Das Spektrum der britischen Schauspielerin Tilda Swinton reicht vom experimentellen Drama bis hin zum Fantasy-Blockbuster. Sie arbeitete sowohl unter Arthouse-Regisseur Derek Jarman, als auch unter den „Narnia“-Regisseuren Andrew Adamson und Michael Apted. Die Schauspielerin versteht es dabei hervorragend, ihr Charisma für die verschiedensten Rollen einzusetzen. Zu ihren bekanntesten Filmen zählen Sally Potters Virgina Wolf-Adaption „Orlando“, Danny Boyles Insel-Dystopie „The Beach“ sowie die „Narnia"-Reihe.
Aus gutem Hause
Katherine Matilda Swinton wurde am 5. November 1960 in London geboren. Die Geschichte ihrer Abstammung reicht bis in die Zeit der schottischen Clans zurück. Ihr Vater Sir John Swinton war Generalmajor bei den Scots Guards, die einen Teil der Leibwache der englischen Königin stellen. Für Tilda Swinton kam deshalb auch nur eine dem Status ihrer Familie entsprechende Ausbildung in Frage. So besuchte sie eine Zeit lang jene Privatschule, auf der gleichzeitig auch Diana Spencer, die spätere Lady Di, unterrichtet wurde: die renommierte West Heath Girls School in Sevenoakes. Das Curriculum dieser Institution, das darauf abzielte, Frauen einen standesgemäßen Habitus angedeihen zu lassen, vertrug sich jedoch nicht mit Swintons freigeistiger Art. Ein Leben nach klassischem Rollenmuster war ihr zuwider und so begann sie schließlich in Cambridge ein Studium der Sozialwissenschaften und der Englischen Literatur, das sie 1983 mit einem Abschluss in Sozial- und Politikwissenschaften krönte. Bereits damals zeigte Swinton außerdem großes Engagement in einer Theatergruppe und wirkte in den unterschiedlichsten Produktionen mit. Nach Abschluss ihre4s Studiums machte sie diese Leidenschaft schließlich zu ihrem Beruf.
Im Tandem mit Derek Jahrman
Zunächst engagierte sich Tilda Swinton für die Royal Shakespeare Company in kleineren Rollen, bevor sie schließlich wieder nach Schottland zurückkehrte, um am Edinburgher Traverse Theatre zu arbeiten. Für die Schauspielerin war das Theater immer schon Zwischenstation auf dem Weg zum Film gewesen und so kam ihr 1986 das Angebot von Derek Jarman gelegen, in dessen extravaganten Biopic „Caravaggio“ über den gleichnamigen, italienischen Maler mitzuwirken. Jahrman verfrachtete die historische Figur des Malers in ein modernes, experimentelles Dekor; Swinton war darin an der Seite von Noam Almaz, Sean Bean und Robbie Coltrane als Liebhaberin Caravaggios zu sehen. Die Zusammenarbeit begründete eine langjährige Freundschaft zwischen Swinton und Jarman, die bis zu dessen Tod im Jahr 1994 anhielt. Bis dahin hatte die Schottin tatsächlich in jedem Film Jarmans mitgespielt. Gleichzeitig gab dieses Debüt unter der Regie von Jahrmann den stilistischen Kurs der Schauspielerin vor: In den ersten Jahren ihrer Karriere drehte Swinton vor allem Arthouse-Filme. In Christoph Schlingensiefs allegorischem Drama „Egomania - Insel ohne Hoffnung“ rund um die Themen Eifersucht, Egoismus und andere menschliche Abgründe empfiehl sie sich als unnahbare Schönheit, in Peter Wollens politische Science-Fiction-Film „Friendship's death“ war sie als Extraterrestrische in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt, die während des sogenannten Schwarzen September in Jordanien zwischen Palästinensern und jordanischen Militärs ausgetragen wurden. Mit ihrem geheimnisvollen Charisma verlieh Swinton ihrer Figur dabei eine strenge moralische Autorität. Swinton feierte zu dieser Zeit außerdem einen Bühnenerfolg als Mozart in Alexander Pushkins Theaterstück „Mozart und Salieri“.
Provokante Rollenwahl
Tilda Swinton wählte ihre Filmprojekte immer auch nach politischen Gesichtspunkten aus - in Derek Jarman hatte sie einen Regisseur, der dieser Linie entsprach. So entstand unter anderem der Abgesang auf die britische Kultur, „Verlorene Utopien“, oder das Historiendrama „Edward II.“ von 1991. Swinton brillierte darin als hochmütige Königin Isabella, die durch die sexuelle Zurückweisung durch ihren homosexuellen Gatten Edward II mit verständnisloser Wut reagiert. Diese Tour de Force brachte ihr eine Auszeichnung als Beste Darstellerin bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig ein. Jarman kritisierte in seinem Drama die damals vorherrschende Diskriminierung Homosexueller in der britischen Öffentlichkeit und setzte dabei unter anderem auf den Einsatz dokumentarischen Materials. Nachdem Swinton ihre Theaterkarriere schließlich an den Nagel gehängt hatte, wurde sie durch ihren Auftritt in Sally Potters Virginia Wolf-Verfilmung „Orlando“ über einen Adeligen, der sich im Laufe seines 400-jährigen Lebens vom Mann zur Frau wandelt, einem breiteren Publikum bekannt. Gefallen an geschlechtertranszendierenden Rollen hatte Swinton bereits mit ihrem Engagement im Theaterstück „Mozart und Salieri“ gezeigt; dieses androgyne Auftreten nutzte sie nun aber auch in Filmen immer häufiger, um Geschlechterkonventionen zu problematisieren.
