+++ Meinung +++
Die innovativsten neuen Serien, die ich 2021 geschaut habe, tragen beide den Namen „Kevin“ im Titel. Die Doku-Serie „Kevin Kühnert und die SPD“, produziert fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen, gibt einen seltenen, vergleichsweise umgeschminkten Einblick ins mühsame, mitunter dröge Leben eines deutschen Nachwuchspolitikers. Die Serie „Kevin Can F**k Himself“, die in Deutschland im Abo von Amazon Prime Video verfügbar ist, dekonstruiert dagegen die ach so bunte, wohlige Welt von Sitcom-Ehepaaren, wie sie zum Beispiel in „King Of Queens“ dargestellt wird. Für diese Anti-Sitcom ist aber bald schon wieder Schluss, das gab das Magazin TVLine nun bekannt.
"Kevin Can F**k Himself" endet mit der 2. Season
Der US-Sender AMC wird nur noch acht Folgen von „Kevin Can F**k Himself“ produzieren und die Serie damit nach der zweiten Season einstellen. Wahrscheinlich waren die Zahlen der von vielen Kritiker*innen geschätzten Serie nicht gut genug. Sender und Streamingdienste sind im knallharten Kampf um die Aufmerksamkeit ihres Publikums ansonsten ja stets bemüht, erfolgreiche Formate selbst dann zu verlängern, wenn ihre Schöpfer das eigentlich gar nicht wollen (siehe zuletzt Netfllix und „Squid Game“). Die mangelnde Bekanntheit von „Kevin Can F**k Himself“ ist schade.
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Ich mag auf FILMSTARTS schreiben, warum ich die Serie so besonders (und) gut finde, die Twitter-Blase der Serien-Nerds mag die Serie abfeiern, aber weder meine Meinung noch die Meinung der lieben Kolleg*innen ist nun mal maßgeblich für den Erfolg eines Formats. Da kommt es eher darauf an, wie eine Serie vermarktet wird. Und vielleicht wurde in der Werbung für „Kevin“ nicht klar genug, welches spannende Konzept eigentlich hinter der Serie steckt. Es ist leider auch gar nicht so einfach zu beschreiben.
"Kevin Can F**k Himself" ist anders
„Kevin Can F**k Himself“ beginnt so bunt und albern wie viele andere Sitcoms auch, was eine Freundin von mir zu einer erboßten Messenger-Nachricht an mich veranlasste, wie ich ihr so einen altmodischen Quatsch denn eigentlich empfehlen könne, wo ich ihren Geschmack doch kennen sollte. Nach ein paar Minuten der ersten Folge aber wechselt die Inszenierung von „Kevin Can F**k Himself“ radikal und die Serie entpuppt sich als wütender Angriff auf Sitcom-Klischees:
Die Ehefrau Allison (Annie Murphy) hat eben noch die auf ihre Kosten gehenden Späße ihres infantilen Ehemanns Kevin hingenommen, in bonbunbunter Wohnzimmer-Kulisse und mit eingespielten Lachern aus dem Off – plötzlich aber wird sie aus anderer Perspektive gezeigt: Die Kamera ist näher an ihr dran. Die Farben sind dunkler, natürlicher. Allison zeigt das Gesicht einer Frau, die ihren Ehemann (Eric Petersen) loswerden will.
Fortan wechselt die Perspektive mehrmals pro Folge hin und her. In Anwesenheit von Kevin und seiner Freunde sieht das Geschehen aus wie eine Sitcom, wenn Allison aber alleine oder mit anderen Menschen zusammen ist und alsbald nicht weniger als die Ermordung ihres tyrannischen Ehemannes plant, sehen wir eine Farbgestaltung, eine Kameraarbeit und auch ein Schauspiel wie in einer Drama-Serie.
Wo die meisten anderen Serien, selbst die guten, ästhetisch nie den seit Jahren etablierten Rahmen verlassen und die größte Innovation darin bestand, dass in den Nullerjahren vom 4:3 auf das aus dem Kino gewohnte Breitbildformat gewechselt wurde, begeistert mich „Kevin Can F**k Himself“ durch eine neue visuelle (und inhaltliche) Perspektive.
Lieber aufhören, als schlecht werden
Was die Gesamtqualität der 2022 endenden Serie angeht, könnte sich die Absetzung, so schade sie auch sein mag, trotzdem als Glücksfall herausstellen. Vorausgesetzt, dass Serien-Chefin Valerie Armstrong und ihr Team die Story um Allisons Mordkomplott in insgesamt 16 Folgen zu einem befriedigenden Abschluss bringen werden.
Ich werde nicht spoilern, aber im Finale der ersten Season erreicht das Geschehen bereits einen überraschenden, finsteren Höhepunkt und ich glaube nicht, dass sich die große Konfrontation zwischen Allison und ihrem egoistischen Mann noch lange sinnvoll hinauszögern lässt, ohne dass „Kevin Can F**k Himself“ gestreckt wirken würde.
Es ist gar nicht so zynisch gemeint, wie es klingen mag, aber: Jede frühe Beendigung einer Serie ist für Autor*innen immer auch die Chance, auf einer guten Note aufzuhören, bevor die ursprünglichen Ideen aufgebraucht sind, keine guten nachkommen und man sich trotzdem noch weitere Staffeln aus den müden Fingern saugen muss.
Auch nett: Wer „Kevin Can F**k Himself“ dann später mal nachholen will, weil dieser Tobias einfach nicht mit dem Schwärmen aufhört, der muss nur zwei Staffeln gucken, um mitreden zu können – und nicht mindestens fünf, wie bei vielen anderen Serien.