Als Joanne K. Rowling, eine damals unscheinbare Englischlehrerin und Sozialhilfeempfängerin, 1997 die ersten Lettern des ersten Bandes ihrer siebenteiligen Fantasy-Romanreihe “Harry Potter” in ihre Schreibmaschine tippte, hätte sie wohl selbst kaum damit gerechnet, dass die Geschichten um den bebrillten Zauberlehrling mit der blitzförmigen Narbe auf der Stirn einmal solch hohe Wogen schlagen und zum heiligen Kultobjekt einer ganzen Generation werden würden. Begriffe wie “Quidditch”, “Patronus-Zauber”, “Muggel” oder “dunkler Lord” kennt rund um den Erdball mittlerweile jeder- vom Grundschüler bis zum Rentner. Die fünf Verfilmungen, “Der Stein der Weisen”, “Die Kammer des Schreckens”, “Der Gefangene von Askaban”, “Der Feuerkelch” und “Der Orden des Phönix”, haben ihrerseits bereits Unsummen in Milliardenhöhe eingespielt und Rowling zur reichsten Frau Großbritanniens werden lassen.
Nun wirft das Major Label Warner Bros. mit etwas Verspätung (der ursprüngliche Starttermin war für November 2008 angesetzt) den sechsten Teil, “Harry Potter und der Halbblutprinz”, auf den Markt. Die Regie wurde erneut TV-Regisseur David Yates anvertraut, der dem Franchise schon in Teil 5 kaum neue Impulse hinzufügen konnte und sich mehr oder weniger ins von Chris Columbus (Teil 1+2), Alfonso Cuaron (Teil 3) und Mike Newell (Teil 4) gemachte Nest setzte. Mit dem “Halbblutprinzen” ist Yates zwar auch nicht das insgeheim erhoffte Meisterwerk geglückt, dafür aber zweieinhalb Stunden stilv
oll ausgestattetes und bewährt spannendes Popcorn- Entertainment, aus dem mit ein bisschen gutem Willen noch Größeres herauszuholen gewesen wäre…
Das sechste Schuljahr auf dem Zauberinternat Hogwarts ist für Harry (Daniel Radcliffe), Ron (Rupert Grint) und Hermine (Emma Watson) in vollem Gange. Doch so richtig auf den Unterricht konzentrieren können sich die drei Freunde wieder mal nicht. Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass die Hormone bei den Jungmagiern total verrückt spielen- Hermine hat ein Auge auf Ron geworfen, dessen Schwester Ginny (Bonnie Wright) wiederum verdreht dem schüchternen Harry gehörig den Kopf- setzt “der, dessen Name nicht genannt werden darf”, auch noch zum wiederholten Vernichtungsschlag gegen Harry & Co. an. Angeblich soll Slytherin-Fiesling Draco Malfoy (Tom Felton) von Voldemort auserwählt sein, die dunkle Prophezeiung Gestalt annehmen zu lassen und dabei tatkräftigen Beistand vom zwielichtigen Professor Snape (Alan Rickman) erhalten, der vor den Todessern einen Eid geschworen hat. Als große Hilfe bei der Verteidigung gegen die finsteren Pläne der Komplizen des dunklen Lords erweist sich für Harry dabei der alte und weise Schulleiter Dumbledore (Michael Gambon), der eigens Professor Horace Slughorn (Jim Broadbent) aus dem Ruhestand zurück an die Zauberschule Hogwarts beordert hat, weil er glaubt, dass eine wichtige Erinnerung Slughorns Auskunft über die Schattenseiten von Voldemorts Vergangenheit, in welcher dieser als Tom Riddle selbst die Schule besuchte, geben könnte…
Ellenlange Warteschlangen vor den Buchläden und riesige Pulks von Menschen, die vor selbigen ihr Nachtlager aufschlagen. An diesen Anblick, den man zu den jeweiligen Veröffentlichungsterminen der “Harry Potter”- Bücher hier in Deutschland und erst recht jenseits des großen Teichs geboten bekommt, haben sich die Geschäftsführer der entsprechenden Bibliotheken längst gewöhnt. 2007 brach die Premiere des letzten Bandes, “Harry Potter and the Deathly Hallows” (“Harry Potter und die Heiligtümer des Todes”), sämtliche Rekorde an den Ladentischen, so dass es kein Wunder ist, dass die Schöpferin höchstselbst, Mrs. Rowling, sich inzwischen eine goldene Nase verdient hat. Ähnlich sieht es bei den Kinofilmen rund um den berühmten Zauberschüler aus, von denen über die Hälfte sich bereits einen Platz in der Top Ten der erfolgreichsten Filme aller Zeiten gesichert haben. Die ungebremst in Scharen in die Kinos stürmenden Fans, die nicht selten sogar das ein oder andere Accessoire mit in die Vorstellung bringen- ja, Hexenbesen und Zauberstab sind keine Rarität!- garantieren ebenso rekordverdächtige Einspielergebnisse schon an den Startwochenenden. Die Potter-Mania läuft also ungebrochen weiter und wird auch diesen Sommer wieder für brechend volle Kinosäle sorgen, so dass sich die Warner-Bosse jetzt schon mal die Freudentränen aus den Augen wischen können.