Blockbuster mit Ecken und Kanten
Ihren gesteigerten Bekanntheitsgrad nutzte Swinton in den Folgejahren, um die ganze Bandbreite des Kinos zu bedienen. In Susan Streitfelds 1996 entstandenem Regiedebüt „Phantasien einer Frau“, das das wachsende feministische Selbstverständnis dieser Zeit thematisierte, spielte sie die bisexuelle Juristin Eve Stephens und in Danny Boyles Paradies-Dystopie „The Beach“ verkörperte sie an der Seite von Leonardo DiCaprio die machthungrige Anführerin einer Gruppe Aussteiger, die sich an einem geheimen Strand in Indien ein scheinbares Paradies aufbauen. Swinton zeigte darin auf, wie kalkuliertes Machtinteresse und unkontrollierbare Sexualität den Zusammenhalt einer Gruppe gefährden können. Mit einer kleinen aber zentralen Rolle in Cameron Crowes Thriller „Vanilla Sky“, einem Remake von Alejandro Amenábars „Öffne meine Augen“, betrat Swinton schließlich die Bühne des Blockbuster-Kinos und spielte an der Seite von Tom Cruise, Penélope Cruz und Cameron Diaz. In Spike Jones' extravagantem Drama „Adaption“ über die Schaffenskrise eines geiferten Drehbuchautoren, der sich plötzlich in einen Thriller verwickelt findet, überzeugte Swinton dagegen an der Seite von Nicolas Cage, Meryl Streep und Chris Cooper als Karikatur einer typischen Hollywood-Produzentin.
Blockbuster und Arthouse
Tilda Swinton sah im weiteren Verlauf ihrer Karriere immer wieder eine Herausforderung darin, das Künstlerische im Blockbuster zu unterstreichen. Während sie in Norman Jewisons Thriller „The Statement“ die engagierte Richterin Annemarie Livi verkörperte, die Jagd auf den von Michael Caine gespielten Kriegsverbrecher Pierre Brossard macht, bereicherte sie außerdem den actionreichen Mystery-Thriller „Constantine“, in dem Keanu Reeves als Exorzist gegen den Beelzebub ankämpft, durch ihre bewusst androgyne Darstellung des Erzengels Gabriel. Gewohnte Arthouse-Kost lieferte sie dagegen in Jim Jarmuschs 2005 veröffentlichter Tragikomödie „Broken Flowers“. An der Seite von Sharon Stone, Frances Conroy, Jessica Lange und Julie Delpy spielte sie eine von fünf Ex-Freundinnen des Computerspezialisten Don Johnston (Bill Murray), der sich auf der Suche nach seinem nie gesehenen Sohn befindet. Mit „Die Chroniken von Narnia - Der König von Narnia“ bediente sie hingegen das lupenreine Blockbuster-Kino. In der Fantasy-Verfilmung rund um eine Gruppe Kinder, die während des Zweiten Weltkriegs vorsichtshalber in die Provinz geschickt werden und dort auf eine fantastische Märchenwelt stoßen, porträtierte Swinton die dämonische Hexe Jadis mit gewohnter Intensität. Für die zwei Sequels „Die Chroniken von Narnia - Prinz Kaspian von Narnia“ und „Die Chroniken von Narnia: Die Reise auf der Morgenröte“ schlüpfte Swinton erneut in diese Rolle. Zeitgleich mimte sie im Clooney-Thriller „Michael Clayton“ die moralisch indifferente Juristin eines skrupellosen Agrarkonzerns; außerdem war sie an der Dokumentation „Derek“ über ihren langjährigen Freund und Lieblings-Regisseur Derek Jarman beteiligt, der 1994 verstorben war. Für ihre Rolle in „Michael Clayton“ erhielt sie 2007 außerdem einen Oscar als Beste Nebendarstellerin.
Neben ihrer Filmkarriere war Tilda Swinton auch in anderen Bereichen künstlerisch aktiv. So hielt sie 1995 für die mit Cornelia Parker entwickelte Installation „The Maybe“ eine Woche lang täglich acht Stunden völlig still und wirkte Musikstücken des britischen Musikers Patrick Wolf mit.