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    Die Entführung der U-Bahn Pelham 1 2 3
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Die Entführung der U-Bahn Pelham 1 2 3
    Von Carsten Baumgardt

    Die spannendste Frage, die sich um den Action-Thriller „Die Entführung der U-Bahn Pelham 1 2 3“ rankt, bleibt selbst nach dem Film unbeantwortet. Warum hat sich Regisseur Tony Scott ausgerechnet diesen Stoff ausgesucht? Der US-Verleih Columbia betont eifrig, dass es sich - Achtung - nicht um ein Remake von Joseph Sargents Thriller Stoppt die Todesfahrt der U-Bahn 1 2 3 handele, sondern lediglich um eine weitere Adaption von John Godeys Roman „The Taking Of Pelham 1 2 3“ (1973). Diese albern anmutenden Erklärungsversuche entsprangen offensichtlich aus der Not heraus, dass Scott im Vergleich mit Sargent eigentlich nur verlieren konnte. Und so kommt es dann auch, wie es kommen muss: Scotts Neuversion ist handwerklich bestechend, schafft es inhaltlich und atmosphärisch jedoch nicht, dem Original das Wasser zu reichen. Und Regisseur Scott bekannte gar freimütig vor dem Dreh, selbst noch nie U-Bahn gefahren zu sein…

    Ein Tag wie kein anderer in New York: In der U-Bahn bahnt sich ein Drama von ungeahntem Ausmaß an. Gangsterboss Ryder (John Travolta) hat mit seiner schwer bewaffneten Gang (darunter: Luiz Guzman und Victor Gojcaj) die U-Bahn „Pelham 1 2 3“ (startet um 1.23 Uhr in Pelham Bay) in seine Gewalt gebracht und verlangt nun zehn Millionen Dollar Lösegeld – innerhalb von einer Stunde. Sollte diese Forderung nicht erfüllt werden, droht er damit, jede Minute eine der 19 Geiseln umzubringen. Über den zuständigen Fahrdienstleiter der New Yorker U-Bahn (MTA), Walter Garber (Denzel Washington), steht Ryder in Kontakt mit den Behörden. Das FBI schickt fix den Geiselunterhändler Lieutenant Camonetti (John Turturro), um die Leitung der Verhandlungen zu übernehmen. Doch Ryder reagiert allergisch auf den Kurswechsel. Nachdem schon ein Undercover-Polizist (Sean Meehan) in dem U-Bahn-Wagen das Leben lassen musste, erschießt Ryder kurzerhand den Zugführer (Gary Basaraba), um den Ernst der Lage zu verdeutlichen. Und das nur, weil sein Gesprächspartner abgezogen wurde. Garber wird zurückbeordert, um mit den Gangstern weiter zu verhandeln. Auch der Bürgermeister (James Gandolfini) eilt in die Zentrale der MTA, um zu helfen. Doch auch auf den Politiker ist Chefgauner Ryder nicht gerade gut zu sprechen...

    Zugegeben: Die Aufgabe, „Stoppt die Todesfahrt der U-Bahn 1 2 3“ neu aufzulegen, ist eine undankbare. Darüber, dass Tony Scott (Der Staatsfeind Nr. 1, Deja Vu, Crimson Tide) aus dem ausgeklügelten Entführungs-Thriller einen hippen Action-Reißer (re)konstruieren würde, bestand eigentlich nie ein Zweifel. Doch das „Pelham“-Original zeichnete sich ganz nebenbei auch als grimmiges New-York-Porträt der Siebzigerjahre aus. Wo Sargent noch politisch höchst unkorrekt-offen mit Themen wie Rassismus und Schwulenfeindlichkeit umging, sind diese Kanten bei Scott abgeschliffen oder genauer gesagt: völlig eliminiert. Großartig Zeit für Zwischentöne nimmt sich der Regisseur in der Neufassung aber sowieso nicht: Die Stadt New York dient lediglich als coole Filmkulisse, was die Bürger in der heutigen Zeit umtreibt, interessiert Scott nicht sonderlich. Lediglich über die Figur des Bürgermeisters transportiert sein Drehbuchautor Brian Helgeland (L.A. Confidential, Mann unter Feuer, Mystic River) zumindest in Ansätzen New Yorks politischen Wandel seit der Bloomberg-Ära. Überhaupt ist die Zeichnung dieses Charakters, abgesehen von Scotts coolen Actionstunts, die einzige Verbesserung gegenüber dem Original. Gab Lee Wallace die Figur des Stadtoberhaupts 1974 noch mehr oder weniger der Lächerlichkeit Preis, darf James Gandolfini (Crimson Tide, Get Shorty, „Die Sopranos“) die ganze Verlogenheit, die die meisten Menschen mit Politikern verbinden, auf sich potenzieren und dabei glänzen. Die Bürger hassen ihn, doch er hat die Schnauze gestrichen voll von dem heuchlerischen Berufspolitikerleben und pfeift fortan auf alles, weil er sowieso nicht wiedergewählt werden will. Er tut nur noch, was er will – was sich durchaus als herbe Kritik an dem ehemaligen, realen Bürgermeister Rudy Giuliani verstehen lässt.

