Große Rollen alleine konnten John Hurt noch nie locken. Stattdessen sucht der Brite regemäßig nach der Herausforderung, was ihn für schwierige Charakterrollen prädestiniert. Konsequenterweise avancierte Hurt deshalb auch nie zum ganz großen Star, sondern ist bis heute ein ungeschliffener Diamant des Business. Seinen Facettenreichtum bewies Hurt unter anderem als homosexueller Dandy Quentin Crisp in „Wie man sein Leben lebt“ sowie als äußerlich entstellter John Merrick in „Der Elefantenmensch“.
Die Leidenschaft siegt
John Vincent Hurt wurde am 22. Januar 1940 im englischen Chesterfiel geboren. Sein Vater engagierte sich für die Kirche, weshalb Hurt religiös erzogen wurde. Obwohl seine Mutter in der örtlichen Theatergruppe spielte, beäugten die Eltern das Schauspielinteresse ihres Sprösslings argwöhnisch. Zwar hatte der Junge bereits in Schulaufführungen enormes Talent durchblicken lassen, die Eltern schickten ihn jedoch nach dem Abschluss an die renommierte Saint-Martins-Kunsthochschule in London, damit ihr Sohn schließlich Kunstlehrer werde. Doch Hurts Passion setzte sich durch: Ein Theaterstipendium von der Royal Academy of Dramatic Art konnte der junge Hurt nicht ablehnen. Die Eltern des angehenden Schauspielers quittierten die Entscheidung, indem sie ihm sämtliche finanziellen Mittel strichen. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, nahm Hurt deshalb jede Theater- und TV-Rolle an, die sich ihm in der folgenden Zeit bot. Einen entscheidenden Schritt voran ging es mit seiner Karriere, als er während seines Engagements für das Theaterstück „Little Malcolm and His Struggle Against the Eunuchs“ in Dublin den Filmregisseur Fred Zinnemann kennenlernte, der ihm auch prompt eine Rolle in seinem nächsten Film anbot.
Außenseiterfiguren
Zinnemanns Historiendrama „Ein Mann zu jeder Jahreszeit“ erzählt vom Gewissenskonflikt des englischen Lordkanzlers Thoma Morus, der entgegen der eigenen Überzeugung den englischen König Heinrich VIII. anstelle des Papstes als Kirchenoberhaupt anerkennen sollte, einen Staatsbediensteten, der Morus an dessen Gegenspieler Thomas Cromwell verrät. Hurt spielte an der Seite von Paul Scofield, Leo McKern, Robert Shaw und Orson Welles und verkörperte die ambivalente Haltung seiner Figur so überzeugend, dass er eine Hauptrolle in John Hustons historischer Gaunerkomödie „Dave - zuhaus in allen Betten“ angeboten bekam. Darin spielte Hurt den im 19. Jahrhundert lebenden Trickdieb Davey Haggart, der sich durch eine beeindruckende Fingerfertigkeit auszeichnete. Der Film erreichte nur wenig Aufmerksamkeit, doch das tat Hurts Karriere keinen Abbruch. In der Folge sah man Hurt als britischen Soldaten in J. Lee Thompsons Flüchtlingsdrama „Bevor der Winter kommt“ und als Sohn des Bürgermeisters in Jacques Demys düsterer Interpretation des „Rattenfänger von Hameln“. Anerkennung erntete Hurt für seinen Auftritt in Richard Fleischers Serienkiller-Thriller „John Christie, der Frauenwürger von London“ von 1970, in dem er an der Seite von Richard Attenborough spielte. Hurt gab darin einen Analphabeten, der zu Unrecht des Mordes beschuldigt und in der Folge zum Außenseiter stigmatisiert wird. Vier Jahre später folgte eine weitere Charakterrolle im Biopic „Wie man sein Leben lebt“. Der Film erzählt die Lebensgeschichte des Dandys Quentin Crisp, der in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg seine Homosexualität trotz gesellschaftlicher Widerstände in vollen Zügen auslebte. Hurts Schauspiel zehrt dabei von der großen Geste, mit der er Crisp zum Leben erweckt. Spätestens mit diesem Auftritt hatte sich der Schauspieler als Anlaufstelle für unangenehme Rollen empfohlen.
