David Cronenberg zählt zu den bedeutendsten kanadischen Regisseuren und hat vor allem das Horrorkino nachhaltig beeinflusst. In vielen seiner Werke verbindet der Filmemacher psychischen und physischen Horror gekonnt miteinander. Mit Filmen wie "Parasitenmörder", "Rabid" und "Videodrome" hat er ein Subgenre des Horrorfilms, den Körperhorror, entscheidend mitgeprägt. In dieser Genre-Spielart sorgt vor allem die Deformation des Körpers für nachhaltigen Schrecken. Dieser besonderen Gewichtung der Physis ist Cronenberg auch bis heute treu geblieben, auch wenn sein Schaffen mit Werken wie "A History of Violence" und "Eine dunkle Begierde" längst deutlich über den reinen Horror hinausreicht.
Der passionierte Künstler mit dem Hang zur Wissenschaft
David Cronenberg wurde am 15. März 1943 im kanadischen Toronto geboren. Zusammen mit seiner älteren Schwester Denise Cronenberg, die als Kostümbildnerin an den meisten Filmen ihres Bruders mitarbeiten sollte, wuchs er in behüteten Verhältnissen auf. Die Mutter war Pianistin und der Vater Journalist, was zu einer frühen künstlerischen Prägung der Geschwister führte. Nach seinem Schulabschluss widmete sich Cronenberg jedoch erst einmal einem Studium der Biochemie an der University of Toronto. Seiner Liebe zum geschriebenen Wort blieb er jedoch treu und verfasste nebenher Kurzgeschichten. Seine Passion führte schließlich zum Entschluss, den Studiengang zu wechseln und Literatur zu studieren. Cronenbergs kreativer Trieb war damit aber nicht erschöpft. Das Medium des Films nahm den jungen Mann so gefangen, dass er sich selbstständig ein breites Wissensspektrum aneignete und bald schon eigene Kurzfilme realisierte. Als er 1967 das Literaturstudium abschloss, hatte er bereits die beiden experimentellen Kurzfilme "Transfer" und "From the Drain" abgedreht, in denen er mit psychologischen Ängsten experimentierte.
Der Horrorfilm als Vehikel für Wissenschaftskritik
Zwischen 1969 und 1970 realisierte Cronenberg die beiden einstündigen Filme "Stereo" und "Crimes of the Future", in denen sich erstmals seine Vorliebe für die Themenbereiche Sexualität und Wissenschaft zeigte. 1975 konnte er schließlich seinen ersten abendfüllenden Spielfilm "Parasitenmörder" präsentieren. Dieser und der darauffolgende "Rabid – Der brüllende Tod" waren bereits stilbildend und markierten die Anfänge des sogenannten Körperhorrors. Cronenberg verschmolz darin die Kritik an der vorherrschenden wissenschaftlichen Hybris mit der Angst vor körperlichem Zerfall und traf damit einen Nerv der Zeit. In "Parasitenmörder" überflutete Cronenberg etwa ein innovatives Luxuswohnhaus, in dem es den Bewohnern laut Werbetext an nichts mangeln sollte, mit Parasiten und schob die Schuld einem gescheiterten wissenschaftlichen Experiment zu. Der Film löste durch seine Radikalität eine Kontroverse aus. Cronenberg ließ sich davon nicht irritieren und griff seine Kritik in "Rabid – Der brüllende Tod" erneut auf. Diesmal sprengte er die Grenzen des privaten Raums und ließ die Seuche an öffentlichen Orten wie Einkaufszentren und Kinos ausbrechen. Produzent der beiden Filme war übrigens niemand anderes als Ivan Reitman, der sich später unter anderem als Regisseur der "Ghostbusters"-Reihe einen Namen machte.
Die Suche nach dem Selbst: Identität als Science-Fiction-Thema
Auf den 1979 erschienen Rennfahrerfilm "10.000 PS - Vollgasrausch im Grenzbereich", mit dem Cronenberg seine Liebe für das B-Movie-Genre auslebte, folgte ein Jahr später mit "Scanners" sein bis dahin kommerziell erfolgreichster Film. Auch darin ist ein misslungenes wissenschaftliches Experiment Auslöser dramatischer Ereignisse, den Fokus legte Cronenberg nun aber verstärkt auf die persönlichen Schicksale seiner Protagonisten. Aufgrund eines Experiments sind sogenannte Scanner entstanden, die mit Hilfe telepathischer Kräfte andere Menschen kontrollieren können. Cronenberg erzählt die Geschichte aus der Perspektive eines solchen Scanners und thematisiert Probleme der Identitätsfindung. Auf ganz andere Weise behandelte Cronenberg das Identitätsthema in seinem nächsten Film "Videodrome". Hier ließ der Filmemacher den Chef eines Kabelkanals einem Piratensender auf die Spur kommen und in einen Teufelskreis aus Fremdkontrolle und Wahn geraten. Die Kritik an den Medien und die Frage nach den Grenzen der Individualität stehen im Zentrum von Cronenbergs visionärer Dystopie.