    Photocall

    Filmstarts vor Ort:

    Denzel Washington in Berlin

    Ansonsten unterliegt Scotts Film dem Original in jeder Hinsicht. Selbst ein Hochkaräter wie Denzel Washington (American Gangster, Training Day) kann mit dem Ur-Garber Walter Matthau nicht mithalten, weil sein nun korrupter Beamte, der sich hat bestechen lassen, konstruiert wirkt. Matthaus U-Bahn-Bulle Garber war auch kein Saubermann, aber das musste nicht extra über ein angestrengt wirkendes Plot-Konstrukt vermittelt werden. Er spielte einfach seine Knurrigkeit aus und bekam so ein scharfes Profil. Washington macht das Beste aus dem Wenigen, was er zur Verfügung hat: Dabei beweist er immer noch genügend Charisma, um nicht zu enttäuschen, aber insgesamt zählt dieser Auftritt nicht gerade zu den Glanzstücken seiner Karriere. Wenigstens bekommt er noch so etwas wie eine Charakterzeichnung zugestanden.

    Bei John Travolta (Get Shorty, Pulp Fiction) sieht das nämlich schon ganz anders aus. Sein Gangster Ryder soll ein ehemaliger, hochklassiger Wall-Street-Finanzhai sein, der auf die schiefe Bahn geraten und tief gefallen ist. Die Nummer nimmt man Travolta leider in keiner Szene ab, weil er seinen Entführer durchgehend als harten Ex-Knacki mit ein bisschen Grips gibt und diesem Eindruck auch äußerlich entspricht. Während im „Pelham“-Original die vier Entführer mehr oder minder gleichberechtigt auf der Leinwand erschienen, und nur Robert Shaw als Hirn der Operation etwas mehr Aufmerksamkeit erhielt, spielen Travoltas Mitstreiter diesmal überhaupt keine Rolle. Außer einem chronisch unterbeschäftigten Luiz Guzman (Traffic), der ab und zu sein Gesicht in die Kamera halten darf, bleibt der Rest kaum im Gedächtnis haften. Travoltas Charakter bietet aber nicht genügend Tiefe, als dass sich der Film an ihm über die gesamte Laufzeit reiben könnte. Scott setzt all seine Trümpfe auf das Mann-gegen-Mann-Duell zwischen Washington und Travolta. Alles in allem ist das zwar auch okay und nicht wirklich langweilig, aber die Intensität des Originals erreichen die beiden mit ihrem Aufeinandertreffen nie. Insgesamt wurde „Die Entführung der U-Bahn Pelham 1 2 3“ an den nötigen Stellen modernisiert, doch der Begriff „Remake“ ist immer noch mehr als angebracht. Lediglich das Ende unterscheidet sich grundlegend von dem Original, der Rest ist dem veränderten Zeitgeist geschuldet.

    Starporträt

    Filmstarts-Hintergrund:

    Die Karriere Denzel Washingtons

    Rein optisch ist „Die Entführung der U-Bahn Pelham 1 2 3“ - wie von Tony Scott nicht anders gewohnt - ein Leckerbissen. Es dauert nur zwei bis drei Sekunden, bis der Zuschauer den Stil des Briten identifiziert hat. Für wie viele Regisseure gilt das heute schon noch? Bereits der Vorspann ist richtig packend und kunstvoll inszeniert. Leider verfällt Scott später wieder in alte Style-Over-Substance-Manierismen. Da sausen Polizeiautos von einer wackligen Handkamera flankiert megacool durch die Stadt, überschlagen sich bei Crashs spektakulär mehrfach und wiederholt in der Luft, nur die Geschichte und das zentrale Psychoduell bringen diese Spiränzchen leider keinen Schritt voran. Dazu gesellen sich ein paar hanebüchene Ungereimtheiten im modernisierten Plot. Warum zum Beispiel keiner der Entführer sieht, dass eine der Geiseln per aufgeklapptem Laptop mit der Außenwelt verbunden ist, ist nicht plausibel, muss aber als krumme Storykrücke herhalten. Die schnellen Actionszenen werden stilecht von einem treibenden Score im typischen Scott-Stil vorangepeitscht. Da passt es auch ins Bild, dass Scott die MTA-Zentrale wie die Mission Control der NASA in Houston ausschauen lässt und der Betrachter glaubt, Garber steuere hier keine U-Bahn, sondern das Space Shuttle.

    Fazit: „Die Entführung der U-Bahn Pelham 1 2 3“ ist ein bisschen Fisch, ein bisschen Fleisch, nicht schlecht, aber auch nicht wirklich gut. Wer auf Tony Scotts glattpolierte Hochglanz-Action steht, wird nicht enttäuscht, aber den Vergleich mit Joseph Sargents grimmig-atmosphärischem Geiselnahme-Psychogramm verliert die 2009er Version deutlich.

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