Aufbruch ins internationale Rampenlicht
Hurt blieb diesem Programm treu und erwarb sich Anerkennung durch seine Rolle in Alan Parkers Drama „12 Uhr nachts“, in dem er einen heroinabhängigen Insassen eines türkischen Gefängnisses verkörpert. Der Film basiert auf dem realen Fall des Studenten Billy Hayes, der wegen Drogenschmuggels zu 30 Jahren Haft verurteilt wurde. Hurts eindringliche Darstellung brachte ihm eine Oscarnominierung und einen Golden Globe als Bester Nebendarsteller ein und markierte den Startschuss für eine internationale Filmkarriere. Zu seinen populärsten Rollen in dieser Zeit gehören die des Astronauten Kane in Ridley Scotts Science-Fiction-Meilenstein „Alien - Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt“ sowie die des körperlich entstellten John Merrick in David Lynchs Drama „Der Elefantenmensch“ von 1980. Hier bewies Hurt in einer seiner wenigen Hauptrollen, dass er einen Film fast im Alleingang tragen kann. Trotz aufwendiger Maske verlieh Hurt seiner Figur Würde, was ihm seine zweite Oscarnominierung einbrachte. Nebenbei versuchte sich Hurt auch als Synchronsprecher in Animationsfilmen und lieh beispielsweise dem Waldläufer Aragorn in Ralph Bakshis Version von J.R.R. Tolkiens „Der Herr der Ringe“ seine Stimme.
Konsequente Karriere
Nachdem sich John Hurt bis zum Ende der 70er-Jahre auch international einen Namen gemacht hatte, kamen die Rollenangebote fast von alleine. In Michael Radfords George Orwell-Adaption „1984“ spielte er den zweifelnden Angestellten Winston Smith, der sich schließlich gegen den Überwachungsstaat stellt. In Mel Brooks' parodistischem „Spaceballs“ nahm er hingegen die legendäre Geburtsszene aus „Alien“ aufs Korn, die er damals selbst gespielt hatte. Wiederholt nahm Hurt zu dieser Zeit auch Rollen in kleineren Produktionen an, wodurch sein Name bei den großen Studios etwas in Vergessenheit geriet. Zeichen setzen konnte er hingegen als Revolvermann in Jim Jarmuschs Anti-Western „Dead Man“ sowie als britischer Intellektueller Giles De'Ath in Richard Kwietniowskis „Liebe und Tod auf Long Island“. Erst die Harry Potter-Verfilmungen brachten den britischen Schauspieler dann endgültig zurück in die Öffentlichkeit. Der Schauspieler war in „Harry Potter und der Stein der Weisen“ aus dem Jahr 2001 sowie in den 2010 und 2011 erschienenen Fortsetzungen „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes - Teil 1 und 2“ als Zauberstabmacher Ollivander zu sehen. Seitdem bedient Hurt sowohl den Mainstream als auch das Genrekino. In Richard Kwietnowskis Drama „Owning Mahowny“ mit Philip Seymour Hoffman als spielsüchtigem Dan Mahowney spielte Hurt den mephistophelischen Casino-Boss Victor Foss, der Mahowney zum Weiterspielen anleitet. Zu den weiteren Rollen Hurts zählen die des "Hellboy"-Ziehvaters im gleichnamigen Fantasy-Streifen und die des faschistoiden Großkanzler Adam Sutler in „V wie Vendetta“. In Steven Spielbergs „Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels (Indiana Jones and the Kingdom of the Crystal Skull)“ spielte Hurt außerdem den in Bedrängnis geratenen Professor Oxley, dem der berühmte Archäologe zur Hilfe eilen muss. 2009 schließlich mimte Hurt im Biopic „An Englishman in New York“ noch einmal Quentin Crisp. Zuletzt überzeugte der Schauspieler in Lars von Triers Endzeit-Drama „Melancholia" als Vater der Braut. Am 2. Februar 2012 startet schließlich Tomas Alfredsons ambitionierter Spionage-Thriller "König, Dame, As, Spion". Darin wird Hurt als MI-6-Chef "Control" zu sehen sein.
Hurt war insgesamt viermal verheiratet und hat zwei Kinder mit Jo Dalton, seiner dritten Frau. Wegen alkoholbedingter Eskapaden und anschließender Entziehungskuren wurde er immer wieder zum Thema in Schlagzeilen.
Im Juni 2004 wurde John Hurt von der britischen Königin Elisabeth II. zum Commander of the Order of the British Empire ernannt.
Seit einigen Jahren engagiert sich der Schauspieler für die englische Organisation "Project Harar Ethiopia". Das Projekt setzt sich für benachteiligte Kinder in Afrika ein, die an Gesichtsverletzungen leiden.