bekommt den auf den ersten Blick eifrig-harmlosen Walter Garber ans Funkgerät und nun versteifen sich der Film und Brian Helgelands Drehbuch darauf, dass man mit John Travolta und Denzel Washington zwei Schauspieler an Bord der Bahn, bzw. der Schaltzentrale hat, aus deren (Wort)Duell man den größten Teil von „Die Entführung der U-Bahn Pelham 123“ formen kann. Schade nur, dass Helgeland sie dann so viel belangloses Zeug aufsagen lässt, den Hintergrund des Schurken bereits in dessen Forderungen offenbart und überhaupt nie auch nur ein Hauch von Spannung und Intensität aus den Gesprächen erwächst. Knast, Erlösung, Katholizismus, Geld, Leben, Sterben – klingt zum Teil recht elementar, wird von Washington und Travolta aber nur so runter gehaspelt, während der eine eingeschüchtert vor dem Mikro sitzt und der andere zeternd am Funkgerät hampelt. Von ernst zu nehmender verbaler Herausforderung des einen durch den anderen oder gar so etwas abstraktem wie psychologischer Raffinesse ist nie auch nur ein Anflug spürbar. Zwar müht sich das Drehbuch, durch die laufende interne Ermittlung gegen Garber, der Schmiergeld entgegen genommen haben soll, eine angreifbare Zwiespältigkeit und Mehrdimensionalität für den Charakter zu schaffen, dies geht jedoch bei ihm genauso schief wie im Falle Ryders, der direkt aus dem Restelager der gefrusteten Erpresser ins Führerhäuschen der U-Bahn gestellt wurde.
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Einem Film, der dermaßen offen zu seinen Logiklöchern steht, wie „Die Entführung der U-Bahn Pelham 123“ es tut, kann man diese eigentlich schon gar nicht mehr vorwerfen. Ein ums andere Mal rückversichert sich die Story mit direkter Stellungnahme zu ihren bekloppten Ideen, als etwa der Bürgermeister seinen Adjutanten fragt, warum man, statt mit Streifenwagen das Zeit- und Logistikrisiko Straßenverkehr einzugehen, nicht einfach einen Hubschrauber zum Einfliegen des Lösegeldes genutzt hat. Mit dieser „hey, don’t take me seriously, I just want to entertain“-Taktik preschen Scott und Helgeland allerdings über einen allzu schmalen Grat aus augenzwinkernder Unterhaltung und hohler Dummdreistigkeit. Dass der Film sich dazwischen nicht lange halten kann liegt auch daran, dass er dennoch ernstes menschliches Drama aufzubauen versucht und die Bedrohlichkeit der Gangster durch ziemlich heftige Gewaltakte klar machen will, was dramaturgisch aber beides ob der Bodenlage der Logik völlig versagt. Auch zu den Geiseln entwickelt man so keinerlei Empfinden, denn auch unter denen herrschen die idiotischen Aktionen: als die Gangster im Tunnel eine Internetverbindung herstellen sieht die Freundin eines Fahrgastes durch seinen am Boden liegenden Laptop per Webcam den Innenraum des Wagons und brüllt erstmal in sein Headset, was denn da los sei. Später will sie ihn, im nix checkenden Beisein der Geiselnehmer, unbedingt dazu bringen zu sagen, dass er sie liebt. Sorry Girl, aber dein Typ hat doch gerade ganz andere Sorgen. Als die Gangster den Laptop endlich entdecken ist natürlich genau im richtigen Moment der Akku alle und im ebenso richtigen Moment, nämlich wenn Zeit für die Liebesbeichte ist, springt er wieder an. Ach verdammt, ‘tschuldigung, man kann dem Film seine Logiklöcher ja nicht vorwerfen…
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Das Geiseldrama/Wortduell wird nach kurzer Zeit immer wieder von dem besagten Streifenwagen unterbrochen, der durch die größtenteils abgesperrte Stadt rast. Scott zoomt schön stylisch und überflüssig und mitsamt Texteinblendungen durch New York, das dann doch leider nicht abgesperrt genug ist, um den Wagen nicht gegen ein Taxi und eines der begleitenden Motorräder gegen ein anderes Auto knallen zu lassen. Unterlegt von grauenhaft unpassendem Schrammelrock mündet die Fahrt schließlich in der wohl überflüssigsten CarCrash-Actionszene der letzten Dekade. Hätten sie bloß den Hubschrauber genommen. Bis auf dieses irrsinnige Intermezzo ist „Die Entführung der U-Bahn Pelham 123“ reichlich arm an Actionhöhepunkten, später knallen noch ein paar Schüsse und die U-Bahn Pelham 123 fährt am Ende ganz doll schnell, während Denzel Washington in einer Sekundenmetamorphose vom Monitorschlaumeier zur Munitionsschleuder wird. Aber selbst (oder gerade?) ein Fahrdienstleiter des städtischen öffentlichen Verkehrs genügt eben, um die anscheinend komplett ohne Fluchtplan drauflos stürmenden Gangster in ihre Schranken zu weisen.
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Während Denzel Washingtons nicht mal die Sparflamme einschaltet, blubbert Travolta konstant bei 100 Grad vor sich hin, kocht hier und da mal kurz über und variiert diese wie jede andere seiner Schurkenrollen nur durch schräge Accessoires und Körperbehaarungen, in diesem Fall ein Kreuz im rechten Ohr und einen U-förmigen Oberlippenbart, der Colin Farrell in „Miami Vice“ (2006) besser stand. Ansonsten brüllt Travolta dutzendweise Schimpfwörter, overacted sich durch seinen Part und macht es wie immer, wenn er in einem schwachen Film zu sehen ist: er passt sich dem Niveau an, statt es zu heben. Angenehm fällt da schon eher John Turturro auf, besonders im Gegensatz zu seinen katastrophalen Auftritten in Michael Bays Robo-Kloppern „Transformers“ (2007) und „Transformers: Revenge of the Fallen“ (2009). Letztlich wird er aber genauso verschenkt, wie James Gandolfini als Bürgermeister und Luis Guzmán als einer der Geiselnehmer. Aunjanue Ellis darf als Garbers Frau ein wenig um ihn bangen und hätte wohl den einzig gelungenen Gag für sich verbuchen können, hätte diesen nicht schon der Trailer verballert und würde er nicht im Film so hoffnungslos in aus der Luft gegriffener Rührseligkeit ersaufen.
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In „Die Entführung der U-Bahn Pelham 123“ bleibt alles und jeder unter seinen Möglichkeiten. Tony Scott hat seine style over substance-Philosophie schon weit unterhaltsamer und verzeihlicher verkauft, für Brian Helgeland und seine schwächeren Bücher gilt das gleiche (mit „L. A. Confidential“ und „Mystic River“ will man ja gar nicht kommen!), auch Washington konnte in seinen drei vorigen Auftritten unter Scotts Regie mehr aus nicht unbedingt besseren Charakteren herausholen. Harry Gregson-Williams hat weit bessere Scores komponiert, Chris Lebenzon hat zwar bereits ähnlich epileptisch, aber dennoch eleganter geschnitten. So sind es einhundert überwiegend gemächlich vor sich hin ruckelnde Minuten, die weder den Actionanteil, noch den Spannungsgehalt einer ordinären U-Bahn-Fahrt überbieten. Mit den richtigen Mitfahrgästen wird’s dabei garantiert aufregender.
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kompletter Review siehe: http://christiansfoyer.wordpress.com/2010/03/23/review-die-entfuhrung-der-u-bahn-pelham-123/