In den Filmen von Regisseurin, Drehbuchautorin und Produzentin Kathryn Bigelow vereinen sich pointierter Stil und ein besonderes Gespür für das Innenleben ihrer Figuren. Die ästhetisch anspruchsvollen Bilder stehen im Dienste des jeweiligen Dramas uns sind stets so eingesetzt, dass sie dessen Inhaltsebene nicht untergraben. Ihre Arbeiten gehören zu einem Großteil dem Kriegs-, Thriller- oder Actionfilmgenre an. Bigelow liebt die Verschmelzung von Zuschauerperspektive und der Wahrnehmung der Film-Charaktere, ein Stilmittel, dass sie im Millenium-Thriller "Strange Days" auf die Spitze getrieben hat. Daneben zählen der Vampir-Thriller "Near Dark – Die Nacht hat ihren Preis", der Polizei-Thriller "Gefährliche Brandung" und das Irak-Kriegs-Drama "Tödliches Kommando – The Hurt Locker" zu ihren bekanntesten Werken.
Von der Farbenfabrik zur Kunst
Kathryn Bigelow wurde am 27. November 1951 als Kathryn Ann Bigelow im kalifornischen San Carlos geboren. Ihr Vater Elliott hatte eine leitende Position in einer Farbenfabrik inne, während ihre Mutter Gertrude Kathryn Larson als Bibliothekarin arbeitete. Auch Kathryn Bigelow interessierte sich schnell für die Arbeit mit Farben und begann zu malen. So war der Schritt zum San Francisco Art Institute nicht mehr weit, das sie nach ihrem Schulabschluss besuchte. 1972 siedelte Bigelow nach New York über, wo sie mit Hilfe eines Stipendiums des Whitney Museums ihre künstlerischen Fertigkeiten vervollkommnete. Kurz danach wechselte Bigelow zur Columbia University, um dort Filmtheorie zu studieren. Noch vor ihrem Abschluss 1979 entstand im Jahr 1978 ihr erste Kurzfilm "The Set-Up", der in avantgardistischer Weise die körperliche Auseinandersetzung zweier Männer, mit einem Vortrag über das Wesen von Gewalt kombinierte.
Exzentrischer Kunstwille trifft Genre
Anfang der 1980er Jahre inszenierte Kathryn Bigelow ihren ersten Spielfilm "The Loveless" mit Willem Dafoe als Biker, in seiner ersten nennenswerten Rolle. Das Genre des Motorradfilms diente Bigelow als Aufhänger für eine präzise, mit artifiziellen Mitteln in Szene gesetzte Studie über das geschilderte, ländliche Milieu. Gleichzeitig reflektierte sie ihre filmischen Vorbilder der 1950er und 60er Jahre. Durch ihre gekonnten Kunstgriffe erregte sie die Aufmerksamkeit der Filmbranche und zog schließlich nach Los Angeles, um dort ihr Glück zu versuchen. Mit ihrem nächsten Werk, dem Vampir-Thriller "Near Dark – Die Nacht hat ihren Preis", etablierte sich Bigelow, obwohl er an der Kinokasse floppte, endgültig in Hollywood. In dem 1987 veröffentlichten Film geht eine Vampir-Gruppe im amerikanischen Hinterland auf Beutezug. Dabei kreuzte Bigelow erfolgreich die zugrunde liegende Blutsaugermythologie mit dem Westerngenre und untermalte die rasante Handlung mit elegant ausgeleuchteten Bildern.
Persönliche Handschrift im Mainstream
Nachdem Bigelow 1989 Regisseur James Cameron geheiratet hatte, setzte sie ihre erfolgreiche Filmkarriere mit größeren Produktionen fort. Der Serienkiller-Thriller "Blue Steel" (1989) mit Jamie Lee Curtis als Polizistin auf der Jagd nach dem Mörder, der sich schließlich als ihr Geliebter entpuppt, lotet mit den Mitteln melodramatischer Schicksalhaftigkeit die Schwierigkeiten der Hauptfigur im männlichen Berufsumfeld aus. Dabei arbeitete Bigelow mit einer konsequenten Übertragung der Perspektive der Polizistin auf den Zuschauer, um Dramatik und Spannung zu steigern. So offenbarte Bigelows Zugang zum Genre eine persönliche Handschrift, die auch im Studiosystem nicht verloren ging. Das gilt auch für den Thriller "Gefährliche Brandung" (1991), in dem Keanu Reeves als Undercover-Agent eine von Patrick Swayze geführte Surferbande infiltriert und in einen Gewissenskonflikt gerät. Rasante Action, stilisierte Bilder und der Wille zum emotionalen Drama ergeben einen spektakulären, sauber inszenierten Film mit dichter Atmosphäre. Obwohl ihre Ehe mit Cameron kurz nach den Dreharbeiten in die Brüche ging, konnte sich Bigelow bei ihrem nächsten Projekt, dem Milleniums-Thriller "Strange Days" (1995), auf ihn verlassen – der Film basiert auf einem Drehbuch ihres Ex-Mannes. Die Geschichte über einen ehemaligen Polizisten, der in das perfide Spiel eines Vergewaltigers und Killers hineingezogen wird, steckt voller stilistischer Finessen, aufgeladenen Bildern, rasanten Szenen, emotionalen Höhepunkten und grimmiger Endzeitstimmung angesichts immer stärker ausufernder Gewalt auf den Straßen von Los Angeles. Indem die Hauptfigur über eine spezielle Aufnahme- und Abspieltechnologie die Emotionen des Killers, die dieser während seiner Taten empfindet, direkt nacherlebt, treibt Bigelow die Perspektivverschmelzung verschiedener Personen auf die Spitze. Da die entsprechenden Szenen als subjektive Sicht des Killers gefilmt sind, überträgt sich seine Sichtweise zusätzlich auf den Zuschauer. Dadurch erreicht Bigelow eine Einheit zwischen Täter, Verfolger und Zuschauer, welche die Intensität des Geschehens ins Unermessliche steigert. Der Film droht ständig, auseinanderzubrechen, und nutzt diese Kraft für die abgründige Vision menschlicher Niedertracht, in der es aber auch Hoffnungsschimmer gibt. Aufgrund der düsteren Perspektive war dem Werk kein kommerzieller Erfolg beschieden.
Comeback mit Irakkriegsdrama
Nach dem Thriller "Das Gewicht des Wassers" (2000) und dem U-Boot-Drama "K-19 – Showdown in der Tiefe" wurde es etwas ruhiger um Bigelow, bevor sie sich mit dem Irakkriegsdrama "Tödliches Komando – The Hurt Locker" (2009) zurück meldete. Das Portrait einer amerikanischen Kampfmittelräumeinheit im Irak, die mit Macho-Allüren auf die tödliche Gefahr reagiert, mit der sie ständig konfrontiert ist, überzeugt als flirrend-dichte Bestandsaufnahme existenzieller Grenzzustände. Der Kriegsfilm wird bei Bigelow zu einer Studie über Angst und Düsternis, die sich in ebenso eleganten wie bedrückenden Bildern manifestiert. Der Film erhielt sechs Oscars, darunter die Preise für den Besten Film und die Beste Regie sowie das Beste Originaldrehbuch. Bigelow wurde als erste Frau in der Geschichte des Preises mit einem Regie-Oscar ausgezeichnet und durfte als Produzentin noch einen zweiten der begehrten Goldjungs mit nach Hause nehmen. Zuvor hatte das Werk bei den Filmfestspielen von Venedig bereits den Goldenen Löwen gewonnen. Demnächst wird Bigelows "Zero Dark Thirty" in die Kinos kommen, in dem sich die Regisseurin mit der zehn Jahre langen Jagd auf Osama bin Laden beschäftigt.