Mach's noch einmal, Peter! Das war die freudige Reaktion der weltweiten „Der Herr der Ringe"-Fangemeinde, als Peter Jackson das Ruder des geplanten Zweiteilers „Der Hobbit" übernahm und Guillermo del Toro („Pans Labyrinth") ablöste. Unter der Regie des als Hexenmeister der weißen Magie kultisch verehrten, knuffigen Neuseeländers konnte bei der inzwischen auf drei Teile angelegten Verfilmung von J.R.R. Tolkiens Vorgeschichte zum „Herr der Ringe"-Welterfolg scheinbar nichts mehr schiefgehen. Aber bestimmte Fragen blieben offen: Würde sich das 1937 erstmals veröffentlichte Kinderbuch in ein Abenteuer-Epos für Erwachsene verwandeln lassen? Gibt der nicht einmal 400 Seiten lange Roman genügend Stoff für drei jeweils fast dreistündige Epen her? Und geht Jacksons Wagnis auf, den Film mit einer verdoppelten Bildrate von 48 Bildern pro Sekunde zu drehen? Die Antwort lautet jeweils: jein! Peter Jacksons „Der Hobbit: Eine unerwartete Reise" ist so bombastisch wie Kino nur sein kann und vollgestopft mit beeindruckenden Aufnahmen. Dennoch reicht dieser erste Prequelfilm nicht annähernd an die Meisterwerke der „Der Herr der Ringe"-Trilogie heran, weil es bei der Technik klemmt, der erzählerische Ton anfangs nicht passt und sich das ersehnte Mittelerde-Feeling erst in der zweiten Hälfte einstellt.
60 Jahre vor den Ereignissen aus „Der Herr der Ringe": Erebor, das stolze Goldreich der Zwerge, ist vor langer Zeit untergegangen und wird seither von dem mächtigen Drachen Smaug besetzt, doch nun gibt es Gerüchte, das Reich im Einsamen Berg sei verlassen. Der Zauberer Gandalf (Ian McKellen) will der Sache mit einer 13-köpfigen Zwergengruppe um Anführer Thorin Eichenschild (Richard Armitage) nachgehen und prüfen, ob der Drache tatsächlich nicht mehr über Erebor herrscht. Gandalf legt großen Wert darauf, den auf Gemütlichkeit bedachten Hobbit Bilbo Beutlin (Martin Freeman) dabeizuhaben, kann ihn aber mit Mühe überreden, sich der Einsatztruppe anzuschließen. Er wird als Meisterdieb vorgestellt – warum, weiß Bilbo allerdings nicht. Nach einer beinahe tödlichen Begegnung mit einer Horde Orks rettet eine Gruppe von Elben die Zwerge und ihre Freunde aus der misslichen Lage. In der Elbenheimat Bruchtal beruft Gandalf den Weißen Rat ein, der aus ihm selbst, den Elben Elrond (Hugo Weaving) und Galadril (Cate Blanchett) sowie dem Zauberer Saruman (Christopher Lee) besteht, und will bei den Wächtern Mittelerdes um Unterstützung ersuchen...
Die beruhigende Nachricht für alle „Der Herr der Ringe"-Fans: Mittelerde lebt! Aber in den neun Jahren seit dem Abschluss der Ur-Trilogie hat sich technisch einiges getan und so hat sich auch das filmische Erscheinungsbild von Tolkiens Fantasy-Welt verändert: „Der Hobbit" erstrahlt selbstverständlich in prächtigem 3D, ganz wie es sich inzwischen für eine Giga-Produktion gehört – und Peter Jackson hat sich für den Einsatz der umstrittenen High Frame Rate (HFR) entschieden. Durch die Verdoppelung der Bildrate von 24 auf 48 Bilder pro Sekunde sollen Bewegungen plastischer, schärfer und realistischer wirken - was einigermaßen harmlos klingt, erweist sich indes als Frontalangriff auf die Sehgewohnheiten der Zuschauer: Die Bilder sind gestochen scharf und wirken in ihrem übersteigerten Realismus paradoxerweise eher unecht – für diesen Eindruck, der an bestimmte günstig produzierte Fernsehformate erinnert, wurde der Begriff des Seifenoperneffekts geprägt. Überspitzt gesagt: „Der Hobbit" sieht aus wie „Der Herr der Ringe - Telenovela Edition". Das ist brutal gewöhnungsbedürftig. Das 3D funktioniert trotzdem immerhin gut und die detailreichen, schier überwältigenden Bilder des majestätischen Bruchtals sind ein wahrer Augenöffner.
