Selbst wenn es im Netflix-Hit „Vikings: Valhalla“ Szenen wie die große Schlacht auf der Brücke nach London gibt, konzentriert sich die Kamera fast immer schnell auf einzelne Kontrahenten. Und meist dominieren ohnehin die Kämpfe einzelner Krieger und Kriegerinnen, wie schon die erste Episode zeigt, als Grönländer Leif (Sam Corlett) direkt nach seiner Ankunft im Wikinger-Camp herausgefordert wird.
Diese Szene ist gleich in mehrfacher Hinsicht bezeichnend für die Action in „Vikings: Valhalla“, weswegen es sich lohnt, den besonderen Ansatz, den die Verantwortlichen der Netflix-Serie verfolgen, anhand dieses Kampfes genauer unter die Lupe zu nehmen. Geprägt wird diese Action in dem neuen Serien-Erfolg von zwei Männern mit hochkarätigen Hollywood-Hits wie „Stirb langsam“ und „The Dark Knight“ in ihrer Vita.
1. Die Action erzählt uns etwas über die Figuren
Hinter „Vikings: Valhalla“ steckt Jeb Stuart, der lange Zeit einer der Top-Hollywood-Autoren für Actionkino war, bevor er aus privaten Gründen über ein Jahrzehnt pausierte. Aus seiner Feder stammen Hits wie „Stirb langsam“ und „Auf der Flucht“, die eine Sache mit „Vikings: Valhalla“ gemein haben: Es wird nicht groß erst ein Szenario aufgebaut, sondern die Figuren werden schnell direkt in das Geschehen geworfen und erst während die Action passiert, erfahren wir mehr über sie.
Dem Magazin Slashfilm bestätigte Stuart so auch, dass er bei „Vikings: Valhalla“ denselben Ansatz wie bei diesen beiden Kino-Klassikern verfolgt habe. Es sei eben nicht wie bei Marvel, wo eine Welt aufgebaut wird.
Es stehen die Figuren im Zentrum, welche in die bereits fertige Welt geworfen werden und dann dort über die Runden kommen müssen. Und wie Dr. Richard Kimble (Harrison Ford) in „Auf der Flucht“ oder John McClane (Bruce Willis) in „Stirb langsam“ wachsen die Figuren auch in „Vikings: Valhalla“ nicht nur an ihren Action-Herausforderungen, sondern wir als Zuschauer erfahren in diesem Momenten mehr über sie.
Dazu kommen wir noch einmal auf den angesprochenen Kampf von Grönländer Leif in der ersten Folge zurück. Andere Wikinger wollen ihn töten, weil sein Vater Erik ihren Bruder ermordet hat. Leif nutzt trotz der Lebensgefahr in diesem Kampf immer wieder nur den Griff seines Schwertes und nicht die Klinge. Am Ende schlägt er alle Gegner K.O., tötet aber keinen einzigen.
Eine Actionszene verrät uns so, dass Leif nicht töten will. Er versucht, das Töten zu vermeiden, wo es nur geht. Diese Szene bringt seinen ganzen Handlungsbogen in Gang. Denn auf der bald folgenden Überfahrt nach England muss er dann doch das erste Mal töten, in den Kämpfen bei der Eroberung des fremden Landes noch mehr.
Wenn er im Staffelfinale zum wilden, Leichen um sich türmenden Berserker wird, kommt dieser durch Actionszenen geschilderte Erzählbogen zu einem vorläufigen Abschluss, der die Figur für die 2. Staffel in eine neue Stellung bringt. Was wir da erwarten und warum diese Wandlung so wichtig ist, haben wir bereits in einem anderen Artikel erklärt:
Das Ende von "Vikings: Valhalla" auf Netflix erklärt: Darum ist der blutige Berserker-Moment für die 2. Staffel so wichtigAuch wenn es natürlich hin und wieder ein paar Dialoge gibt, in welchen Leifs Entwicklung und anfängliche Weigerung, zu töten, thematisiert wird, erzählt Stuart dies so vor allem über die Action. Da er dies auch bei weiteren Figuren so handhabt, ist es so wichtig, dass in „Vikings: Valhalla“ eine Actionszene oft schlagartig auf die nächste folgt – anders als zum Beispiel bei „Game Of Thrones“, wo diese Momente meist sorgfältig über eine Staffel verteilt waren.
2. Die Action ist nah an den Figuren
Um das so erzählen zu können, musste Stuart aber von einer Sache weitestgehend Abstand nehmen: In großen Massenschlachten kann man nämlich wenig über die Figuren erzählen, doch die sind seit „Der Herr der Ringe“ für das früher auch noch viel öfter intime und charaktergetriebene Fantasy-Genre mittlerweile zwingend sind.
