Wer im Actionfach zu den Großen zählen will, muss einmal in Nordkorea gefoltert worden sein – das hat James Bond („Stirb an einem anderen Tag") schließlich auch schon hinter sich. Der Schurkenstaat von Diktator Kim Jong-Il muss dieser Jahre immer wieder als universelles Böses herhalten, doch Phillip Noyce beschwört in seinem Agenten-Actionthriller „Salt" darüber hinaus noch andere altgediente Feindbilder und lässt die Rivalen USA und Russland gegeneinander antreten. Dabei pfeift der Regisseur komplett auf Logik und sonstigen intellektuellen Ballast und zelebriert eine hanebüchene Hast mit einem Höchstmaß an kickender Fast-Forward-Action.
Evelyn Salt (Angelina Jolie) ist hart im Nehmen. Selbst die Folter im nordkoreanischen Knast kann die toughe CIA-Agentin nicht klein kriegen, sondern höchstens ein wenig demolieren. Aber einer bringt die Profi-Spionin dann doch aus der Fassung: der russische Überläufer Vassily Orlov (Daniel Olbrychski). Der behauptet nämlich, dass Evelyn Salt eine KGB-Schläferin sei, die plane, den russischen Staatspräsidenten Matveyev (Olek Krupa) bei der nahenden Beerdigung des US-Vizepräsidenten in New York zu ermorden. Doch bevor Salts Kollegen Ted Winter (Liev Schreiber) und Peabody (Chiwetel Ejiofor) sie zu fassen bekommen, verwandelt sich die Agentin in eine Kampfmaschine, die sich den Weg aus dem CIA-Gebäude freischießt und den Kurs Richtung Big Apple setzt. Eine Armada aus US-Abwehrdienstlern heftet sich an die Fersen von Evelyn Salt, die keinerlei Gnade bei ihren Verfolgern walten lässt. Ihre einzige Sorge gilt ihrem Ehemann, dem Arachnologen Mike Krause (August Diehl), der ebenfalls auf die Abschussliste geraten ist...
Ursprünglich war „Salt" für einen männlichen Hauptdarsteller konzipiert. Gefühlt jeder Hollywood-Agent wollte seinen Klienten in diesem heißen Projekt unterbringen. Auch Meisterregisseur Michael Mann („Heat") und sein Protegé Peter Berg („Operation: Kingdom") hatten Interesse bekundet, doch dann kam alles ganz anders. Denn Superstar Tom Cruise proklamierte irgendwann für sich, den Edwin Salt spielen zu wollen, musste dann aber das Feld räumen, als Angelina Jolie plötzlich ihre Ambitionen anmeldete und den Platzhirsch in die Flucht schlug. Dafür frisierte Autor Kurt Wimmer (mit Hilfe von Brian Helgeland) das Drehbuch kurzerhand von Edwin auf Evelyn um. Cruise tröstete sich später mit dem noch einen Tick höher budgetierten „Knight And Day" (Budget: 117 Mio. Dollar), unterlag an der Kinokasse aber deutlich gegen „Salt" (Budget: 110 Mio. Dollar).
Es ist müßig zu diskutieren, ob Tom Cruise jetzt den besseren Salt abgegeben hätte. Die Kragenweite des Egos ist bei beiden Superstars nahezu identisch, aber einer solchen Selbstverliebtheit bedurfte es für die Rolle auch. „Salt" ist dermaßen mit dem Prädikat larger-than-life aufgepumpt, dass ein Äquivalent in der führenden Rolle unbedingt vonnöten ist. Und schließlich gilt Angelina Jolie als die einzige Action-Heroe, die in der Preisklasse von mehr 100 Millionen Dollar einen Film allein tragen kann. „Salt" ist komplett auf die Kalifornierin zugeschnitten. Nachdem die Prämisse zügig etabliert ist, geht es im Folgenden nur noch darum, einen überkandidelten Stunt an den nächsten zu reihen. Jolie hechtet todesmutig durch die Schluchten der Großstadt oder wahlweise über Lkw und sonstige Gefährte, löscht komplette Bootsbesatzungen aus oder springt aus Hubschraubern. Hier lösen sich die Autoren Kurt Wimmer („Equilibrium") und Brian Helgeland („L.A. Confidential") mit ihrer aberwitzigen Geschichte von den Fesseln der Logik und lassen Jolie sich als Berserkerin austoben. Es scheppert und kracht an jeder Ecke. Regisseur Phillip Noyce drückt gehörig aufs Tempo und serviert ein Action-Dauerfeuer-Gewitter, das in seiner hohen Konzentration mächtig Laune macht.
Old School ist derzeit schwer angesagt in Hollywood (siehe auch: „The Expendables", „Predators", „Das A-Team"). Auf dieser Schiene fährt „Salt" zwar zumindest mit seiner „Jason Bourne"-auf-Speed-Inszenierung überhaupt nicht, widmet sich aber einem anderen Anachronismus. Denn Regisseur Noyce dekonstruiert ganz nebenbei den Entspannungsprozess der Supermächte USA und Russland und hetzt die Kalten Krieger im Jahr 2011 wieder aufeinander los. So dicht am Atomkrieg balancierte schon lange kein groß budgetierter Blockbuster mehr.
Doch die launige und kurzweilige Daueraction produziert auch Schlagschatten, denn die Konstellation um Superstar Angelina Jolie als Doppel- oder Dreifachagentin bietet nur scheinbar Spannung. Die Twists sind für geübte Kinogänger vorhersehbar, denn die Gesetze Hollywoods bitten hier zum Diktat. Aber generell lebt „Salt" sowieso nicht von der Story und deren Fortgang, sondern einzig und allein von der entfesselt-rasanten Style-Over-Substance-Inszenierung, welche die Gesetze der Kinetik neu definiert und selbst eine im Trailer angedeutete (und im Film entfallene) Sexszene mit Angelina Jolie redundant macht. Passend dazu stärken der hervorragende Score von James Newton Howard („The Dark Knight"), das erstklassige Sounddesign und die Hochglanzoptik von Kameramann Robert Elswit („There Will Be Blood", „The Town") die überzeugenden Produktionswerte.
Auch die Schauspieler stehen im Dienste der Action. Angelina Jolie („Der fremde Sohn", „Ein mutiger Weg") geht noch einen Schritt weiter als bei „Wanted" und wird endgültig zur Action-Ikonie hochstilisiert, die den Film absolut dominiert. Die Luft für ihre Nebenmänner ist deswegen naturgemäß portioniert. Liev Schreiber („Der Manchurian Kandidat", „X-Men Origins: Wolverine") spielt für den Plot noch die bedeutendste Rolle und auch August Diehl („23", „Inglourious Basterds") erfüllt als Jolies Film-Ehemann vornehmlich dramaturgische Aufgaben – ohne in den Actionszenen konkurrieren zu müssen.
Fazit: Phillip Noyces Spionage-Thriller-Turbo kommt in der Endabrechnung zwar nicht an die verdichtete Brillanz eines „Das Bourne Ultimatum" oder die ungeheure Spannung eines „No Way Out" heran, gefällt aber als spaßige Action-Orgie mit einer omnipräsenten Hauptdarstellerin.