In Deutschland erschien „Der weiße Hai“ erst im Dezember 1975. In den USA kam der mittlerweile legendäre Horrorfilm dagegen schon im Juni in die Kinos und gilt seitdem als die Geburtsstunde des Sommer-Blockbusters. Steven Spielberg drehte den Film übrigens unter anderem nur, weil sich sein eigentliches Traumprojekt immer weiter verzögerte – und dann zwei Jahre später erschien: „Unheimliche Begegnung der dritten Art“. Es ist kein Zufall, dass im Zusammenhang mit Jordan Peeles „Nope“ nun ausgerechnet immer wieder diese beiden Spielberg-Klassiker genannt werden.
In „Nope“ erleben die Geschwister Em (Keke Palmer) und OJ (Daniel Kaluuya) sowie der sich ihnen anschließende Elektronikmarktmitarbeiter Angel (Brandon Perea) nämlich ihre eigene unheimliche Begegnung der dritten Art. Irgendetwas treibt sich am Himmel in der Agua-Dulce-Wüste im Norden Kalifornien herum, lässt die Elektrizität ausfallen und scheint auch für das Verschwinden einiger Pferde verantwortlich zu sein. Ist es ein UFO? Sicher nicht zufällig macht sich wie in „Der weiße Hai“ nun ein Trio daran, mehr über die unheimlichen Vorkommnisse herauszufinden…
AUCH JORDAN PEELE NUTZT UNSERE VORSTELLUNGSKRAFT
Steven Spielbergs Tier-Horror-Klassiker wird deshalb so oft als herausragendes Meisterwerk gefeiert, weil der Regisseur uns spannendes Unterhaltungskino in Perfektion beschert. Er spielt gekonnt mit unseren Erwartungen und bedient sich unserer Vorstellungskraft. Lange Zeit ist der titelgebende Hai quasi gar nicht zu sehen, wird immer nur angedeutet. Ein großer Teil des Horrors spielt so sich im Kopf des Zuschauers ab. Zudem verstand Spielberg schon damals, dass eine B-Movie-Story (wie es der Tierhorrorfilm auf den ersten Blick ist) trotzdem spannende und vielschichtige Figuren braucht.
Jordan Peele hat diese Lehren verinnerlicht. Ähnlich wie Spielberg füttert er unsere Erwartungen und Vorstellungen. Was sich da wirklich in den Wolken über der Wüste versteckt, können wir so lange Zeit nur vermuten. Auch Peele lässt uns diese Bedrohung zudem durch die Augen interessanter Figuren erleben, mit denen wir mitfiebern können. Dabei wird er von seinem großartigen Cast, allen voran von Keke Palmer und seinem kongenialen „Get Out“-Hauptdarsteller Daniel Kaluuya, unterstützt.
„Nope“ bietet aber nicht nur ein ähnliches Spektakel wie einst „Der weiße Hai“, sondern ist vor allem auf der absoluten Höhe der Zeit. Gemeinsam mit dem für Filme wie „Interstellar“ und „Tenet“ gefeierten Schweizer Kameramann Hoyte Van Hoytema erschafft Jordan Peele einige der eindrucksvollsten Bilder, die ihr dieses Jahr zu sehen bekommt und die wie für die große Leinwand gemacht sind. Wie einst Spielberg nimmt der „Get Out“-Regisseur so Versatzstücke klassischer B-Movies, hier UFO- und Monsterfilme, und schafft daraus einen bildgewaltigen A-Blockbuster, wie man ihn so noch nicht gesehen hat.
Auch bei „Nope“ ist es die zweite Hälfte, in der das zuvor mit unseren Vorstellungen aufgeladene Geschehen dann optisch immer beeindruckender wird. Wir wollen an dieser Stelle nicht zu viel verraten, weil Peele sein Publikum auf so viele verschiedene Weisen überrascht. Doch wenn er seinen persönlichen „weißen Hai“ aus den Wolken hervortreten lässt und diese Begegnung der dritten Art endgültig in ihrer vollen Pracht offenbart, ist das ein absolutes Spektakel.
Wer auf großartig ausschauendes, aber gleichzeitig auch intelligentes und vielschichtiges Spektakel-Kino, wie es lange Zeit vor allem Steven Spielberg wie kein zweiter Regisseur in Hollywood geschaffen hat, steht, muss „Nope“ unbedingt im Kino schauen.