Daher gibt es in „Vikings: Valhalla“ kaum Massenschlachten wo tausende Kontrahenten auf beiden Seiten aufeinanderprallen, sondern fast immer eine Begründung, warum jetzt nur wenige Menschen kämpfen oder wird sich in der Schlacht auf wenige Einzelduelle konzentriert. So kann die Kamera näher an einzelne Figuren rankommen, sich auf wenige Gesichter konzentrieren.
Um dies überzeugend in Szene zu setzen, kam Richard Ryan an Bord. Der ist der Schüler und Nachfolger des 2018 gestorbenen William Hobbs, der als die Legende für die Choreografie von Schwert- und Fechtduellen in Filmen galt. Ryan feierte seinen persönlichen Durchbruch mit „Troja“, wo besonders der intensive Kampf zwischen Achilles (Brad Pitt) und Hector (Eric Bana) für viel Aufsehen in der Branche sorgte.
In seiner Karriere arbeitete der Spezialist für Zweikämpfe noch an Filmen wie „Sherlock Holmes“ und sogar als Fight Coordinator an „The Dark Knight“, obwohl dort gar kein Schwertkampf vorkommt. Doch da der Titelheld in „Batman Begins“ auch als Schwertkämpfer ausgebildet wurde, wollte Regisseur Christopher Nolan einen Experten, der Christian Bale dabei hilft, auch typische Bewegungen für einen trainierten Schwertkämpfer einzubauen. Aus der Zusammenarbeit mit den Spezialisten für verschiedenste Kampfstile aus dem Martial-Arts-Bereich konnte Ryan dann wieder eigene Elemente ziehen.
Auch in „Vikings: Valhalla“ bestehen die Choreografien so nicht immer zwingend aus Schwertduellen – wie unsere bereits mehrfach angesprochene Beispielszene mit Leif zeigt. Der hat zwar das Schwert in der Hand, doch am Ende verprügelt er vor allem seine Gegner. Wie bei Christian Bale in „The Dark Knight“ geht es aber vor allem darum, dass sein Kampfstil trotzdem immer als der eines Mannes ist zu erkennen ist, der mit dem Schwert ausgebildet wurde (und hier sogar aufgewachsen ist).
3. Die Action kommt so oft es geht von den Stars selbst
Ryan ist dabei auch dafür bekannt, so viel wie möglich mit den Schauspieler*innen selbst und nicht mit Stuntleuten zu arbeiten, was wiederum zu dem beschrieben Ansatz von Jeb Stuart in „Vikings: Valhalla“ passt. Denn nur bei der Arbeit mit den realen Stars statt mit Doubles kann die Kamera nah am Gesicht bleiben, weil keine andere Person vertuscht werden muss. Und so können die Schauspieler im Kampf durch ihre Mimik auch noch einmal einen weiteren Einblick in die Figuren geben und erzählen.
Da kommt auch der letzte Aspekt von Ryans Ansatz ins Spiel. Wie sein Mentor William Hobbs wurde er am Theater sozialisiert. Dort müssen die Schauspieler*innen in der Lage sein, die ganze Kampfchoreographie in einem Rutsch zu performen.
Im Film werden oft die kleinsten Passagen eines Duells einzeln gefilmt und dann im Schnitt zusammengefügt. Dass kann natürlich trotzdem für eine imposante und gewaltige Actionszene sorgen, macht es aber schwieriger auch eine durchgehende Erzählung der Figur aufrecht zu erhalten.
Daher hat Ryan mit den „Vikings: Valhalla“-Stars auch geübt, die Actionszenen möglichst in einem Durchlauf zu performen. Auch wenn sie am Ende für die Dynamik natürlich trotzdem immer wieder geschnitten und verschiedene Perspektiven zusammengefügt sind, kann es so aber auch immer längere Passagen in „Vikings: Valhalla“ geben.
All das macht die Action in der neuen Netflix-Serie so bemerkenswert. Die erste Staffel von „Vikings: Valhalla“ ist aktuell auf Netflix verfügbar. Eine zweite Season ist bereits abgedreht, bei der Richard Ryan erneut mit Jeb Stuart zusammenarbeitete. Diese soll Anfang 2023 zu Netflix kommen. Eine dritte Staffel ist in Arbeit und wird ab Frühjahr 2022 gedreht.
Wie gut ist "Vikings: Valhalla" bei Netflix?
Falls ihr euch bis dahin weiter mit der aktuellen Netflix-Serie beschäftigen wollt, haben wir noch einen Hör-Tipp für euch:
Unsere Kolleg*innen von Moviepilot diskutieren in ihrem Podcast Streamgestöber nämlich über „Vikings: Valhalla“ bei Netflix und die teils negativen Fan-Reaktionen: