+++ Meinung +++
Wenn es an der Tür klingelt und man gerade keinen Besuch, keine Post und keine Pizza erwartet, überlegt man es sich in der Regel zweimal, ob man aufmachen sollte: Kaufen oder spenden möchte man schließlich nichts, die Pakete für die Nachbarn stapeln sich eh schon im Flur und auf Gespräche mit den Zeugen Jehovas hat man auch wenig Lust. Was aber tun, wenn man sich doch überwindet und vor der Tür ein freundlicher Mann steht, der sich nur mal kurz im Badezimmer frisch machen möchte? Ganz klar: Dann ist äußerste Vorsicht geboten! Schließlich haben uns schon unsere Eltern beigebracht, dass wir von Fremden keine Sachen annehmen und sie erst recht nicht ins Haus lassen dürfen…
So beginnt "Borgman" auf Amazon Prime Video
Entsprechend verhalten reagiert in „Borgman“ auch der reiche TV-Produzent Richard (Jeroen Perceval), als der Landstreicher Camiel (Jan Bijvoet) auf der Türschwelle zu seinem Haus in einer teuren Vorstadtsiedlung steht und ihn wie selbstverständlich darum bittet, ein heißes Bad nehmen zu dürfen. Der verdutzte Familienvater will Camiel die Tür vor der Nase zuschlagen, doch der behauptet auch noch frech, seine Ehefrau Marina (Hadewych Minis) schon seit Jahren zu kennen. Bitte was?
Auf die gezielte Provokation des vermeintlich harmlosen Fremden folgt ein Wutausbruch mit schlimmen Folgen: Richard verliert die Fassung und verprügelt den bedauernswerten Camiel so sehr, dass der sich kaum noch auf den Beinen halten kann. Marina hat jedoch Mitleid mit dem Wohnungslosen: Als ihr Mann zur Arbeit gefahren ist, lässt sie Camiel nicht nur ein Bad nehmen, sondern quartiert ihn auch heimlich im Gartenhaus ein, um ihn Stück für Stück wiederaufzupeppeln. Ein schwerer Fehler, wie sich schon bald herausstellt.
Ihren drei Kindern und der dänischen Nanny Stine (Sara Hjort Ditlevsen) erzählt die Hobby-Malerin nichts – Camiel aber schleicht sich ins Haus und beginnt, Marinas Familie in Beschlag zu nehmen. Während in Richards Frau ein unbändiges, rätselhaftes Verlangen nach dem fremden Sonderling aufkeimt, holt sich der Bösewicht heimlich Verstärkung – und bringt das Haus mit perfiden Psycho-Spielchen nach und nach unter seine Kontrolle.
Was "Borgman" so besonders macht
Weil „Borgman“ am besten funktioniert, je weniger man über die Handlung weiß, soll an dieser Stelle nicht mehr über die wendungsreiche Geschichte verraten werden. Sieht es zunächst so aus, als hauche der niederländische Regisseur Alex Van Warmerdam dem 70er-Jahre-Klassiker „Die Körperfresser kommen“ und Michael Hanekes beklemmendem Meisterwerk „Funny Games“ neues Leben ein, entwickelt sich der mit subtilem Horror durchtränkte Film schon bald zu einem surrealen Alptraum aus geschickter Provokation und irritierender Gewalt – und das (fast) ganz ohne Blutvergießen.
Mutet die amüsante Unbeschwertheit des ersten Filmdrittels dank köstlich-absurder Momente noch wie eine bitterböse Satire auf das besserverdienende Spießbürgertum an, bricht sich das Gruseln zunehmend Bahn: Spätestens, als eines der Kinder eine unbegreifliche Tat begeht, bleibt uns das Lachen im Halse stecken und weicht purem Entsetzen. Was geschieht hier bloß? Das Grauen kommt auf leisen Sohlen und ohne großes Aufsehen – und gerade das macht den doppelbödigen Film so faszinierend. Camiel ist wie ein Gift, das man der Familie gespritzt hat und das sich unaufhaltsam in ihr ausbreitet.
Googeln garantiert
„Borgman“ erblickte 2013 das Licht der Kinowelt und sorgte damals vor allem auf Filmfestivals für Furore: Das verstörende Genre-Experiment war unter anderem in Cannes für die prestigeträchtige Goldene Palme nominiert und bringt es laut IMDb auf stolze 13 Filmpreise. Hierzulande lief der Film nur in wenigen Arthouse-Kinos und fristet bis heute ein Schattendasein – dabei hat er ein deutlich größeres Publikum verdient. Da das Home-Invasion-Highlight aktuell ohne Zusatzkosten in den Abos von Amazon Prime Video und Joyn PLUS verfügbar ist, solltet ihr ihm erst recht eine Chance geben:
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Wir verlangen nach Erklärungen für das, was wir dort sehen, doch wir erhalten sie nicht, und müssen irgendwie damit klarkommen. Als verstörende Parabel, die auf eine unausweichliche Tragödie zusteuert, wirft die niederländische Genreperle jede Menge Fragen auf: „Borgman“ ist einer dieser Filme, über dessen Symbolik man im Anschluss stundenlang streiten und googeln kann und die förmlich danach schreit, in den Kommentarspalten heiß diskutiert zu werden. Es bleibt uns selbst überlassen, uns einen Reim auf das Geschehen zu machen, denn das Böse wird hier nie wirklich greifbar – und gerade das macht den Horror so intensiv.
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