Bevor es das Kino gab, bestand eine der größten Attraktionen im Zirkus. Seit einiger Zeit leben auch Akrobatik-Zirkusse und Variétés wieder auf. Da scheint ein Film über die Faszination der anscheinenden Schwerelosigkeit unter der Zirkuskuppel gerade recht. Regisseur Robinson Savary zaubert in dem Drama „Bye Bye Blackbird“ eine höchst tragische Liebesgeschichte in einem Reigen symbolisch aufgeladener Bilder auf die Leinwand. Doch wie seinem Protagonisten kommt ihm dabei die Leichtigkeit vollkommen abhanden und er schwelgt in einer vor Bedeutsamkeit überladenen Szenerie. Was so wunderschön anzuschauen ist, versinkt in der übermäßigen Ambitioniertheit seines Schöpfers.
Im Paris der letzten Jahrhundertwende scheint für den jungen Arbeiter Josef alles möglich: auch wenn er über nicht viel verfügt außer über seinen Körper – der macht ihn zum Himmelsstürmer. Leichtsinnig turnt er in den Schwindel erregenden Höhen beim Bau des Eiffelturms über die Geländer, bis ihn ein Gesicht auf einem Plakat fasziniert. Ohne Zögern heuert er beim Zirkus an, um den Menschen hinter diesem Gesicht kennen zu lernen. Die Trapezkünstlerin Alice ist ebenso berückend schön wie unnahbar, ganz im Gegenteil zu ihrer handfesten Adoptivschwester Nina, die sehr angetan ist von dem geradlinigen, charismatischen Mann. Unbeirrbar verfolgt Josef sein Ziel, mit der angebeteten Alice am Trapez durch die Lüfte schweben und sich schwerelos über beider realen Nöte erheben zu können. Eines Tages wird sein Traum wahr. In vollkommener Harmonie begeistert das Paar in einer traumhaften Nummer das Publikum. Das Schicksal jedoch holt Josef unsanft auf den Boden der Tatsachen zurück.
Savary entführt den Zuschauer in eine entrückte Welt, in der die Darsteller fast wie im modernen Theater vor stark reduzierten Kulissen agieren. Außerhalb der Zirkuskuppel bemüht er sich erst gar nicht, den Anschein von Realität zu vermitteln. Die westliche Welt im Umbruch der Industrialisierung mit all ihren harten Realitäten wird zu einem Gemälde. Ihre wahre Existenzberechtigung jedoch finden die Figuren lediglich in der Zirkuskuppel, einer Welt aus Farbenpracht und Zauber, in der die widrigen Umstände nichts zu suchen haben. Alice (elfengleich: Izabella Miko) und Josef (Charlie Chaplins Enkel James Thierree) leben diesen Traum, wenn sie gemeinsam hoch über dem Boden in Anmut geradezu miteinander verschmelzen. Entrinnen können sie der Realität dadurch nicht: Die allein erziehende Mutter Nina (Jodhi May) scheut sich nicht, die Dinge beim Namen zu nennen und hat gelernt, für Zweckmäßigkeiten Härte sich selbst und anderen gegenüber walten zu lassen. Auch Alice, der Star des kleinen Zirkus’, sieht das Ende dieser Unterhaltungsindustrie herannahen und möchte dem ungesicherten, unsteten Leben entfliehen. Während der rigorose Direktor von „Dempsey’s Zirkus“ und Vater von Alice und Nina, Lord Dempsey, den gesellschaftlichen Umwälzungen mit unerbittlichen Forderungen nach Attraktionssteigerung an seine Artisten zu trotzen versucht, wandelt Josef traumtänzerisch-naiv durch sein neues Glück.
Damit hat die Story für die verschiedenen Weltanschauungen inmitten radikaler Veränderungen durch aufkommende Technik und den sich ankündigenden Krieg eine Figur als deren Vertreter gefunden. Die Typisierungen sind dabei so stark ausgeprägt, dass nicht nur Assoziationen zum klassischen Theater geweckt werden, sondern zuweilen auch der Eindruck entsteht, das Tableau sei auf einem Schachbrett entstanden, wo jede Figur nur über ihre vorgegebenen Bewegungsmöglichkeiten verfügt und eine exakt umrissene Funktion erfüllt.
Damit hinsichtlich der Werte, für die eine Figur steht, auch keine Zweifel aufkommen, kommt die Farb- und Formsymbolik tatkräftig zum Einsatz. Während die reale Welt des Zirkus in einem unbestimmbaren Grau-Blau bleibt, erstrahlt die Artistenkuppel in entrücktem Strahlen. In unschuldig weißer Federpracht finden Alice und Josef in den Höhen des Trapezes zueinander, während die energische Nina ein flammendes Rot für sich gepachtet hat. Als das Schicksal zuschlägt, hüllt sich die überirdische Liebe in undurchdringliches Schwarz, Ausweglosigkeit verkündend. Für eine metaphorische Geschichte um Liebe und Freiheit mag eine symbolische Gestaltung durchaus passend sein. Die aufdringliche Art allerdings, in der sich die Bedeutung hinter dem äußeren Geschehen in den Vordergrund schiebt, schießt über das Ziel der angedeuteten Vielschichtigkeit weit hinaus und verrät ein Übermaß an künstlerischer Ambition. Statt dezent gesetzter Zeichen werden hier ohne Unterlass ganze Scheunentore geschwenkt.
Genießen kann man in diesem überladenen Ambiente lediglich die grazile und zugleich kraftvolle Akrobatik, die ihre Wirkung in der nostalgischen Bildgestaltung voll entfalten kann. Die Choreographien sind traumhaft schön, ohne sich jedoch von der Haltung der Überinterpretation befreien zu können. Ein intensiv spielendes Ensemble, allen voran ein glänzender James Thierree, auf den sich die Kamera denn auch entsprechend konzentriert trägt die fast archaisch anmutenden Geschichte. Wer die Einladung in dieses Varietée annimmt, sollte Lust auf theatralische Schwelgerei mitbringen, sonst werden die wunderbar fotografierten Anmutigkeiten anstrengend.