Die Profession im Mittelpunkt: Vom mutierten Wissenschaftler zum Gynäkologen
Nachdem sich David Cronenberg in seinen Filmen zunächst mit den Auswirkungen wissenschaftlicher Experimente auf Unbeteiligte beschäftigte, verlegte er nach "Videodrome" das Horrorerlebnis auf die Person des Wissenschaftlers selbst. In dem auf einer Erzählung George Langelaans basierenden "Die Fliege" mutiert der von Jeff Goldblum verkörperte Wissenschaftler Seth Brundle nach einem Selbstversuch zu einem überdimensionalen Insekt. Cronenberg arbeitete dabei mit verblüffenden Spezialeffekten, die den Zuschauer die körperliche Degeneration des Wissenschaftlers zwischen Mitleid und Abscheu äußerst realistisch miterleben ließen. Der "Fliege" war sowohl kommerzieller wie auch künstlerischer Erfolg beschieden: Chris Walas und Stephan Dupuis wurden für die Make-Up-Effekte sogar mit einem Oscar ausgezeichnet. Mit "Die Unzertrennlichen" erforschte Cronenberg weiter den Zusammenhang von persönlicher Obsession und Berufsethos. Im Mittelpunkt spielt das von Jeremy Irons in einer Doppelrolle verkörperte eineiige Zwillingspaar Beverly und Elliot. Die beiden Gynäkologen leben in einer bizarren, symbiotischen Gemeinschaft, in der Elliot dafür zuständig ist, mit dem anderen Geschlecht anzubandeln, um die Eroberung dann schließlich seinem Zwillingsbruder zu überlassen. Das Gefüge zerbricht jedoch, als sich Beverly in eine Patientin verliebt.
Der Rausch auf Zelluloid: Drogen und Fetisch
Anfang der 1990er Jahre machte sich David Cronenberg an die Verfilmung des als unverfilmbar geltenden Romans "Naked lunch" aus der Feder des Kultautoren William S. Burroughs. Dabei setzte der Regisseur einen erzählerischen Kunstgriff ein, indem er nicht das Buch selbst, sondern dessen Entstehung zur Basis seines Films machte. Cronenberg schuf mithilfe von drastischen Effekten eine hypnotische Welt. Nach "M. Butterfly", einem romantische Drama um eine obsessive Liebe, ließ der Regisseur 1996 mit "Crash" ein Werk über perversen Lustgewinn folgen: Eine Gruppe junger Menschen berauscht sich sexuell an Autounglücken. Cronenberg schwelgt geradezu in fetischistischen Motiven, was "Crash" zu einem ebenso originellen wie kontroversen Film machte.
Vom Cyber-Thriller zur Mafia-Studie: Cronenberg im neuen Jahrtausend
Drei Jahre nach "Crash" verpasste Cronenberg mit dem Cyber-Thriller "eXistenZ" der Medienkritik aus "Videodrome" ein zeitgemäßes Update. Statt eines Fernsehsenders bildet nun ein neues Computerspiel den Aufhänger für eine Reise, bei der Realität und Fiktion zusammenfallen. Auch im folgenden Drama "Spider" finden sich zumindest auf den zweiten Blick typische Motive des Regisseurs wieder: So sorgt die Verquickung der Kindheitserinnerungen eines Schizophrenen (gespielt von Ralph Fiennes) mit dessen Gegenwart für eine wachsende Unsicherheit darüber, was real ist und was nicht. 2005 realisierte der Kanadier dann die Comic-Adaption "A History of Violence", in der er den Einbruch von Gewalt in eine Kleinstadtidylle thematisiert, und 2007 folgte der Mafia-Thriller "Tödliche Versprechen" über die Ambivalenz von Gewalt. Beide Filme wurden von der Kritik positiv aufgenommen, gelobt wurde vor allem Viggo Mortensen, der jeweils die Hauptrolle spielte und für seine Darstellung eines Mitglieds der Russenmafia in "Tödliche Versprechen" für den Oscar nominiert wurde. Bei den Filmfestspielen in Venedig 2011 feierte dann "Eine dunkle Begierde" Premiere, in dem Cronenberg vom komplizierten Dreiecksverhältnis zwischen den beiden Psychologie-Pionieren Sigmund Freud (Viggo Mortensen) und Carl Gustav Jung (Michael Fassbender) und einer Patientin (Keira Knightley) erzählt.