+++Meinung+++
Die Köpfe hinter „Black Mirror“ lassen uns bangen. Die bislang letzte Staffel der Hit-Serie über Medienangst und Angstmedien wurde im Sommer 2019 veröffentlicht. Somit ist eine Lücke im Thrillergenre entstanden, die aber so allmählich geschlossen wird – nämlich durch das Revival eines artverwandten Subgenres: Thriller, in denen Medien als nur mäßig verlässliches Werkzeug dienen, um grauenhafte Rätsel zu lüften.
Im Kino schlägt derzeit „Ocean's 11“-Regisseur Steven Soderbergh mit „Kimi“ in diese Kerbe: In dem Thriller offenbaren sich Aufzeichnungen eines KI-Lautsprechers als potentielle Beweismittel für ein schweres Verbrechen. Im Heimkino wird das Genre nun dagegen sehenswert mit „The Broadcast Incident – Die Verschwörung“ bedient. Der fesselnde Paranoia-Thriller ist jetzt auf DVD sowie Blu-ray erschienen und ein echter Geheimtipp für Genrefans!
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Inspiriert wurde „The Broadcast Incident“ übrigens von einer Reihe wahrer Vorfälle in den USA: Hacker übernahmen das Sendesignal lokaler TV-Stationen und nutzten ihre Störsignale für verstörend-surreale Aktionen. Populäre Verschwörungstheorien gehen von dramatischen Absichten hinter den vermeintlichen Streichen aus...
Das ist "The Broadcast Incident"
1999: Seit James (Harry Shum jr.) unter rätselhaften Umständen seine Frau verloren hat, ist er wie ausgewechselt. Er leidet unter intensiven Albträumen, ist distanziert und verliert sich in seiner Arbeit als Video-Archivar. Eines Nachts macht er bei der Sichtung einer alten Nachrichtensendung eine schockierende Entdeckung – ein verstörendes Video, mit dem offenbar Hacker die TV-Übertragung unterbrochen haben. James verbeißt sich in den Fall, will ihm auf den Grund gehen. Doch jede Antwort wirft neue Fragen auf...
Viele würden die schockierenden Interferenzen als Dummejungenstreich abtun, doch James ist überzeugt, dass sich mehr hinter ihnen verbirgt. Und er ist nicht allein auf seinem gedanklichen Pfad: Beliebte Verschwörungstheorien besagen, dass die Verantwortlichen hinter diesen Aktionen ihre TV-Reichweite nutzten, um versteckte Botschaften an Eingeweihte zu übermitteln. Dass die Hintergründe mancher Vorfälle dieser Art nie aufgedeckt wurden, gießt selbstredend nur noch mehr Öl ins Feuer der wilden Spekulationen...
Besonders legendär wurde der „Max-Headroom-Fall“, der 1987 sogar das FBI auf den Plan rief: Das Programm eines TV-Senders in Chicago brach schlagartig ab, woraufhin statisches Rauschen und markerschütternde Schreie übertragen wurden.
„The Broadcast Incident“-Regisseur Jacob Gentry und die Autoren Phil Drinkwater und Tim Woodall ließen sich von Theorien über exakt solche Vorfälle inspirieren. Die unter die Haut gehenden, in ihrem Low-Fi-Surrealismus an das Horrorvideo aus „Ring“ erinnernden Interferenzen gehören konsequenterweise zu den schaurigen Highlights von „The Broadcast Incident“.
Allerdings hat der Film noch deutlich mehr zu bieten. Der Verschwörungsthriller besticht unter anderem mit seiner immensen Ambivalenz: Gentry, Drinkwater und Woodfall weigern sich, einfache Antworten zu liefern. Stattdessen versackt ihr Protagonist James in einem Sumpf der Rätsel, Sackgassen und unbefriedigenden Erkenntnisse – und auch dem Publikum wird, trotz manchen Implikationen bezüglich der Lösung, keine Erklärung vorgekaut.
Harry Shum jr. spielt James auf packende Weise als niedergeschmetterten Einzelgänger, der sich lieber in wilde Spekulationen über große Verschwörungen flüchtet, als seinen Kummer zu verarbeiten. Seine Performance gibt dem Medienthriller einen bitter-sensiblen Aspekt: So fragil James aufgrund der Umstände sein mag, so erschreckend wird seine Obsession, das Geheimnis aufzuklären und ein Verbrechen zu entdecken, das das FBI (womöglich) übersehen hat.
Ein großes filmisches Erbe
Erzählerisch wie inszenatorisch weist „The Broadcast Incident“ Parallelen zum Thrillerklassiker „Der Dialog“ auf. Der herausragende Abhörthriller von Francis Ford Coppola ist aber nicht das einzige Vorbild dieses finsteren, komplexen Genre-Geheimtipps. Neben Brian De Palmas „Blow Out“ mit John Travolta als Tontechniker, der glaubt, einem Mord auf die Schliche zu kommen, dienen insbesondere die Filme des Paranoia-Spezialisten Alan J. Pakula als lose Inspirationsquelle.
Pakulas Paranoia-Trilogie begann mit dem Psychothriller „Klute“, mit dem sich „The Broadcast Incident“ die bedrückende, etwas obszöne Atmosphäre teilt, sowie die Bemühung, eine filigrane Studie eines gebrochenen Charakters zu liefern. Aus „Zeuge einer Verschwörung“ hat sich Gentry den Kunstgriff entlehnt, seinen Protagonisten als sozial entwurzelt zu inszenieren. Und das Heldenbild, das Pakula in seinem Glanzstück „Die Unbestechlichen“ von zwei Investigativreportern zeichnet, die der Watergate-Affäre nachgehen, könnte glatt das (inkorrekte) Selbstbild des „The Broadcast Incident“-Protagonisten sein.
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Auch Steven Soderberghs „Kimi“ steht in der Tradition dieser Filme, versetzt deren Grundidee jedoch ins Heute, statt in die späten 1990er: Zoë Kravitz spielt darin eine Voice-Stream-Interpretin, die für einen jungen Tech-Konzern arbeitet. Ihre Aufgabe ist es, jene Fälle zu checken, in denen das Konkurrenzprodukt zu Amazons Alexa Kimi Sprachbefehle nicht korrekt einzuordnen wusste. Eine der Aufnahmen, die sie überprüft, ist nahezu unverständlich – und suggeriert, dass Grauenvolles geschehen ist...
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