Was ist romantisch? Heute wird fast alles, was an die Gefühle von Liebe zwischen zwei Menschen oder an die Sehnsucht nach ihr rührt, gern und schnell mit diesem Attribut versehen. Während das Etikett oft - wie bei den meisten romantischen Komödien mit ihren schematischen Paarungsritualen - kaum noch aussagekräftig ist, ist das Bedürfnis nach den ganz großen Emotionen weiter lebendig. Dies zeigt sich etwa im phänomenalen Erfolg der „Twilight“-Saga. In Szenen wie dem Duett schmachtender Blicke in der Abgeschiedenheit sturmdurchschüttelter Landschaft aus Biss zum Morgengrauen wird die Romantik in ihrem engeren historischen und eigentlichen Sinn auch filmisch durchaus erfolgreich beschworen. Was in der weitverzweigten Handlung um Wölfe, Vampire und jahrhundertealte Fehden als übersteigerte Leidenschaft aufblitzt, wird in Jane Campions Liebesdrama „Bright Star“ zur sublimierten Essenz. Ihre Erzählung von der historisch verbürgten tragischen Liebe zwischen dem Dichter John Keats, einem der Hauptvertreter der literarischen Romantik in England, und der Näherin Fanny Brawne ist zugleich delikat und überaus intensiv. Die Regisseurin setzt dem bewunderten Poeten und seinem Werk, aber auch seiner Geliebten und ihrem Eigensinn mit Hilfe eines schlicht perfekten Hauptdarstellerpaares ein exquisites Denkmal, das dem Keats'schen Vers gerecht wird: „A thing of beauty is a joy forever...“
Hampstead vor den Toren Londons, 1818: Bei einem Nachbarschaftsbesuch im Haus von Charles Brown (Paul Schneider, Away We Go, Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford) lernt die 18-jährige Fanny Brawne (Abbie Cornish) dessen Hausgast und Dichterkollegen John Keats (Ben Whishaw) kennen. Der junge Poet ist ganz anders als der irritierende Hausherr, der Fannys extravagante selbstgenähte Kleider verspottet. Sie ist fasziniert von Keats und seinen Werken. Schließlich nimmt der Dichter die Einladung der Brawnes an, das Weihnachtsfest bei ihnen zu verbringen. Die jungen Leute kommen sich näher. Eine scheue Romanze entwickelt sich, die Brown durch Störmanöver immer wieder zu sabotieren sucht. Auch für Fannys Mutter (Kerry Fox, „Intimacy“, Sturm) kommt eine Verheiratung der Tochter mit dem mittellosen Keats nicht in Frage. Schließlich wird das Glück der Liebenden auch noch durch Krankheit bedroht und es scheint keinen anderen Ausweg als die Trennung zu geben...
Jane Campion ist verliebt in die Dichtkunst von John Keats. Viele seiner berühmten Werke wie „La Belle Dame Sans Merci“ und das Fanny gewidmete titelgebende „Leuchtender Stern“ werden ausführlich zitiert und rezitiert. Was ein offensichtlicher Kunstgriff zu sein scheint, erweist sich nicht zuletzt dank des klaren und tief empfundenen Vortrags durch Ben Whishaw als ein Herzstück des Films – und das bis zum Ende des Abspanns. Dem Schauspieler, dessen schwindsüchtige Blässe fast mit dem modischen Vampir-Teint konkurrieren kann, steht die Empfindsamkeit und der heilige Ernst des wahren Romantikers ins Gesicht geschrieben. Whishaw, der schon Keith Richards in Stoned und einen der multiplen Bob Dylans in I'm Not There spielte, ist prädestiniert für die Rolle des attraktiven und grüblerischen Künstlers, für den Part des Frauenmörders Jean-Baptiste Grenouille in Das Parfum sah er dagegen eigentlich zu gut aus.
Dass „Bright Star“ in erster Linie eine Liebesgeschichte und kein Künstlerporträt ist, zeigt sich daran, dass die ergreifendsten Worte aus Keats' Feder im Film einem Brief an Fanny entstammen. Die Spannung zwischen der so schmerzlichen räumlichen Trennung und der überwältigenden Empfindung von Zusammengehörigkeit wird nicht durch die Montage aufgelöst, sondern durchgehalten, indem wir bei der abwechselnd seligen und betrübten jungen Frau bleiben. Wie so oft bei Jane Campion ist die weibliche Hauptfigur die komplexeste und anspruchsvollste Rolle Abbie Cornish, die mit ihren Rollen in Somersault, Candy und Stop-Loss bereits bewies, dass sie vor keiner Herausforderung zurückschreckt, liefert in „Bright Star“ ihr Meisterstück ab. Von mühsam unterdrückten Regungen bis zum markerschütternden Ausbruch und zum kecken Flirt – jede Nuance stimmt. Und gemeinsam werden die beiden Protagonisten nur noch besser: Cornish, die gerade zu Australiens sexiester Vegetarierin ernannt wurde, und Whishaw bilden nicht nur eines der schönsten Leinwandpaare der jüngeren Zeit, sondern bieten uns auch eines der überzeugendsten Porträts romantischer Zweisamkeit.
Jane Campion gilt als feministische und intellektuelle Filmemacherin. Tatsächlich stehen oft die gesellschaftlichen Nachteile von Frauen im Mittelpunkt - von den frühen Werken „Sweetie“ und „Ein Engel an meiner Tafel“ über den berühmten Das Piano und die Henry-James-Verfilmung „Portrait Of A Lady“ bis hin zum unkonventionellen Thriller In The Cut. Campions Erzählstil ist oft symbolisch aufgeladen, dabei drohen sowohl visuell als auch inhaltlich zuweilen Überfrachtung und Prätention. Für „Bright Star“ scheint das neue Credo der aus Neuseeland stammenden Regisseurin dagegen Zurückhaltung zu heißen. Sie wahrt eine wohlüberlegte Distanz zum Geschehen, aber unterläuft mit ihrem nüchternen Stil nie die Emotionalität der Liebesgeschichte. Statt kommentierende Analytikerin ist sie hier sensible Beobachterin. So werden die Zwänge der Handlungszeit in den Regency-Jahren eher nebenbei offenbart, etwa wenn Fanny bei jedem Spaziergang mit John von ihren kleineren Geschwistern Samuel (Thomas Sangster, Tatsächlich Liebe, Eine zauberhafte Nanny) und Toots (Edie Martin) begleitet wird. Und auch als der so ungehobelt daherkommende Mr. Brown (Paul Schneider mit einer ebenso lebendigen wie facettenreichen Darstellung) das Dienstmädchen Abigail (Antonia Campbell-Hughes, Breakfast On Pluto) schwängert, verzichtet Campion darauf, mit dem Zeigefinger auf die Machtverhältnisse zu deuten.
Videointerview
Bright Star
Regisseurin Jane Campion, Ben Whishaw und Abbie Cornish im Videointerview!
Mit ihrer dezenten Inszenierung fängt Campion die Scheu der romantischen Geste - eine verstohlene Handberührung, ein Kuss im Blumenmeer, Poesie statt Sex im Schlafzimmer – überzeugend und vor allem wie selbstverständlich ein. Trotz unzweifelhafter historischer Akkuratesse in Ausstattung und Zeitgeist ist ein ganz und gar gegenwärtiger, weil wahrhaftiger Film entstanden. In den Worten des Dichters: „Schönheit ist Wahrheit, Wahrheit Schönheit“.