Argwöhnische Hardliner, die gerne mal den Vergleich zwischen dem Leinwand- Endprodukt und der literarischen Vorlage ziehen, hatten bislang bei so gut wie jeder filmischen “Harry Potter”- Umsetzung etwas zu mäkeln. Mal wurde dem fertigen Werk eine sklavische Vorlagentreue nachgesagt, dann wieder hieß es, der entsprechende Drehbuchautor habe sich zu viele Freiheiten herausgenommen und sei zu sehr von dem Ursprungsstoff abgewichen. Weil der Rezensent selbst eingestehen muss, niemals eins der Bücher zu Ende gelesen zu haben, hält er sich aber fairerweise aus dieser Diskussion über die Änderungen, die bei der Adaption zum Medium Film vorgenommen werden, heraus. Fakt ist natürlich, dass die eingefleischten Fans der ersten Stunde auch bei “Harry Potter und der Halbblutprinz” wieder mit einer gewissen Erwartungshaltung in die Kinos gehen werden. Und wie geht der Film nun damit um? Schwer zu sagen. Denn das, was Regisseur David Yates hier abliefert, ist ein durchaus zweischneidiges Schwert.
“Harry Potter Nr. 6” gilt im Potter-Universum, so viel ist sicher, als wichtiges Mosaiksteinchen, wird hier doch sozusagen die Brücke zum großen Finale geschlagen, das 2010 und 2011 als Zweiteiler in die Kinos kommen und von den Potter-Jüngern schon jetzt sehnsuchtsvoll erwartet wird. Die Story des Films mag nicht die tiefgründigste sein, doch David Yates tat offensichtlich gut daran, dieses Mal Steve Kloves für den Posten des Drehbuchschreibers zu besetzen, da sein Vorgänger Michael Goldenberg mit der Aufgabe, das Skript beim fünften Teil in eine vernünftige Form zu pressen, sichtlich überfordert war. Was bei Harry Potter und der Orden des Phönix auffiel, war nicht nur die mangelnde Eigenständigkeit und die Banalität der Handlung, sondern auch deren sprunghafte, gehetzt wirkende Dramaturgie, die oft verwirrend war und keine Rücksicht auf jene Potter-Amateure nahm, die es nicht vorher als notwendig erachteten, sich die Prequels anzuschauen. Nun, bei “Harry Potter und der Halbblutprinz”, werden sich auch die Muggels unter den Kinobesuchern, denen die Welt der geheimnisvollen Tränke und Zauberflüche bislang weitgehend verschlossen geblieben ist, wieder in ihr zurechtfinden. Die Erzählstränge mit den Rückblicken in Tom Riddles Kindheit und den gegenwärtigen Handlungsschauplätzen sind elegant miteinander verstrickt und glänzen mit gewohnt brillanten Schauwerten, etwa der druckvollen Actionsequenz zu Beginn, in der die Milleniums-Brücke von London in Sekundenbruchteilen in Schutt und Asche gelegt wird. Neben dieser Szene und einer Todesser-Attacke auf einem Kornfeld sind es vor allem die mit viel Detailliebe ausstaffierten Kulissen, die sich nicht wie etwa in Harry Potter und der Stein der Weisen allzu sehr in buntem Schnickschnack verlieren, sondern ungleich düsterer und unheilvoller daherkommen.