Der zweite Knackpunkt der neuen Tolkien-Verfilmung ist der Erzählton. War die „Der Herr der Ringe"-Trilogie weitgehend ein düsteres Schlachtenepos, ist „Der Hobbit" durch einen fast schon humorigen Grundton gekennzeichnet, Tolkien hat das Buch schließlich für seine Kinder geschrieben. Doch die jugendliche und erwachsene Zielgruppe will mehrheitlich keinen Kinderfilm sehen - das weiß Jackson und mogelt sich um diese Klippe herum. Der Regisseur und seine Co-Autorinnen Fran Walsh und Philippa Boyens schmücken das Werk mit nicht verwendeten Teilen aus Tolkiens Schaffen und eigenem Ideengut aus. Immer wieder nehmen sie Eingriffe vor, um den Ton zu verdüstern und „Der Hobbit" erwachsenentauglich zu machen. Dieser Kniff funktioniert mit einigem Anlauf effektiv, wenn auch nicht so elegant wie erhofft. In der ersten Hälfte des Films wird noch der Albernheit gefrönt, das ist ganz dem Ton des Romans angemessen, aber zumindest für alle Zuschauer, die keine bedingungslosen Verehrer von Tolkiens „Hobbit" sind, ungewohnt.
Nach einer stimmungsvollen Einführung in bester „Herr der Ringe"-Manier, die den spektakulären Angriff des Drachen Smaug auf die Zwergenfestung im Einsamen Berg zeigt, schaltet Peter Jackson zunächst zwei Gänge runter und es wird in epischer Länge gevespert, dazu ausgiebig gesungen und gefeixt. So fällt es schwer, reinzukommen in die märchenhafte Geschichte, zumal die Gemeinschaft der Zwerge nicht unbedingt aus sympathischen Gesellen besteht und keine Charaktertiefe bekommt, deshalb kann sich auch keiner der Zwergendarsteller profilieren. Einzig dem mürrischen Anführer Thorin Eichenschild werden überhaupt ein paar nennenswerte Eigenschaften als Hobbit-Skeptiker zugebilligt, diese Eindimensionalität bremst Richard Armitage in seiner Rolle. Mit einigen Anlaufschwierigkeiten hat auch Martin Freeman („Sherlock Holmes") als Bilbo Beutlin zu kämpfen, weil er als notorischer Hasenfuß und Abenteuer-Verweigerer erst in seine Aufgabe reinwachsen muss. Das haben Cate Blanchett, Hugo Weaving und Christopher Lee als Mitglieder des Weißen Rates nicht nötig, sie sorgen mit ihrer Präsenz für Belebung. Die Gastauftritte von Ian Holm als alter Bilbo und Elijah Wood als Frodo fallen noch kürzer aus und dienen als erzählerischer Rahmen. Als treibende Kraft ist somit Ian McKellen („X-Men", „Gods and Monsters") als Zauberer Gandalf gefordert. Der alte Recke, der für „Der Herr der Ringe - Die Gefährten" eine Oscar-Nominierung erhielt, ist der beste Mann des vielköpfigen Aufgebots, während aber sein Co-Hauptdarsteller Freeman ebenso wie der Film erst mit zunehmender Laufzeit deutlich besser wird – spätestens ab dem schicksalshaften Zusammentreffen mit Gollum (perfekt wie immer: Andy Serkis) in der Höhle läuft er rund.
Dass „Eine unerwartete Reise" als schwacher „Herr der Ringe"-Abklatsch für Kids allzu gemächlich anläuft und lange wenig Aufregendes passiert, ist auch eine Folge der Streckung auf drei Teile, die sich - zumindest, was diesen ersten Teil angeht - nicht bezahlt macht. Erst mit dem Eintreffen der Gruppe um Gandalf in Bruchtal nach der Hälfte der Spielzeit kommt „Der Hobbit" endlich auf Betriebstemperatur und es geht ans Eingemachte. Nun wird um Leben und Tod gekämpft bis sich die Schwerter biegen, dazu werden epische Panoramen von Mittelerde ausgebreitet. Gekrönt wird der Schlussspurt von einem atemlos-grandiosen Finale, das die gerade enttäuschten Erwartungen doch wieder von neuem weckt: Macht Jackson mit „Der Hobbit: The Desolation of Smaug", der am 12. Dezember 2013 in die deutschen Kinos kommt, an der Stelle weiter, wo er mit „Der Hobbit: Eine unerwartete Reise" aufhört, besteht noch Hoffnung, wieder in den alten „Der Herr der Ringe"-Meisterwerk-Modus zu gelangen. Und dann kann der dritte Teil „Der Hobbit: Hin und zurück" 2014 zum krönenden Abschluss einer einmaligen Film-Saga werden.
Fazit: Peter Jackson kann den immens hohen Erwartungen der „Herr der Ringe"-Fans mit „Der Hobbit" zwar nicht gerecht werden, er braucht für sein bombastisch angelegtes Fantasy-Abenteuer eine lange Anlaufzeit, aber in der zweiten Hälfte ist „Eine unerwartete Reise" der grandios-bildgewaltige Ausflug in die Welt Mittelerdes, der für die Zukunft wieder Großes verspricht.