Düsterer und vor allem erwachsener ist auch die gesamte Inszenierung von “Harry Potter und der Halbblutprinz” ausgefallen. Nehmen wir nur das kräftezehrende Zauberstab-Duell zwischen Harry und Draco Malfoy in einer Szene, dessen kühle Bildästhetik kurzzeitig eine noch so abwegig erscheinende Erinnerung an die “Jason Bourne”- Trilogie wachruft und sogar den einen oder anderen alten Hasen im Kinosessel zusammenzucken lässt. Doch hier sind wir auch schon beim unangenehmen Teil der Besprechung angelangt: Denn bei der Zielgruppenorientierung sitzen David Yates und seine Crew quasi zwischen den Stühlen. Gegen die auflockernde Situationskomik der pubertären Annäherungsversuche der Protagonisten gibt es grundsätzlich nichts einzuwenden. Schließlich ist das Coming-of-Age - Thema mit erster Liebe, ersten Küssen und allem, was dazu gehört, ein integraler Bestandteil eines Films, in dem heranwachsende Teenager die Hauptrollen spielen. Doch sind die Gefühlswirrungen der Figuren anfangs noch unterhaltsam und witzig, läuft der Film irgendwann Gefahr, sich auf eine “Twilight”- artige Seifenoper- Schiene zu verlaufen. Gewiss saß hier das Studio im Nacken, das immer noch dafür zu sorgen hat, dass die Filme von der FSK brav mit “Ab 12”- Button abgesegnet werden, so dass möglichst hohe Einnahmen garantiert sind. Doch wenn der Film eine geschätzte halbe Stunde am Stück in einen hartnäckigen Liebeszauber investiert, den Ron sich einverleibt hat, wird die Geduld des Zuschauers auf eine harte Probe gestellt, zumal die eigentliche Story um den Kampf zwischen Harry und den dunklen Mächten ins Stocken gerät. Hätte Yates hier die eine oder andere Daumenschraube noch etwas konsequenter durchgezogen, hätte dies auch die niedrigeren Altersklassen sicher nicht verschreckt. Auch eine Konversation zwischen Horace Slughorn und Rubeus Hagrid (Robbie Coltrane) erweist sich als Schönheitsfehler und ist unnötig in die Länge gezogen.
Dennoch: Wer sich bisher von den phantastischen Abenteuern des wohl bekanntesten Zauberlehrlings der Welt verzaubern lassen konnte, der wird auch an “Harry Potter und der Halbblutprinz” seine helle Freude haben. Wenn sich Bruno Delbonnel`s Kamera durch die verzweigten, unheimlichen Flure der Zauberschule Hogwarts schlängelt und dazu die magische Titelmelodie von John Williams erklingt, wird sich das Potter-Herz auf Anhieb heimisch fühlen. Und auch wenn man sich als Fantasy-Gourmet doch ein ums andere Mal Guillermo del Toro (Pans Labyrinth) auf dem Regiestuhl gewünscht hätte, so kann man sich mit David Yates an gleicher Stelle dennoch anfreunden. Sicher: Er ist kein Alfonso Cuaron, dessen dritter Teil Harry Potter und der Gefangene von Askaban zu Recht als Highlight der Filmreihe gilt, doch immerhin hat er den Geist der Filme verstanden und weiß, was Fans glücklich macht.
Dass die Zauberstab schwingenden Dreikäsehochs erwachsen geworden sind, ist ihnen nicht nur äußerlich anzumerken. Auch schauspielerisch haben sich Daniel Radcliffe, Rupert Grint und Emma Watson deutlich weiterentwickelt. Vor allem Watson darf sich wohl auf ein Leben nach “Harry Potter” gefasst machen und wird in absehbarer Zeit sicher hier und da lukrative wie anspruchsvolle Rollenangebote bekommen. Die Riege britischer Top-Stars wie Michael Gambon, Alan Rickman, Robbie Coltrane usw. spielt sich auf`s Neue in die Herzen der Zuschauer, während im Gegenzug kaum neue Gesichter hinzugekommen sind. Sowohl die schrullige Luna Lovegood als auch Todesserin Bellatrix Lestrange (herrlich böse und verrucht: Helena Bonham Carter), die hier endlich einmal mehr tun darf als nur kurz durch`s Bild zu huschen, kennen wir schon aus dem “Orden des Phönix”. Dafür nimmt “Neuling” Jim Broadbent als pensionierter Professor Slughorn, der für den Segen von Hogwarts zurück in sein Amt berufen wird, einen zentralen Platz in der Handlung ein.
Fazit: “Harry Potter und der Halbblutprinz” ist wie seine erfolgreichen Vorgänger familientaugliches Eventkino, das seine Stärken zwar nicht voll auszureizen weiß, Fans der Filme aber keineswegs enttäuschen wird. Und all jenen, die dem Ende der Potter-Ära schon jetzt mit einem weinenden Auge entgegensehen, sei insofern Trost gespendet, als dass sie statt einen noch zwei Filme vor sich haben, denn “Harry Potter und die Heiligtümer des Todes” kommt ja wie gesagt in doppelter Ausführung…
Anmerkung: Kritik geschrieben im Juli 2009